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Global Europe

Brüssel dringt auf den Ausbau des EU-Interim-Freihandelsabkommens (EPA) mit Ghana und seine Ausweitung auf ganz Westafrika. Wie EU-Delegierte vor wenigen Tagen bei einem Ghana-European Union Business Forum in der ghanaischen Hauptstadt Accra erklärten, müssten die Verhandlungen insbesondere mit dem westafrikanischen Staatenbündnis ECOWAS beschleunigt werden. Hintergrund ist der in hohem Tempo wachsende Wirtschaftseinfluss Chinas in Westafrika; deutsch-europäische Unternehmen fürchten, gegenüber der Volksrepublik ins Hintertreffen zu geraten. Die sogenannten Economic Partnership Agreements (EPA), welche die EU eigentlich mit sämtlichen Staaten Afrikas, der Karibik und der Pazifikregion abschließen will, stoßen seit Jahren auf Widerstand, da mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft der betroffenen Entwicklungsländer gerechnet wird. Strukturanpassungsprogramme in Ghana etwa, die in einigen Grundzügen den EPA ähneln, haben beträchtliche Teile der dortigen Landwirtschaft in den Ruin getrieben. Berlin unterstützt die Umsetzung der EPA, von denen es sich beträchtliche Vorteile für deutsche Unternehmen verspricht, mit Mitteln der sogenannten Entwicklungshilfe.

Umfassender Freihandel

Seit dem Inkrafttreten des sogenannten Partnerschaftsabkommens von Cotonou im Jahr 2002 verhandelt die EU mit den 79 "AKP-Staaten" (Afrika, Karibik, Pazifik) über umfassende Freihandelsabkommen, die unter dem Label Economic Partnership Agreements (EPA) firmieren. Im Kern zielen die EPA darauf ab, günstigere Investitionsbedingungen für europäische Unternehmen zu schaffen, ihre Exportchancen zu verbessern sowie Importe aus den AKP-Staaten - insbesondere Agrarprodukte und Rohstoffe für die europäische Industrie - zu verbilligen. Offiziell heißt es etwa beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), bei den EPA gehe es darum, die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den AKP-Staaten auf eine "WTO-konforme" Grundlage zu stellen.BMZ Referat 415, Juli 2010. Tatsächlich enthalten die EPA jedoch Regelungen, die deutlich über das hinausgehen, was bislang Gegenstand von WTO-Arrangements war. Sie sind Teil der "Global Europe"-Strategie, die von der EU-Kommission im Jahr 2006 formuliert wurde und der aggressiveren Durchsetzung der europäischen Wirtschaft gegenüber der Konkurrenz auf dem Weltmarkt dienen soll.Kommission der Europäischen Gemeinschaft: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer Globalisierten Welt. Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Brüssel den 4. Oktober 2006. Insbesondere Deutschland hat die Entwicklung federführend vorangetrieben.

Investitionsschutz

Im Detail sehen die EPA beispielsweise den umfassenden Schutz ausländischer Investitionen und aus ihnen resultierender Folgeinvestitionen vor, des weiteren eine weitreichende Öffnung und Deregulierung des Dienstleistungssektors. Erheblich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht wird für die AKP-Staaten der Aufbau eigener Industrien, da die EPA dazu verpflichten, diesbezügliche Subventionen fast vollständig zu streichen. Außerdem sollen binnen höchstens 25 Jahren 80 Prozent des Handels liberalisiert werden. Mittlerweile sind die Verhandlungen über den Abschluss der EPA ins Stocken geraten. Das Abkommen von Cotonou sah vor, die Verhandlungen bis Ende 2007 abzuschließen. Dies scheiterte aber daran, dass die EU gegenüber den AKP-Staaten auf ihren Maximalforderungen beharrte. Lediglich mit den Staaten der Karibik (CARIFORUM) kam es zum Abschluss eines umfassenden EPA, dessen Implementierung jetzt anläuft.

Teile und herrsche

Die EU behilft sich unterdessen mit einer Übergangslösung - mit sogenannten "Interim-EPA", die nach dem Prinzip "teile und herrsche" eingeführt werden. Waren die EPA ursprünglich als multilaterale Abkommen zwischen Staatengruppen konzipiert, so versucht die EU nun, die Interim-EPA auch als bilaterale Abkommen durchzusetzen. Dies schwächt die Verhandlungsposition der AKP-Staaten empfindlich. Mittlerweile wurden erste bilaterale Abkommen mit Ghana und Côte d’Ivoire unterzeichnet. Parallel dazu laufen Verhandlungen mit der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, der auch Ghana und Côte d’Ivoire angehören, über ein endgültiges EPA weiter. Das taktische Kalkül der EU besteht darin, mittels der Interim-EPA wirtschaftspolitische Standards zu schaffen, die in einem multilateralen Abkommen nicht mehr zu hintergehen sind.

