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Syrien: Zerstückeln heißt zerstören

Eine internationale Anti-IS-Koalition braucht zunächst ein klares Bekenntnis zur territorialen Integrität des Landes

Von Sabine Kebir

Oft wird gesagt, der Syrien-Konflikt könne nur gelöst werden, wenn außer dem Islamischen Staat (IS) auch Präsident Baschar al-Assad verschwinde. Dessen Regime habe die bislang 250.000 Bürgerkriegstoten maßgeblich zu verantworten. Solcherart einseitige Schuldzuweisung, die sich stets auf die Führungsperson eines Landes konzentriert, hat durchaus Tradition und gehorcht politischem Populismus. Zu erinnern wäre an den einstigen irakischen Staatschef Saddam Hussein, der als Wiedergänger Adolf Hitlers galt, oder an den Umgang mit Serbiens Präsident Slobodan Miloševic, der Ende der 90er Jahre im Westen zum Hauptschuldigen der jugoslawischen Bürgerkriege erklärt war. Es geht bei diesen Stigmatisierungen um Ziele, die weit über den Sturz von Galionsfiguren eines Regimes hinausreichen. Der Irak zeigt: Weder die Ächtung Saddams als Inkarnation des Bösen noch die Regierungsübernahme durch seine Gegner nach dem US-Einmarsch 2003 haben etwas zum Guten gewendet.

Hektische Aktivität

Auch im Falle Syriens geht es nicht allein um Assad und die alawitische Elite. Die eigentlichen Motive und Ziele der direkt und indirekt am Konflikt Beteiligten lassen sich freilich medial nicht mit ebenso starker Plausibilität vermitteln wie das Bild eines mutmaßlich psychopathischen Massenmörders. Dass Mitte 2011 brutale Gewalt von Regierungsseite beim Übergang vom Aufstand zum Bürgerkrieg zu beklagen war, kann nicht bedeuten, jene Gewaltpotenziale auszublenden, wie sie durch die Internationalisierung eines Konflikts entfesselt wurden, der zunächst zwischen syrischen Bürgern und der Regierung ausgebrochen war. An den 250.000 Toten ist eben nicht nur Assad schuld, sondern auch dessen Gegner, ebenso die hinter ihnen stehenden Mächte Saudi-Arabien, Katar, die Türkei und die USA, aber auch EU-Staaten wie Frankreich, die nicht nur durch Wegschauen zur Eskalation beitrugen.

Wenn die gebräuchliche Formel vom gebotenen Verschwinden Assads derzeit relativiert wird, dann mit der Begründung: Da Syrien nicht der nächste failed state sein dürfe, müsse man diesen Präsidenten noch eine Weile dulden und gar ein Zusammenwirken mit seiner Armee in Betracht ziehen. Dahinter verbirgt sich das Eingeständnis, dass der Zugriff auf ganz Syrien gescheitert ist. Das hektische Tempo, mit dem der westliche Militäreinsatz plötzlich hochgefahren wird, hat seine Ursache nicht nur - wie oft beschworen - in den Attentaten von Paris. Nur naiven Gemütern kann suggeriert werden, dass sich durch einen solchen Rachefeldzug die Terrorgefahr in Westeuropa vermindern lasse. Der eigentliche Grund für die Massierung militärischer Potenziale des Westens liegt im offenbar überraschend erfolgten russischen Eingreifen zugunsten der syrischen Regierungsarmee. Noch vor dem 13. November, dem Tag der Pariser Anschläge, sagte US-Präsident Barack Obama den "gemäßigten Rebellen" im Lager der Assad-Gegner nochmals 100.000 Dollar an Hilfsgeldern zu. Es komme darauf an, Teile des Landes einer Kontrolle durch Damaskus zu entziehen.

Das Zerstückeln von Staaten - oft durch Interventionen vorangetrieben - beschreibt eine Praxis, die seit dem Ende des Kalten Krieges immer wieder zu beobachten ist. Erinnert sei an die Teilung Jugoslawiens oder an die Annexion der Krim. Dabei ging es nur partiell um den Willen regionaler Bevölkerungen, stets jedoch um Einflusszonen größerer Mächte. Russland annektierte die Krim, um - von historischen Ansprüchen abgesehen - zu verhindern, dass sich bei einer möglichen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine das Kräfteverhältnis im Schwarzen Meer völlig zugunsten der westlichen Allianz verschöbe. Wladimir Putins Einsatz in Syrien gilt dem Erhalt der russischen Marinebasis Tartus am Mittelmeer. Sein Axiom: Es soll in unmittelbarer Nachbarschaft keinen islamistischen Brückenkopf geben. Immerhin ist ein Eingreifen hier - im Unterschied zur Übernahme der Krim - völkerrechtlich legitimiert, liegt doch ein Beistandsersuchen der von der UNO als legal anerkannten syrischen Regierung vor. Darin heißt es, nur durch externe Hilfe lasse sich die territoriale Integrität des Landes wiederherstellen.

