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Nicht in Berlin: Marlboros im Harem

Raqqa, heute unter dem Regiment des IS, war früher eine orientalische Stadt im interessantesten Sinn

Von Sabine Kebir

Als die heute-show neulich den Abzug der IS-Führung aus ihrem bisherigen Hauptquartier im nordsyrischen Raqqa kommentierte, wurde der Ort als ziemlich öde bezeichnet und zum Beweis ein grasender Esel gezeigt. Mich machte das wütend, aber die Wut war nur das saure Sahnehäubchen auf der Wut, die sich bei mir seit der Besetzung Raqqas durch den "Islamischen Staat" angestaut hatte. Denn ich kenne Raqqa! Und ich habe schönste Erinnerungen an die Gastfreundschaft der Menschen dort und an die gewaltigen historischen Monumente.

Zugegeben, der Großteil der erst vor gut 100 Jahren gegründeten Ansiedlung wirkt auf Europäer zunächst ziemlich öde. Spontanes privates Bauen bedeutet in der arabischen Welt bis heute meist schmucklose, nachlässig oder gar nicht verputzte fensterlose Fassaden von planlos nebeneinander errichteten Häusern an häufig unbefestigten Straßen. Saddek und ich wären deshalb auch gar nicht auf die Idee gekommen, Raqqa zu besuchen. Es war Achmed, unser Damaszener Journalistenfreund, der uns überredete, als er hörte, dass wir - wie ganz gewöhnliche Touristen - nur nach Palmyra wollten.

Zum Dichterwettbewerb

Und so ruckelten wir im Januar 1995 durch glitschiges Gelände zum unansehnlichen Tor seines Elternhauses in Raqqa. Sofort wurden wir in den Harem geleitet, wie heute oft noch ein Bereich heißt, der früher ausschließlich den Frauen vorbehalten war. Jetzt war der große, rechteckige, als arabischer Salon ausgestattete Raum immer noch der Hauptaufenthaltsort von etwa 25 Frauen jeden Alters, durchaus aber den Männern des Hauses und Besuchern nicht mehr verboten.

Bekrönt mit einem kurdischen Turban, gelehnt an bequeme Polster, thronte Achmeds Mutter als Herrscherin des Harems zwischen bunten Kissen und begrüßte uns mit herzlichen Küssen. Danach zogen sich die Männer in andere Gefilde zurück, während ich zum Verbleib eingeladen wurde. Die Herrscherin bot mir eine Marlboro an. Das brachte mich in Verlegenheit, weil ich das Rauchen aufgegeben hatte, freilich unter der Prämisse, mir in geselliger Raucher-Runde hin und wieder einen Rückfall zu erlauben. Als ich die Herausforderung annahm, wandelte sich das Wohlwollen auf den Gesichtern der allesamt paffenden Frauen in ausgelassene Freude. Von meiner Teilnahme an ihren Rauschritualen versprachen sie sich unterhaltsame Neuigkeiten aus der großen weiten Welt. Kaum hatte ich die erste Marlboro geraucht, wurde mir von irgendwoher eine ganze Schachtel zugeworfen, aus der ich mich bitte bedienen sollte. Und so ging es einige Tage lang. Hausarbeit schienen diese Frauen nur wenig zu verrichten. Die Mahlzeiten wurden uns wie auch bei Achmed in Damaskus als gekaufte Zubereitungen von köstlichen Pürees und Salaten gereicht.

Während ich im Marlboro-Rausch schmorte, besuchten Saddek und Achmed einen Dichterwettbewerb, bei dem es um die schönsten Verse zum Lob des eben zum Kronprinzen gekürten Baschar ging, des Sohns von Präsident Hafiz al-Assad. Nachts verzogen sich die Damen in die Ehebetten, zu Achmeds Brüdern, Onkeln und Cousins, während wir im Harem schliefen. Freundlicherweise wurden dann die an den Frontmauern hängenden Fotos des Präsidenten und seines Sohns umgedreht. Tagsüber dienten sie als Loyalitätsbeweis gegenüber lokalen Funktionären, mit deren Besuch offenbar stets zu rechnen war.

Die Stunde am Euphrat

Solche Äußerlichkeiten wogen in den Augen der Familie wenig. Man war zufrieden, die von der Herrscherin in die Ehe mitgebrachten beträchtlichen Ländereien, die einige Jahrzehnte der Kollektivwirtschaft gedient hatten, wieder selbst bearbeiten zu können. Auch außenpolitisch herrschte durchaus Optimismus. Achmed glaubte der Mitteilung eines katarischen Radiosenders, dass eine vernünftige Lösung des Streits mit Israel um die Golan-Höhen schon bald möglich sein werde.

An einem milchig-hellen Tag zeigte er uns eine hufeisenförmige Festungsmauer von enormer Breite, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Im 8. Jahrhundert schützte sie eine abbasidische Stadt, nahe viel älteren Großstädten, die seit der mesopotamischen Zeit hier existiert haben. Gerade war die Anlage bis auf die Höhe von fünf Metern restauriert worden. Ursprünglich war sie 20 Meter hoch gewesen! Noch mehr staunte ich, als Achmed erklärte, dass Raqqa einst die Hauptstadt des Kalifen Harun al-Raschid war, den ich für eine Märchenfigur aus 1.001 Nacht gehalten hatte. Und hier, der Weg, der am sogenannten Bagdadtor beginnt, war einst die lückenlos von Obstbäumchen beschattete Straße, auf der sich die Karawane des Kalifen nach Bagdad bewegte, das damals nur zweite Residenz war. Da ich gerade in einem modernen Harem untergebracht war, berührte mich besonders der Anblick des etwas windschiefen Harems al-Raschids: ein reich verzierter, mehrstöckiger Turm, genannt beit al-banat - Mädchenschloss.

Am schönsten aber war die Stunde am Euphrat, der - ganz anders als der träge und schlammige Nil - hier trotz erheblicher Breite schnell durch sein Bett schoss und glasklares Wasser auf smaragdfarbenem Grund präsentierte. Den schwimmbadähnlichen Eindruck erzeugte eine besondere Algenart. Als ich den herrlichen Fluss lobte, erklärte Achmed, dass er künftig weniger Wasser führen werde, weil die Türkei ihn stauen wolle. Das könne zum Krieg führen.

Dass sich der IS-Kalif Abu Bakr al-Baghdadi in Raqqa niedergelassen hat, war also ein für Syrer deutliches Symbol. Ich frage mich, ob meine Freundinnen leben. Und rauchen sie wieder? Das gestatten Islamisten nicht einmal den Männern, und es kann mit Abhacken der Nase, bei Rückfall mit dem Tod bestraft werden. Hat das reizende, aber recht wacklige Mädchenschloss die Bombardements überlebt? Und werden sich die Türkei und Syrien über die Wasser des Euphrat einigen?

Quelle: der FREITAG   vom 09.12.2015. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

10. Dezember 2015

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