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Atomwaffen: Existenzielle Probleme

Technisch lassen sich Nuklearsprengköpfe recht leicht vernichten - es braucht nur den politischen Willen

Von Michael Schulze von Glaßer

Die Erde hat gebebt auf der koreanischen Halbinsel. Am 9. September testete Nordkorea seine fünfte Atombombe und die Welt horchte auf. Laut nordkoreanischen Staatsmedien war der Test "erfolgreich". Südkorea berief seinen Nationalen Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung ein - die Spannung steigt. Und auch im fernen Europa wurde die bei vielen Menschen in Vergessenheit geratene Gefahr für den Weltfrieden von Atomwaffen kurz ins Gedächtnis gerufen.

Ungefähr 15.400 Atomsprengköpfe sollen die neun offiziellen und inoffiziellen Atommächte besitzen. Die meisten gehören Russland (7.290) oder den USA (7.000), die restlichen befinden sich in den Händen von Frankreich (300), China (260), Vereinigtes Königreich (220), Pakistan (120), Indien (110), Israel (80) und Nordkorea (10). Viele der Waffen sind auf Raketen montiert und können auch heute noch innerhalb weniger Minuten startklar gemacht werden. Und es wird weiter aufgerüstet. Gerade hat US-Verteidigungsminister Ashton Carter angekündigt , in den kommenden fünf Jahren 108 Milliarden Dollar für das US-Nuklearwaffenarsenal auszugeben.

Im Herbst wollen sich Politiker auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen hingegen des Themas Abrüstung annehmen - mal wieder. Internationale Verträge konnten in der Geschichte zwar zu einer niedrigeren Zahl an Atomsprengköpfen führen, die Waffen reichen aber noch immer aus, um ganze Kontinente auszulöschen. Auch die Verbreitung von Atomwaffen konnte durch Verträge und Verhandlungen nicht gestoppt werden, siehe Nordkorea. Dennoch ist es ein wichtiges Signal, wenn die 193 UN-Mitgliedsstaaten im Oktober voraussichtlich beschließen , dass sie über einen Vertrag zum völkerrechtlichen Verbot von Atomwaffen verhandeln wollen.

Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Staaten, die die Waffen besitzen. "Nicht funktionieren wird das nach dem Motto der USA, der NATO und der Bundesregierung: Zuerst müssen alle anderen abrüsten, aber wir bleiben ein Atomwaffenstaat beziehungsweise ein nukleares Bündnis, solange es Atomwaffen gibt", mahnt Regina Hagen. Sie ist aktiv bei Abolition 2000, einem internationalen Netzwerk von mehr als 2.000 Nichtregierungsorganisationen, das sich für die weltweite Abschaffung von Atomwaffen einsetzt.

Unbrauchbar machen

Der Fahrplan ist schon ausgearbeitet: "Nötig wäre der Abschluss eines gemeinsamen Vertrages mit einem präzisen Zeitplan für die einzelnen Schritte: Außerdienststellung, Entfernung der Spaltmaterialien aus den Sprengköpfen, Unschädlichmachen der Spaltmaterialien und so weiter - bis hin zur strengen Überprüfung der Schritte und des Atomwaffenverbots", sagt Hagen. Mit dem politischen Willen wäre eine atomwaffenfreie Welt schnell zu verwirklichen, sagt sie: "Es gibt technisch recht einfache Verfahren, Atomsprengköpfe rasch zu entschärfen."

Dazu müssten diese von den Trägersystemen getrennt werden. Anschließend werden sie geöffnet und das Innere mit einer harzartigen Flüssigkeit verfüllt, sodass die Technik nicht mehr brauchbar ist. "Selbst das hoch angereicherte Uran aus den Atomwaffen lässt sich bombenuntauglich machen, indem es mit abgereichertem Uran vermischt wird - dem Abfallstoff bei der Herstellung von waffenfähigem Material."

