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Niemand flieht aus freien Stücken

Von Matthias Jochheim

Es ist gut und ein ermutigendes Zeichen, dass so viele Menschen, gerade auch Ärztinnen und Ärzte sich bereitwillig und spontan an Hilfsaktionen für die Hunderttausenden von Menschen beteiligen, die vor Zerstörung und Not in ihrer Heimat nach Europa und zu uns nach Deutschland geflohen sind. "Hilfsbereitschaft", gelebte Humanität sind vielleicht die besseren Begriffe hierfür, als die etwas seltsam anmutende "Willkommenskultur", die ja regierungsamtlich möglicherweise schon recht bald wieder von einer Abschiebungs-Unkultur abgelöst werden wird - Gesetzesverschärfungen sind bereits auf den Weg gebracht, und der Menschlichkeit sollen in Deutschland  rigide Obergrenzen gesetzt werden.

Dabei ist die tatsächliche Belastung unserer Gesellschaft, in einem der materiell reichsten Länder der Welt, durch die Fluchtwelle vergleichsweise gering. Man denke an Libanon: ein Land mit etwa 5,9 Millionen Einwohnern, das seit Jahrzehnten bereits Hunderttausende von palästinensischen Flüchtlingen beherbergt, hat in den letzten Monaten noch einmal über 1,5 Millionen Syrer aufgenommen, die vor dem grausamen Krieg in ihrer Heimat fliehen mussten! Und das reiche Deutschland mit seinen 80 Millionen Bürgern gerät in helle Aufregung über eine Zahl von Hilfesuchenden, deren Anteil im Verhältnis zur Bevölkerung im Zedernstaat nur etwa 10% ausmacht. Die Türkei, deren Regierung erheblich zum Krieg in Syrien beiträgt, wird großzügig entlohnt, damit sie die Grenzen nach Europa dichtmacht - die massiven Menschenrechtsverletzungen dort, die gerade wieder eskalieren, werden regierungsamtlich in Berlin großzügig übersehen.

Und es gibt einen weiteren, im Grunde noch gravierenderen Aspekt des aktuellen Dramas: Deutschland trägt als Mitverursacher schuldhafte Verantwortung für die Kriege, vor denen die Menschen fliehen: die größten Kontingente kommen aus Afghanistan ("Krieg gegen den Terror" mit deutscher Beteiligung seit 2001), Irak (Krieg der NATO-Partner USA und Großbritannien seit 2003), Syrien (Krieg der "Freunde Syriens", u.a. auch USA, Türkei, Saudi-Arabien, Frankreich und nun auch mit deutscher Militärbeteiligung). Eine grausame Ironie bewirkt, dass der deutsche "Partner" und Waffenkunde Saudi-Arabien just die Exekutionsformen praktiziert, die zum weltweiten Abscheu gegenüber dem sog. "Islamischen Staat" geführt haben. Ein weiteres makabres Beispiel für bodenlose Doppelmoral, der wir in  diesen Tagen pausenlos ausgesetzt sind.

Und nicht zu vergessen: viele Flüchtlinge versuchen, aus Kosovo nach Deutschland zu gelangen, ein Gebiet, das de facto ein NATO-Protektorat darstellt, mit permanenten westlichen Truppen u.a. der Bundeswehr, und mit einem dauerhaft etablierten US-Stützpunkt "Camp Bondsteel". Politisch ist Kosovo durch mafiöse Netzwerke charakterisiert, ökonomisch durch eine Arbeitslosigkeit insbesondere unter Jugendlichen von ca. 70 Prozent. Die Wirtschaftsverbindungen des alten Jugoslawiens sind fast restlos gekappt, die Perspektivlosigkeit gerade der Jungen deprimierend.

Leider viel zu selten hört man selbstkritische Erkenntnisse von verantwortlichen Politikern, meist, wenn sie ihre Ämter nicht mehr ausüben. So war vor einigen Monaten von Ex-Kanzler Schröder zu hören, der mit seiner Mitwirkung geführte Kosovo-Krieg sei natürlich völkerrechtswidrig gewesen. Und Tony Blair, zum Zeitpunkt der Invasion des Irak 2003 britischer Premier, gestand in einem CNN-Interview ein, dieser (westliche) Krieg sei wohl eine Ursache für die Entwicklung des "Islamischen Staat"!

Die Flüchtlingsströme, die nun auch Westeuropa erreicht haben, sind Ausdruck einer internationalen Krise, für die der Westen mit seinem kriegerischen Vorgehen eine besondere Verantwortung trägt. Mancher von uns erinnert sich noch an einen großartigen Bundespräsidenten Heinemann, der mahnte: "Wer mit dem Finger auf die Verfehlungen der anderen weist, zeigt dabei im gleichen Moment mit drei Fingern auf sich selber."
Es wäre dringend, solche Weisheit wieder an den Schalthebeln der Regierungsmacht zu wissen. Wir können darauf aber nicht warten, sondern müssen als informierte und engagierte BürgerInnen aktiv bleiben - mit Empathie für die Opfer und Entschiedenheit gegenüber den KriegstreiberInnen.

Quelle: IPPNW Blog - 07.01.2016.

Veröffentlicht am

18. Januar 2016

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