Da der Westen, die Türkei und die Golfautokratien um Saudi-Arabien genau das Gegenteil anstreben, ist eine Einigung mit Russland über ein gemeinsames Vorgehen gegen den IS vorerst nicht möglich, auch wenn die Art der Intervention (vorzugsweise Luftangriffe) ähnlich erscheint - die Motive sind größtenteils gegensätzlicher Natur: Während die westlichen Bombardierungen ein Vorrücken sogenannter gemäßigter Rebellen in IS-Räume begünstigen sollen, will Russland einen Vormarsch der Regierungsarmee im ganzen Land unterstützen. Dass diese konträren strategischen Absichten zu Eskalationsszenarien führen - man denke an den Abschuss des russischen Kampfjets durch die Türkei -, liegt auf der Hand.

Fatale Kollaboration

Allmählich wird die Rolle deutlich, die der NATO-Partner und EU-Aspirant Türkei als direkter Nachbar Syriens in diesem nahöstlichen Großkonflikt spielt. Durch ihren kaum verdeckten Beistand für nicht nur "gemäßigte" Dschihadisten, sondern auch den IS, hat die Regierung Erdogan gezeigt, dass sie in Damaskus ein Regime wünscht, das sich - wie sie selbst - einer Re-Islamisierung der Gesellschaft verschreibt. Zugleich ist Ankara daran interessiert, durch eine Schwächung der kurdischen Autonomiebewegung den Norden und Westen Syriens in eine eigene Einflusszone zu verwandeln.

Der Abschuss der russischen Maschine und der Hinweis, dass man damit nicht nur eigenes Territorium, sondern auch türkischstämmige Bewohner Nordwestsyriens geschützt habe, deutet darauf hin, dass hier - ähnlich wie im Nordirak - Flugverbotszonen erwogen werden. Da allein die NATO ein solches Regime absichern könnte, würde der Nordwesten Syriens zum Schutzbezirk des Westens, in dem die Assad-Armee definitiv ausgesorgt hätte. Wer das mit dem Hinweis relativiert, dies befördere schließlich nebenher einen freien kurdischen Staat in ebendiesem Gebiet, unterschätzt entweder die türkischen Interessen oder blendet sie bewusst aus.

Das energische Eingreifen Russlands hat dazu geführt, dass einstweilen die Beherrschung der Küsten- und südlichen Bezirke Syriens durch die Assad-Regierung akzeptiert wird. Strittig ist, wer künftig in den heutigen IS-Domänen Nord- und Mittelsyriens das Sagen haben soll, sofern es gelingt, dieses Terrain dem Kalifat wieder zu entreißen. Bomben treffen zunächst einmal die Zivilbevölkerung und deren Lebensgrundlagen, während die Milizen des IS bekanntermaßen über keine großen Militärstützpunkte verfügen, sondern in Wohngebieten auf kleine, bewegliche Einheiten zurückgreifen. Bodentruppen wollen weder die USA noch Frankreich oder die Türkei gegen diese Kämpfer schicken. Was aus der Sorge vor hohen Verlusten wie der Überzeugung resultieren dürfte, dass die Befreier nicht ausreichend zu motivieren wären.

Bliebe die Option, der Arabischen Liga ein entsprechendes Anti-IS-Mandat zu erteilen. Nur wie sollte das gehen? Der Staatenbund wird von Saudi-Arabien dominiert, von wo aus dank privater Stiftungen die Finanzierung und Bewaffnung der Dschihad-Kämpfer aus der gesamten islamischen Welt maßgeblich gesteuert wird. Sollen die Saudis gegen ihre Günstlinge kämpfen?

Und ein gemeinsames Handeln des Westens und Russlands? Eine solche Entente müsste nicht nur der Priorität folgen, die territoriale Integrität Syriens zu erhalten. Gebraucht würden zudem sich annähernde Haltungen zum Islamismus. Bisher scheiterte eine Koalition der Vernunft nicht zuletzt daran, dass der Westen häufig versucht hat, islamistische Kräfte gegen Russland oder andere gegnerische Regimes zu instrumentalisieren. Nur ein Beispiel für das Prinzip der Kooperation zum gegenseitigen Vorteil war Libyen im Jahr 2011. Terroristische Milizen wie Ansar al-Scharia waren erst als Alliierte beim Gaddafi-Sturz willkommen, um anschließend dafür zu sorgen, dass der libysche Staat der Anarchie verfiel. Dass sich muslimische Hilfstruppen über Nacht vom Westen abwenden, ist eine Konsequenz solcher Zweckallianzen. Und das nicht erst seit Afghanistan.

In Syrien ließ sich Ähnliches beobachten, wenn "gemäßigte" Islamisten aus der Al-Nusra-Front und der Freien Syrischen Armee zum IS überliefen. Sollte der in Bedrängnis geraten, sind gewiss Rekonvertierungen denkbar - bis hin zum Eintritt in die Regierungsarmee. Es ist bekannt, dass sich deren Kommandeure nicht nur um eine Waffenruhe bemühen, sondern auch um die Eingliederung von Rebellen. Doch bleibt das ein frommer Wunsch, falls der Rückhalt intakter staatlicher Strukturen fehlt.

Quelle: der FREITAG   vom 14.12.2015. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

14. Dezember 2015

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