Problematisch sind laut Regina Hagen lediglich Sprengköpfe, die Plutonium als Spaltmaterial verwenden. Der Stoff komme nicht in der Natur vor und könne auch nicht einfach in andere Isotope umgewandelt werden. Diskutiert werde in Fachkreisen, das Material unter Aufsicht der UNO in hoch gesicherten Lagern aufzubewahren, bis zuverlässige Verfahren zur Transmutation entwickelt würden. Das würde allerdings weitere Atomforschungen sowie den Erhalt von Atomanlagen bedeuten. "Eine Alternative wäre es, bombentaugliches Plutonium mit einem Mantel aus hochstrahlendem Atommüll aus Atomkraftwerken zu umgeben und in Glaskokillen zu gießen", erläutert Hagen. "Dann ist das Plutonium zwar immer noch da, der Zugriff wäre aber erschwert." Die ungelöste Frage der Plutonium-Abrüstung sollte ihrer Meinung nach jedoch nicht entmutigen: "Würde ein Bruchteil der Gelder, die momentan in die Instandhaltung und Modernisierung von Atomwaffen fließen, zur Lösung dieser Probleme eingesetzt, dann lägen bald brauchbare Verfahren vor."

Auch in Deutschland lagern Atomsprengköpfe, die allerdings den USA gehören. Roland Blach ist Koordinator der Kampagne "atomwaffenfrei.jetzt" , die sich gegen diese Waffen richtet: "Wir gehen nach den uns zur Verfügung stehenden Unterlagen von 20 Atombomben aus, die im rheinland-pfälzischen Büchel stationiert sind", erzählt der Friedensaktivist. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe der NATO werden auch heute noch Bundeswehr-Piloten dazu ausgebildet, die B61-Atombomben abzuwerfen, die eine maximale Sprengkraft von 340 Kilotonnen TNT haben, das ist das 26-Fache der Hiroshima-Bombe .

Bald werden sich die deutschen Piloten allerdings an neue Waffen gewöhnen müssen. Ab 2020 soll die modernisierte Version B61-12 in Büchel stationiert werden. "Die neue Bombe soll durch eine neue Heckpartie zu einer sehr zielgenauen Präzisionswaffe umgebaut werden und damit erweiterte Einsatzoptionen erhalten", berichtet Blach. Die Sprengkraft der neuen Bombe sei variabel. "Damit steigt die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Einsatzes."

Was plant die Regierung?

Atomwaffengegner wollen ihr Engagement daher intensivieren: "Im Vorfeld der Bundestagswahl im kommenden Jahr werden wir den Druck auf die Politik erhöhen", sagt Blach. Schon in diesem und dem vergangenen Jahr haben Friedensaktivisten durch Blockaden des Fliegerhorsts Büchel für Schlagzeilen gesorgt - im September stürmten einige Aktivisten sogar das Rollfeld des Luftwaffen-Standorts. Ab März kommenden Jahres wollen die Atomwaffengegner den Fliegerhorst 20 Wochen lang blockieren. Zudem sammeln sie Unterschriften, die bei den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl übergeben werden sollen.

Die Bomben aus Büchel loszuwerden ist in den Augen von Roland Blach durchaus realistisch. Zwar seien die B61-Atomwaffen das Eigentum der US-Regierung und würden auch ausschließlich von den rund 140 Beschäftigten der US-Armee gewartet und gesichert. Letztlich gehe es aber um den politischen Willen Deutschlands: "Die Bundesregierung könnte das Stationierungsabkommen mit den USA für die Lagerung der Waffen aufkündigen", erklärt Blach. Mit diesem Mut könnte die Bundesregierung auch dem Willen großer Bevölkerungsteile nachkommen: Eine Forsa-Umfrage vom März ergab , dass 85 Prozent der Befragten für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland sind. 88 Prozent sprachen sich damals gegen die Ersetzung durch die moderneren B61-12-Atomwaffen aus.

Auch wenn man es kaum merkt: Atomwaffen gehören noch immer zu einer der größten Bedrohungen der Menschheit. Der nordkoreanische Atombombentest und der Konflikt in der Ukraine zeigen, wie schnell die Bedrohung akut werden kann. Zudem geht eine Gefahr nicht nur vom Einsatz der Waffen in einem Krieg aus, sondern allein schon von ihrer Existenz: Es gab bereits zahlreiche Unfälle mit den Waffen und auch ein unbeabsichtigter Einsatz ist nicht ausgeschlossen. In Anbetracht dieser Bedrohungen wirken mögliche UN-Verhandlungen um ein internationales Atomwaffenverbot wie ein Wettlauf um die Zukunft der Menschheit.

Quelle: der FREITAG   vom 12.10.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

14. Oktober 2016

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