Hegemoniekampf

Die Bemühungen, ökonomische Interessen der EU notfalls auch bilateral durchzusetzen, sind Teil einer neuen aggressiven Strategie, die auch unter dem Schlagwort "Global Europe" firmiert. Im Wesentlichen geht es darum, die Stellung europäischer Konzerne gegenüber den Konkurrenten auf dem Weltmarkt - vor allem Unternehmen aus den USA und China - zu verbessern.Kommission der Europäischen Gemeinschaft: Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein wettbewerbsfähiges Europa in einer Globalisierten Welt. Ein Beitrag zur EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Brüssel den 4. Oktober 2006. Entwürfe zur "Global Europe"-Strategie wurden ausdrücklich auch mit deutschen und europäischen Industrieverbänden (BusinessEurope, BDI) abgestimmt.

Zusammenbruch der Produktion

Am Beispiel Ghana lassen sich die zu erwartenden sozio-ökonomischen Folgen der europäischen Hegemoniebestrebungen verdeutlichen. Schon jetzt ist die ghanaische Agrarproduktion infolge der durch den IWF verordneten Strukturanpassungsprogramme, die unter anderem die Streichung von Subventionen und Mindestpreisgarantien vorsehen, nicht mehr konkurrenzfähig. Offen zeigt sich dies unter anderem im Niedergang der ghanaischen Geflügel- und Tomatenproduktion, die sich gegenüber der subventionierten Konkurrenz aus der EU nicht mehr behaupten kann. Mittlerweile werden nur noch elf Prozent des nationalen Geflügelkonsums durch die einheimische Produktion gedeckt, der Rest kommt aus der EU. Ähnlich verhält es sich mit dem Tomatenanbau. Bereits jetzt deckt Ghana neunzig Prozent seines Tomatenverbrauchs durch EU-Importe. Einst hatten neunzig Prozent der Bevölkerung im Osten des Landes Tomaten gepflanzt. Aufgrund der IWF-Programme, die Subventionen strichen und die Kreditvergabe einschränkten, brach die ghanaische Tomatenproduktion jedoch zusammen.

Nicht mehr konkurrenzfähig

Beobachter rechnen damit, dass sie diese Entwicklung durch das EPA zwischen der EU und Ghana verschärft. Betroffen wären rund drei Millionen Bauern und Händler. Einer Studie der Nichtregierungsorganisation EUROSTEP zufolge könnte sich nur ein Viertel der ghanaischen Industrie ohne Importzölle gegen die Konkurrenz aus den westlichen Metropolen behaupten.New ACP-EU Trade Arrangements: New Barriers to Eradicating Poverty? Auch habe nach Inkrafttreten des EPA der ghanaische Staat mit einem jährlichen Verlust an Staatseinnahmen in Höhe von neunzig Millionen Euro zu rechnen. Dennoch unterstützt die Regierung in Accra das Interim-EPA. Ein wesentlicher Grund hierfür liegt darin, dass Ghana von deutschen und europäischen Entwicklungshilfegeldern abhängig ist; diese dienen als Faustpfand in den Verhandlungen.

Handelsrekorde

Den Nutzen der EPA für die deutsche Wirtschaft hat erst vor kurzem Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel hervorgehoben. In einer Rede vor dem Afrika-Verein der Deutschen Wirtschaft im April pries er den Ausbau deutscher Wirtschaftstätigkeit in Afrika. Im Jahr 2010 sei das Handelsvolumen Deutschlands mit Subsahara-Afrika auf den Rekordwert von 21,9 Milliarden Euro gestiegen. Damit das Wachstum anhalte, sei es allerdings von Bedeutung, "Schutz für Produktionsanlagen, geistiges Eigentum und Rechtssicherheit für (…) Investitionen" zu gewährleisten. Dies entspricht den programmatischen Eckpunkten der EPA.Grußwort von Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel zur Mitgliederversammlung des Afrika-Vereins der Deutschen Wirtschaft. Rede des Bundesentwicklungsministers am 14. April 2011 in Berlin; www.bmz.de.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Um die Umsetzung des einzigen bisher umfassend bestehenden EPA zu kontrollieren, setzt Berlin inzwischen Instrumente der sogenannten Entwicklungshilfe ein. Die bundeseigene Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) betreibt in der Karibik ein Projekt, das ausschließlich der Umsetzung des EPA zwischen der EU und den Karibikstaaten dient. Es soll die Umsetzung des Abkommens, dessen gravierende Folgen für die Wirtschaft der Karibikstaaten absehbar sind, "in entwicklungsfördernder Weise" anleiten.Unterstützung der regionalen Institutionen bei der Umsetzung des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens (Economic Partnership Agreement - EPA) in der Karibik; www.gtz.de.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 25.05.2011.

Fußnoten

Veröffentlicht am

26. Mai 2011

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