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Tornados: Ein Schuss Krieg

Beim deutschen Einstieg in einen Kampfeinsatz gegen den IS wird so getan, als habe es das Afghanistan-Debakel nicht gegeben

Von Lutz Herden

Vergeltung und Geltungsmacht heißt die Devise, der sich Frankreichs Präsident verschrieben hat. Dabei erfand François Hollande in dieser Woche das Format Gipfel in Serie. Er traf sich mit David Cameron, Barack Obama, Angela Merkel und Wladimir Putin. Als sei westliche Führungsmacht von Washington nach Paris umgezogen.

Frankreich will mit Großbritannien, den USA und Deutschland - Russland wird noch auf Abstand gehalten - auf der Schwelle zu einer neuen "Koalition der Willigen" stehen. Diesmal nicht gegen Saddam Hussein, sondern den Islamischen Staat (IS). Die Entente soll an militärischer Schlagkraft aufbieten, was möglich ist. Wie deren Flaggschiff kreuzt der Flugzeugträger Charles de Gaulle bereits vor der syrischen Küste, als wollte Hollande sagen: Ich habe schon entschieden, wo und wie man diesen Konflikt austrägt. Tatsächlich? Wird nicht für einen Krieg getrommelt, ohne zu wissen, wie man ihn führen soll, um siegreich zu sein? Mit Bodentruppen oder nicht? Vorerst nicht, später vielleicht doch, ist zu hören.

Instrumentalisierte Opfer

In Anlehnung an Carl von Clausewitz ließe sich sagen, Krieg kann die Fortsetzung von Symbolpolitik mit militärischen Mitteln sein, über deren Sinn sich streiten lässt. Will heißen, bei allem Verständnis für den Drang der französischen Regierung, die Schuldigen am Inferno von Paris zu bestrafen, sind Zweifel angebracht. Sie resultieren nicht nur aus dem Eindruck, dass Hollande in seinem bellizistischen Furor überzieht und nicht wahrhaben will, weshalb der Islamische Staat ergebene Anhänger unter den Erniedrigten und Beleidigten französischer Vorstädte findet. Es verstärkt sich das Gefühl, die Attentatsopfer vom 13. November in Paris werden instrumentalisiert für einen Feldzug, der weit über den Anlass hinausgeht. Frankreichs postkoloniale Eskapaden in Westafrika haben die Region weder befriedet noch ökonomisch gestärkt. Werden sie jetzt auch noch forciert, dürften sich islamistische Kampfverbände dadurch erst recht herausgefordert wähnen.

In diesem Sog einer  messianisch anmutenden Selbstermächtigung ist auch Deutschland dabei, eine rote Linie zu überschreiten. Es lässt sich zum Krieg bitten, nicht aus Not oder akuter Bedrohung, sondern aus politischer Opportunität und aus dem bei einigen Politiker seit langem keimenden Verlangen, einem nach außen gerichteten "Gestaltungswillen" auf diese Weise Nachdruck zu verleihen. Mit sechs Tornado-Aufklärern, Systemen zur Luftbetankung und Satellitenaufklärung sowie einer Fregatte wird ein Syrien-Paket geschnürt, mit dem ein Kombattanten-Status winkt. Der wurde schließlich oft genug reklamiert.

Mut zur Zurückhaltung

Man erinnere sich der Reden, die Anfang 2014 auf der damaligen 50. Münchner Sicherheitskonferenz von Bundespräsident Gauck, Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministern von der Leyen gehalten wurden. Sie hatten den gleichen Tenor: Wir müssen unser weltpolitisches Format mit mehr Willen zur Verantwortung tragen - dazu gehören mehr Militärmissionen, vor allem Kampfeinsätze.

Noch 2003 zählte Deutschland nicht zur "Koalition der Willigen", die George Bush bei seinem Krieg und einer verheerenden Besatzungszeit im Irak sekundierten. Sowohl bei der Libyen-Intervention einiger NATO-Staaten ab März 2011 als auch bei einem sich abzeichnenden US-Angriff auf Syrien im Spätsommer 2013 vermied es Kanzlerin Merkel, sich derart zu exponieren, dass direktes militärisches Engagement unausweichlich war.

Es wurde in Berlin mit Erleichterung aufgenommen, als russische Vermittlung und das Angebot der Assad-Regierung, die eigenen Giftgas-Bestände - international verifiziert - vernichten zu lassen, zur Deeskalation führten. Präsident Obama verzichtete auf einen Militärschlag, von dem er selbst nicht überzeugt zu sein schien.

Die seinerzeit geübte Vorsicht hat Deutschland nicht nur Kritik wegen "Feigheit vor dem Feind" oder mangelnder Bündnissolidarität, sondern auch Einfluss und Respekt eingetragen. Es gab statt eines Mangels an Haltung den Mut zur Zurückhaltung. Natürlich vorwiegend aus eigenem Interesse. Die Risiken im Irak und in Libyen galten als enorm, innenpolitische Kollateralschäden einer Kriegsbeteiligung sollten vermieden werden.

Warum also jetzt? Ist der Partner Frankreich wirklich in einer solch prekären Lage, dass ihn Notwehr zum Handeln treibt? Träfe das zu, hätte der Bündnisfall nach Artikel 5 der NATO erklärt werden müssen.

Eigentlich sollte die afghanische Lektion doch Warnung genug sein: Asymmetrische Kriege gegen islamistische Gegner lassen sich weder mit Panzern noch mit Bombern gewinnen. Schon gar nicht werden dadurch die betroffenen Regionen oder Staaten stabilisiert - das Gegenteil ist richtig. Zumal es für einen Einstieg in den syrischen Krieg kein UN-Mandat geben wird. Also wird das Völkerrecht übergangen wie 1999 beim Krieg gegen Jugoslawien.

Nur war bei dieser NATO-Intervention absehbar, dass Serbien recht bald kapitulieren würde. Diesmal wird ein Krieg geführt, von dem alle wissen, dass er aus der Luft nicht gewonnen werden kann. Da mutet der Tornado-Einsatz wie ein Vorspiel an - wie der erste Schritt zu einer "Mission Creep" mit ungewissem Ausgang.

Quelle: der FREITAG vom 27.11.2015. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

29. November 2015

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