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“Man muss Grenzen festlegen”

Interview: Die Friedensforscherin Margret Johannsen über Neuwahlen in Israel und die Chancen für Mitte-Links sowie Rechts-Ultrarechts

Von Lutz Herden

Der Freitag: Frau Johannsen, in Israel ist die Regierungskoalition gescheitert. Halten Sie die Erklärung von Premier Netanjahu, dafür sei die Illoyalität von Justizministerin Livni und Finanzminister Lapid verantwortlich, für nachvollziehbar?

Margret Johannsen: Ich glaube, Netanjahus Motiv, die Koalition zu beenden, war ein anderes. Er konnte mit einer in sich zerrissenen Regierung nichts mehr anfangen. In diesem Kabinett war ja gewissermaßen die Opposition eingebaut, die jedoch bei Themen wie Nationalstaatsdefinition oder Siedlungsbau diametral andere Positionen hatte. Damit konnte Netanjahu den Siedlern in seiner Partei politisch nicht mehr gerecht werden.

Das heißt, Netanjahu nimmt jetzt Kurs auf ein reines Rechtskabinett ohne liberale Enklaven.

Es kann darauf hinauslaufen. Die Gewaltexzesse der letzten Wochen stärken innerhalb der Bevölkerung die Religiösen. Und wenn in Brennpunkten wie Jerusalem alles so bleibt, wie es ist - und danach sieht es aus -, dann wird Netanjahu wegen des Machterhalts die Leute im Kabinett halten, die jetzt besonders gestärkt werden. Das sind die Religiösen, die Ultras.

Was halten Sie von der These, Jair Lapid habe mit seiner Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) die Koalition beenden wollen, um eine Mitte-Links-Regierung mit der Arbeitspartei (Awoda) zu bilden?

Das ist nicht ausgeschlossen. Die Lapid-Partei war als Neugründung ein Schnellschuss und konnte sich über fehlende Vorschusslorbeeren nicht beklagen, vergeben von einer Bevölkerung, die oft tief frustriert ist von der politischen Klasse. Lapid scheint mir vom ideologischen wie charakterlichen Zuschnitt ein flexibler Politiker zu sein. Das heißt, ich könnte mir einen Wahlkampf zwischen orthodoxen Extremisten und pragmatischen Zionisten wie ihm vorstellen.

Im Namen eines neuen Friedensprozesses?

Nur wenn da substanzielle Fortschritte in Aussicht stehen.

Welche?

Man muss Grenzen festlegen - das wäre der erste Schritt. Es geht um den Streit, wem gehört Jerusalem? Wem gehört die Westbank? Diese Konflikte lassen sich nur eindämmen, wenn man sich auf feste Grenzen einigt - das ist die Forderung der Palästinenser, der sich die USA und die EU inzwischen nähern. Israel verliert an Rückhalt für seinen intransigenten Kurs und ist alles andere als eine Insel der Seligen. Ich will nicht sagen, dass ich in dieser Hinsicht optimistisch bin, aber für mich gibt es nur einen Weg zur Entspannung: Verhandeln und Grenzen bestimmen.

Grenzen, mit denen die Siedlungen Israel zugeschlagen werden?

Hier wird man sich wohl auf Kompromisse einigen müssen. Ich vermute, sie laufen darauf hinaus, dass die großen Siedlungen - im Grunde Kleinstädte - Israel zugeschlagen werden und die Palästinenser durch Landtausch territorialen Ersatz bekommen. Damit die Autonomiebehörde ihr Gesicht wahren kann, müssen die Palästinenser für ihren Staat ein Territorium erhalten, das vom Umfang her so groß oder klein ist wie der Gazastreifen und die gesamte Westbank, die trotz jordanischer Kontrolle bis zum Nahostkrieg 1967 de facto palästinensisches Territorium war.

Was geschieht mit Ost-Jerusalem?

Ich könnte mir vorstellen, dass man sich der Idee von einer Hauptstadt für zwei souveräne Staaten nähert, die gleichwohl eine offene Stadt und keine geteilte ist. Im Englischen lässt sich das eleganter ausdrücken: Sharing, not dividing Jerusalem.

Eine völkerrechtliche Innovation.

Mehr noch ein Wunder.

Das weiter entfernt ist denn je.

Leider. Es wird derzeit exzessive Gewalt ausgeübt, weil sich der Konflikt durch junge Leute auf beiden Seiten fundamentalistisch auflädt. Ich will jetzt nicht den IS als Folie nennen, aber die Brutalität, mit der zuletzt Menschen niedergemetzelt oder verbrannt worden sind, das ist auf jeden Fall eine neue Qualität. Ein Selbstmordattentat ist eine schlimme Sache, hat aber nicht diesen Ruch von Barbarei, wie sie im Moment vorherrscht. Wenn man mit Äxten Leute zerstückelt oder jemanden lebendig verbrennt, dann ist das exzessive Barbarei. Das Erschreckende daran: Sie geht von jungen Leuten aus. Wenn das so weitergeht, dann Gnade diesem Land Gott.

Bisher hat die Anerkennung des Staates Palästina durch mehrere Parlamente von EU-Staaten wie die schwedische Regierung Israel wenig beeindruckt. Oder täuscht der Eindruck?

Zumindest gibt es in der US-Administration Zeichen von größerer Ungeduld, worin ich ein Fünkchen Hoffnung sehe, nicht mehr. Und was die EU angeht, so ist die teilweise Anerkennung Palästinas als Staat ein Zeichen dafür, wie sich Israel immer mehr in die Isolation manövriert.

Sollte die EU aktiver werden?

Ja, durch Kritik an der forcierten Ausdehnung israelischer Siedlungen in der Westbank. Ich habe jüngst mit einem israelischen Kollegen gesprochen, der sagte: Es muss wehtun. So ist eine Kampagne denkbar, die israelische Klubs aus den Fußballwettbewerben der UEFA ausschließt, an denen diese Mannschaften bisher teilnehmen. Wenn also in Europa Stimmen lauter werden, die sagen, Israel verhält sich nicht so, wie man das nach unseren europäischen Werten erwartet, dann kann das schon Wirkung hinterlassen. Und es sind patriotische Israelis, die solche Überlegungen äußern und sagen: So muss es sein, anders bewirkt man gar nichts.

Können die Palästinenser etwas tun, um die Neuwahl der Knesset am 17. März zu beeinflussen?

Da sehe ich kaum Möglichkeiten. Viele arabische Israelis werden sich vermutlich der Stimme enthalten oder die arabischen Parteien wählen. Ich denke, man kann es Mahmud Abbas nicht zumuten, dass er dazu aufruft, für eine Partei wie die sozialdemokratische Awoda zu votieren, die zuletzt so sehr versagt hat, dass es sich ohne einen Kurswechsel um eine Gruppierung handelt, die zum Untergang verurteilt ist.

Quelle: der FREITAG vom 24.12.2014. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

25. Dezember 2014

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