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Besetzen und abschotten (I)

Kurz vor der Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Mali und Niger an diesem Wochenende gibt Berlin die Einrichtung eines Militärstützpunktes in der nigrischen Hauptstadt Niamey offiziell bekannt. Über den Stützpunkt soll die Bundeswehr ihren Nachschub für die in Gao (Nordmali) stationierten deutschen Truppen abwickeln; tatsächlich ist sie längst dort präsent und hat schon im April 40 deutsche Soldaten in Niamey stationiert. Die neue Transportbasis stärkt die deutsche Stellung in einem Land, das nicht nur zentrales Transitland für westafrikanische Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa ist. Niger gilt darüber hinaus als zur Zeit wichtigster Schauplatz des "Anti-Terror-Kriegs" im nördlichen Afrika; die Vereinigten Staaten errichten dort für 100 Millionen US-Dollar einen Drohnenstützpunkt. Vor allem aber gelingt es Berlin mit seiner neuen Präsenz in Niger, das Land dem bisher exklusiven Einfluss Frankreichs zu entreißen und damit in einem zweiten Staat der Françafrique militärisch Fuß zu fassen. Paris gehe von seiner bisherigen "Exklusivität ab", triumphieren Regierungskreise.

Operationen in Nordmali

Anlass für die Einrichtung eines Militärstützpunkts in Niger ist der Einsatz der Bundeswehr in Malis Norden. Zum einen trainieren deutsche Militärs malische Soldaten im Rahmen von EUTM Mali nicht mehr nur im Ausbildungszentrum Koulikoro unweit der Hauptstadt Bamako, sondern führen ihre Ausbildungsmaßnahmen auch in Teilen Nordmalis durch, unter anderem in Timbuktu und Gao. Zum anderen hat die Bundeswehr die Aufklärungskompanie, die im Rahmen der UN-Truppe MINUSMA in Gao operiert, mittlerweile auf mehr als 560 Soldaten aufgestockt. Die Kompanie nutzt seit einiger Zeit die Aufklärungsdrohne "Luna" und wird ab November - wie in Afghanistan - auch Drohnen des Typs "Heron" einsetzen. MINUSMA gilt als die gegenwärtig gefährlichste UN-Mission überhaupt; Soldaten der Bundeswehr sind im Juli erstmals in ein Feuergefecht verwickelt worden.S. dazu Wie in Afghanistan (II) . Allein in diesem Jahr sind bisher 32 MINUSMA-Blauhelme ums Leben gekommen. Beobachter vergleichen die Entwicklung in Mali immer wieder mit der Entwicklung in Afghanistan.

Transportdrehkreuz in Niger

Ergänzend zur Ausweitung der Operationen in Mali errichtet die Bundeswehr einen Stützpunkt in Niamey. Dabei handelt es sich um eine Basis für den Lufttransport nach Gao. Der Flugplatz in Gao ist nur für gelegentliche Landungen des großen Militärtransporters A400M geeignet, da dieser während des Entladens keinen Platz für andere Flugzeugbewegungen auf dem Flugfeld mehr lässt; deshalb muss die Kompanie in Gao vorwiegend von Transall-Maschinen der Bundeswehr beliefert werden, die ihre Fracht wiederum möglichst in der Nähe aufnehmen sollen - auf großen Flughäfen, die für den A400M ohne Probleme nutzbar sind. Malis Hauptstadtflughafen Bamako ist mit 1.000 Kilometern viel weiter von Gao entfernt als der Flughafen im nigrischen Niamey (400 Kilometer), weshalb dessen Nutzung nicht nur Kosten, sondern im Falle des Ausfliegens verwundeter Soldaten auch überlebenswichtige Zeit einspart. Schon seit April sind rund 40 deutsche Soldaten in Niamey stationiert, um dort Transall-Flüge abzuwickeln.Neue Afrika-Mission für die Transall? www.shz.de 12.04.2016. Ebenfalls im April hat der Inspekteur des Bundeswehr-Sanitätsdiensts die dortigen notfallmedizinischen Einrichtungen der französischen Armee sowie etwaige Evakuierungsoptionen für verletzte deutsche Soldaten überprüft. Inzwischen hat die Bundesregierung zudem ein vollgültiges Stationierungsabkommen mit Niger geschlossen. Vorläufig liegt die Obergrenze für die dort einsetzbaren deutschen Truppen bei 200 Militärs.

