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Die großen Mächte und ihre Kriege (II)

Die Zahl der weltweiten Kriege und ihrer Opfer wird dieses Jahr weiter steigen. Dies sagt ein einflussreicher Diplomat in der führenden deutschen Außenpolitik-Zeitschrift voraus. Demnach nehme schon seit fünf Jahren "weltweit die Zahl der Konflikte und damit der Opfer und der Flüchtlinge" zu; diese Entwicklung werde sich "wohl auch in diesem Jahr fortsetzen". Die Zeitschrift "Internationale Politik" untermauert diese Vermutung mit einem Überblick über die aktuellen Kriege. Tatsächlich sind die blutigsten Kriege der Gegenwart - im Irak, in Syrien, Libyen, Afghanistan oder im Südsudan - ein direktes oder indirektes Ergebnis westlicher Machtpolitik, die mit Militärinterventionen oder der subversiven Unterstützung für Aufständische darauf zielte, prowestliche Umstürze herbeizuführen oder nicht kooperationswillige Staaten zu schwächen. Für die Zukunft nimmt die "Internationale Politik" mögliche Konflikte im Umfeld Chinas in den Blick. Ist es den westlichen Mächten in den Jahren des chinesischen Aufstiegs nicht gelungen, die rohstoffreiche arabische Welt für die Zeit des bevorstehenden Machtkampfs gegen die Volksrepublik fest an sich zu binden, so zeichnet sich dieser Machtkampf inzwischen deutlich ab.

Krieg auf dem Vormarsch

Unter dem Titel "Die Kriege des Jahres 2016" befasst sich ein aktueller Beitrag in der Zeitschrift "Internationale Politik" mit den wichtigsten Waffengängen der Gegenwart. Autor ist Jean-Marie Guéhenno, ein französischer Diplomat, der auf einflussreichen Positionen im französischen Außenministerium tätig war und heute als Präsident des international operierenden westlichen Think-Tanks International Crisis Group fungiert. "Krieg ist auf dem Vormarsch", heißt es in dem Beitrag: "Das zeigt der Blick zurück, denn seit rund fünf Jahren steigt weltweit die Zahl der Konflikte und damit der Opfer und der Flüchtlinge." Dies werde sich "wohl auch in diesem Jahr fortsetzen, mit alten und neuen Kriegen".Zitate hier und im Folgenden: Jean-Marie Guéhenno: Die Kriege des Jahres 2016. Von Afghanistan bis zum Tschadsee-Becken. zeitschrift-ip.dgap.org 12.01.2016. Tatsächlich haben Experten bereits für 2014 einen Anstieg der Zahl der Todesopfer in den 20 blutigsten Kriegen um 28 Prozent gegenüber 2013 auf mehr als 163.500 Tote festgestellt.Death Toll in 2014’s Bloodiest Wars Sharply Up on Previous Year. www.projects21.com. Die Tendenz hält an.

Skepsis ist angebracht

Guéhenno verweist zunächst auf die Kriege in Syrien und im Irak. "In Syrien tobt der schwerste Krieg unserer Zeit", schreibt der Präsident der International Crisis Group. Zwar beschleunigten sich die diplomatischen Aktivitäten zur Lösung des Konflikts, "teils aufgrund Russlands Militärintervention, teils wegen der Terroranschläge von Paris". Auch wenn man hoffen könne, dass die jüngste Verhandlungsinitiative letztlich zum Erfolg führe: "Es gibt viele Gründe, skeptisch zu bleiben." Auch der Irak kommt, wie Guéhenno festhält, nicht zur Ruhe. Dies ist der Fall, seit eine US-geführte Kriegskoalition ihn im Jahr 2003 überfiel, um in Bagdad prowestliche Kräfte an die Macht zu bringen. Syrien wiederum versinkt im Krieg, seit die westlichen Mächte Teile der Opposition beim Versuch zu unterstützen begannen, die Regierung zu stürzen und ebenfalls prowestliche Kreise an die Spitze des Staates zu stellen. Experten schätzen die Zahl der Menschen, die im Irak seit 2003 kriegsbedingt das Leben verloren, auf eine Million.IPPNW: Body Count. Opferzahlen nach 10 Jahren "Krieg gegen den Terror". Irak - Afghanistan - Pakistan. Berlin, September 2015. Dem Syrien-Krieg sind mittlerweile wohl mehr als 300.000 Menschen zum Opfer gefallen. Mehr als zehn Millionen sind zudem aus dem Land geflohen oder zu Binnenvertriebenen geworden.