Schlüsselstaat im Anti-Terror-Krieg

Die Einrichtung eines deutschen Militärstützpunkts in Niger ist in mehrfacher Hinsicht von erheblicher Bedeutung. Zum einen hat sich das Land zu einem zentralen Schauplatz des "Anti-Terror-Kriegs" im nördlichen Afrika entwickelt. Frankreich ist im Rahmen seiner "Operation Barkhane", die von der tschadischen Hauptstadt N’Djamena aus geführt wird, umfassend in Niger präsent.Opération Barkhane. www.defense.gouv.fr. Auch die Vereinigten Staaten operieren dort schon seit Jahren. Laut aktuellen Berichten hat Washington 2012 von der nigrischen Regierung die prinzipielle Genehmigung erhalten, von einem Stützpunkt bei Niamey aus Drohnenflüge zu starten; demnach finden solche Flüge seit 2013 statt und unterstützen die französischen Operationen in der Region.Nick Turse: U.S. military is building a $100 million drone base in Africa. theintercept.com 29.09.2016. Aktuell sind die Vereinigten Staaten dabei, unweit der nordnigrischen Stadt Agadez einen Drohnenstützpunkt zu errichten, von dem aus Drohnen des Typs MQ-9 Reaper zur Überwachung der Region und womöglich auch zu Luftangriffen starten können. Washington stelle dazu gut 100 Millionen US-Dollar bereit, heißt es unter Berufung auf interne Dokumente. Niger sei heute der Schlüsselstaat für US-Operationen in der Region.

Knotenpunkt für Flüchtlinge

Zum anderen ist Niger gegenwärtig der bedeutendste Knotenpunkt für Flüchtlinge aus Westafrika, die zu den Küsten des Mittelmeers und weiter nach Europa aufbrechen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass jährlich mindestens 150.000 von ihnen das Land durchqueren; sie hat längst ihre Bemühungen ausgeweitet, die Fluchtroute abzusperren. Bereits 2013 hatte die bundeseigene Entwicklungsagentur GIZ in Niger ein "Polizeiprogramm" gestartetS. auch Polizeiprogramm Afrika und Flüchtlinge als "Sicherheitsrisiko" (III) ., mit dem die Abschottung der kaum kontrollierbaren Wüstengrenze zu Libyen gestärkt werden sollte. Kanzlerin Merkel lässt sich auf ihrer aktuellen Reise nach Mali und Niger unter anderem von der Vorstandssprecherin der GIZ, Tanja Gönner, begleiten. Merkel wird zudem ein Zentrum der International Organization for Migration (IOM) besuchen, in dem Flüchtlinge zum Abbruch ihrer Reise nach Europa und zur angeblich freiwilligen Rückkehr in ihre Herkunftsländer überredet werden sollen. Die IOM hat - von EU-Mitgliedstaaten unterstützt - schon im Jahr 2014 solche Zentren errichtet.IOM Opens Agadez Transit Centre in Niger Desert. www.iom.int 14.11.2014. Bei ihrem Bemühen, die Flucht nach Europa zu beenden, wird die IOM auch von Brüssel unterstützt. Die Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr werden im EU-Jargon offiziell "Migrationspartnerschaft" genannt.

Kampf um die Françafrique

Schließlich vollziehen sich in Niger, aber auch in anderen ehemaligen französischen Kolonien in Afrika derzeit weit reichende Umbrüche, die Berlin machtpolitische Chancen eröffnen. Frankreich ist durch die Krise massiv geschwächt und kann deutschen Vorstößen nur noch ansatzweise etwas entgegensetzen. Zu diesen Vorstößen gehört der Berliner Versuch, Frankreichs exklusiven Einfluss in der Françafrique zu brechen und dort selbst stärker Fuß zu fassen.S. dazu Nur ein erstes Signal , Kampf um Westafrika und Deutschland 001 . Dabei erzielt die Bundesregierung erste Erfolge. In Mali und Niger gebe es "nach wie vor massive französische Interessen" und eine "massive französische Militärpräsenz", heißt es in Regierungskreisen; nun sei es aber "so, dass in den letzten Jahren die Herausforderungen solche Dimensionen angenommen haben", dass "auch Frankreich" von seiner traditionellen "Exklusivität abgegangen" sei und sich nun sogar auf gemeinsame Schritte mit "anderen Staaten" einlasse. Die diplomatisch verschleiernde Sprache umschreibt die erzwungene Öffnung der Françafrique für Berlin, das in Afrika militärisch konsequent auf dem Vormarsch ist: Niger ist das siebte Land des Kontinents, in dem deutsche Soldaten gegenwärtig stationiert sind.

Quelle: www.german-foreign-policy.com vom 06.10.2016.

Fußnoten

Veröffentlicht am

10. Oktober 2016

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