Krieger und Waffen

Dramatisch ist die Lage laut Guéhenno auch in Libyen. Das Land zerfällt, seit die NATO 2011 per Krieg die Regierung stürzte - auch hier, um prowestliche Kräfte an ihre Stelle zu setzen. Verlässliche Angaben über die Todesopfer in Libyen sind nicht vorhanden. Schätzungen für den Krieg des Jahres 2011 belaufen sich auf Zahlen zwischen 2.000 (WHO) und 25.000 (Ex-Opposition gegen Gaddafi). Für die Zeit der Kämpfe seit dem Jahr 2013 ist von rund 5.000 belegbaren Opfern die Rede; möglicherweise ist die reale Opferzahl jedoch deutlich höher. Hunderttausende sind zudem auf der Flucht. Nicht zuletzt habe "der unkontrollierte Strom von Kriegern und Waffen", den Gaddafis Sturz ausgelöst habe, "in der gesamten Sahel-Zone Konflikte verstärkt, darunter in Mali und im Tschadsee-Becken", schreibt Guéhenno. In Mali hat die Einreise hochbewaffneter Milizionäre den Krieg, der bis heute andauert, erst ermöglicht.S. dazu Ein Feuerring bis Mali und Ein neuer Schwerpunkt in Afrika . Im Tschadsee-Becken - gemeint sind der Norden Nigerias und Teile Kameruns, Nigers und Tschads - profitiert Boko Haram von libyschem Kriegsgerät. In all diesen Ländern ist ein Ende des Krieges nicht in Sicht.

Terrornetzwerke als Profiteure

Gehen die erwähnten Kriege entweder auf direkte militärische Überfälle (Irak, Libyen) oder auf subversive Unterstützung einer Kriegspartei (Syrien) durch die westlichen Mächte zurück, die mit ihren Operationen in den betroffenen Staaten jeweils kooperationswillige Kräfte an die Regierung bringen wollten, so wird auch ein weiterer Krieg, den Guéhenno in der "Internationalen Politik" aufführt, mit westlicher Rückendeckung geführt: der Krieg im Jemen. Ihn hat Saudi-Arabien im März 2015 gestartet, um seinen Rivalen Iran zu schwächen. Dabei wird Riad, wie Guéhenno festhält, von den USA und Großbritannien unterstützt; zudem kann es den Krieg mit deutschen Waffen führenS. dazu In Flammen , In Flammen (II) und In Flammen (III) , mit denen Berlin seinen saudischen Verbündeten gegen Iran hochgerüstet hat S. dazu Blutiges Bündnis (II) .. "Man schätzt, dass in diesem Krieg bisher knapp 6.000 Menschen getötet wurden, davon fast die Hälfte Zivilisten", heißt es in der "Internationalen Politik": "Über zwei Millionen verloren ihr Zuhause, weitere 120.000 flüchteten aus dem Land", viele von ihnen nach Somalia, das ihnen besseren Schutz bietet als der Jemen. Außerdem habe der Krieg "die schon vorher labile Infrastruktur zerstört, die politischen Gräben vertieft und einem konfessionellen Fanatismus Raum gegeben, der hier vorher nahezu unbekannt war", heißt es weiter. Schließlich trage er auch "zum Erfolg von Terrornetzwerken wie Al-Qaida und dem IS bei".

Jihadisten im Aufwind

Jenseits der Kriege in der arabischen Welt führt Guéhenno auch den Afghanistan-Krieg auf. Dort hat der Westen bereits in den 1980er Jahren maßgeblich zur Zerstörung des Landes beigetragen.S. dazu Auf die Flucht getrieben (II) . Seit 2001 sind den neuen Kriegshandlungen laut Beobachtern mindestens 220.000 Menschen zum Opfer gefallenIPPNW: Body Count. Opferzahlen nach 10 Jahren "Krieg gegen den Terror". Irak - Afghanistan - Pakistan. Berlin, September 2015.; das Land ist fast vollständig zerstört. "14 Jahre nach dem Einmarsch, der Al-Kaida auslöschen und die Taliban von der Macht vertreiben sollte", verfügten die Taliban über "erhebliche Schlagkraft", resümiert die "Internationale Politik"; "al-Kaida hält sich in Afghanistan und der IS hat Fuß gefasst". Auch hier sind geostrategische Motive des Westens die Ursache für den Krieg gewesen: Sollte die verdeckte Intervention der 1980er Jahre den Einfluss der Sowjetunion brechen, so bestand das Ziel seit 2001 darin, prowestliche Kräfte in Kabul an die Macht zu bringen.

Geostrategische Großoperation

Eine indirekte Folge westlichen Hegemonialstrebens ist nicht zuletzt der Krieg im Südsudan. Er hat in den vergangenen zwei Jahren, wie Guéhenno schreibt, "Zehntausende Menschenleben gefordert und über 2,4 Millionen Menschen", gut ein Fünftel der rund zwölf Millionen Einwohner, "in die Flucht getrieben". Die südsudanesischen Milizen, die mit furchtbaren Gräueltaten von sich reden machen, sind vollkommen zersplittert; "heute gibt es mehr als 24 bewaffnete Gruppen im Land, von denen eine wachsende Zahl weder zur Regierung noch zu den wichtigsten Oppositionstruppen gehört", berichtet die "Internationale Politik": "Der Konflikt droht, ein Vielfrontenkrieg zu werden." Vor dieser Entwicklung hatten Beobachter schon vor Jahren gewarnt, als die Bundesregierung führend daran beteiligt war, die Abspaltung des Südsudan von Sudan vorzubereiten und schließlich durchzusetzen. Hintergrund war auch in diesem Fall das Bestreben, westliche Positionen zu stärken: Sudan, seit den 1990er Jahren im Konflikt mit dem Westen liegend, sollte seiner rohstoffreichsten Regionen beraubt und damit in die Knie gezwungen werden. Den Südsudan wollten Berlin und Washington in einer geostrategischen Großoperation mit den prowestlichen Ländern der "East African Community" (EAC) verbinden.S. dazu Das Wirken der Geostrategen und Auf die Flucht getrieben (III) . Die Folgen der Planspiele transatlantischer Geostrategen hat nun die südsudanesische Bevölkerung zu tragen.

Ein Feuerring um China

Guéhennos Vermutung, die Zahl der Konflikte und Kriege könne weiter steigen, stützt sich unter anderem auf Beobachtungen im unmittelbaren Umfeld der Volksrepublik China. Sind die aktuellen Kriege in zahlreichen Fällen das Resultat von Bestrebungen des Westens, seine Machtpositionen weltweit zu stärken, so zeichnet sich in Ostasien mittlerweile der Konflikt mit China deutlich ab, vor dem auch die Organisatoren der Münchner Sicherheitskonferenz warnen.S. dazu Die großen Mächte und ihre Kriege (I) . Provokationen der US-Streitkräfte zu Wasser und in der Luft hätten im vergangenen Jahr die Spannungen deutlich steigen lassen, berichtet der Präsident der International Crisis Group; die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, rund eine Viertelmilliarde US-Dollar in die "maritime Sicherheit" Vietnams, Indonesiens, Malaysias und der Philippinen zu investieren, habe den Konflikt weiter angeheizt. Die Auseinandersetzungen rings um China rücken inzwischen auch in den Blick der Berliner Außenpolitik; schon vor geraumer Zeit war in der deutschen Hauptstadt von einem "Feuerring um China" die Rede.S. dazu Ein Feuerring um China (II) und Deutschland im Inselstreit . Ist es den westlichen Staaten in den Jahren des chinesischen Aufstiegs nicht gelungen, im Nahen und Mittleren Osten zu einer machtpolitisch günstigen Ausgangsstellung für den großen Machtkampf gegen die Volksrepublik zu gelangen, so schließen die Organisatoren der Münchner Sicherheitskonferenz für die Zukunft selbst einen "bewaffneten Konflikt" mit dem mächtigsten Rivalen des Westens nicht aus.Munich Security Report 2016. Boundless Crises, Reckless Spoilers, Helpless Guardians. www.securityconference.de.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 12.02.2016.

Fußnoten

Veröffentlicht am

17. Februar 2016

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