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Vom START-Abkommen in die nukleare Sackgasse

20 Jahre nach Inkrafttreten des ersten Vertrags über die Reduzierung strategischer Arsenale ist die atomare Abrüstung zum Erliegen gekommen

Von Wolfgang Kötter

Am 5. Dezember 1994 trat der erste Vertrag zur Reduzierung der strategischen Rüstungen (Strategic Arms Reduction Treaty - START) zwischen Russland und den USA in Kraft. Es war ein historischer Vertrag, der da am 31. Juli 1991, fünf Monate vor dem Zerfall der UdSSR, von US-Präsident George H. W. Bush und Michail Gorbatschow für die Sowjetunion unterzeichnet worden war. Sah er doch erstmals eine Verminderung der tödlichen Arsenale auf jeweils 1.600 Trägersysteme mit maximal 6.000 nuklearen Gefechtsköpfen, die Halbierung der schweren sowjetischen Interkontinentalraketen und eine Obergrenze von 4.900 auf Interkontinentalraketen und U-Booten stationierten Atomsprengköpfen vor. Weitere Festlegungen betrafen Verifikationsmaßnahmen wie Vor-Ort-Inspektionen und ein Verbot, bei Raketentestflügen die übermittelten Flugdaten zu verschlüsseln. Nach dem Ende der Sowjetunion wurde die Gültigkeit des START-Abkommens in einem Zusatzprotokoll auf die USA, Russland, Weißrussland, Kasachstan und die Ukraine umgeschrieben. Die letzteren drei Staaten haben danach ihre Atomwaffen vollständig abgerüstet.

Weitere Schritte auf dem steinigen Weg nuklearer Abrüstung

Nachdem sich zu Beginn der 1990er Jahre ein weiteres START-Abkommen abzeichnete, wurde START in START I umbenannt und lief Ende Dezember 2009 aus. START II wurde am 3. Januar 1993 von George H. W. Bush und Boris Jelzin für Russland unterzeichnet, trat jedoch nie formal in Kraft. Beide Seiten hielten sich aber weitgehend an die Hauptbestimmungen. Der Vertrag verlangte den Abbau der strategischen Atomsprengköpfe auf jeweils 3.000 bis 3.500. Der vereinbarte Verzicht auf Mehrfachsprengköpfe wurde von Russland nach der Aufkündigung des ABM-Vertrages über die Begrenzung der Raketenabwehrsysteme durch die USA in 2002 für obsolet erklärt.

Ein weiterer Vertrag über die Reduzierung Strategischer Offensivwaffen (Strategic Offensive Reduction Treaty - SORT) wurde am 24. Mai 2002 von Wladimir Putin und George W. Bush unterzeichnet und trat am 1. Juni 2003 in Kraft. Die USA und Russland verpflichteten sich darin, innerhalb von zehn Jahren ihre strategischen Kernwaffenpotenziale um zwei Drittel, auf je 1.700 bis 2.200 zu verringern. Problematisch daran war, dass die abgebauten Sprengköpfe nicht vernichtet, sondern lediglich eingelagert wurden, sodass sie jederzeit für die Umrüstung auf neue Kernwaffen wie Mini-Nukes und Bunkerbrecher hätten verwendet werden können. Außerdem gab es keine Kontrollbestimmungen. Der Vertrag lief Ende 2012 aus.

Neu-START-Vertrag (START III)

Nach der frostigen Periode in den gegenseitigen Beziehungen während der Bush-Regierung strebten beide Seiten mit der Regierungsübernahme durch Barack Obama in den USA einen Neustart an und handelten ein drittes Reduzierungsabkommen aus. Am 8. April 2010 unterschrieben Russlands Präsident Dmitri Medwedjew und sein amerikanischer Amtskollege Obama in Prag den START-III-Vertrag. In dem 20-seitigen Abkommen mit über hundert Seiten Protokollen und technischen Anhängen verpflichten sich die Partner, ihre nuklearstrategischen Trägermittel - U-Boote, Raketen und Langstreckenbomber - innerhalb von sieben Jahren auf 800 zu halbieren und die Zahl der Sprengköpfe um fast ein Drittel auf 1.550 zu reduzieren. Gleichzeitig wurden jährlich 18 gegenseitige Vor-Ort-Inspektionen vereinbart. Kritiker meinen allerdings, dass die Zahlen durch bereits vollzogene Verringerungen und angesichts modifizierter Zählmethoden in der Realität weitaus geringer ausfallen.

Die USA haben ihre vertraglichen Verpflichtungen bislang vor allem durch die Reduktion von "Phantomwaffen" erfüllt, d.h. durch Trägerraketen, die nicht mehr Kernwaffen zugeordnet sind, obwohl sie Nuklearausrüstung tragen könnten. Und Russland hat ohnehin im Wesentlichen veraltetes Material verschrottet. Moskau hat dem Dokument zudem eine Zusatzerklärung beigefügt, wonach es den Vertrag nur einhalten will, wenn die Sicherheit des Landes nicht durch neue Rüstungsinitiativen der USA bedroht werde. Gemeint ist damit vor allem die strategische Raketenabwehr. Ungeachtet dessen ist Russland daran interessiert, die Arsenale zu verringern, weil es sich die riesigen Mengen atomarer Vernichtungsmittel wie im Kalten Krieg nicht mehr leisten kann. Sie zu unterhalten, zu warten und zu modernisieren verschlingt enorme Mittel, die dringend für andere Zwecke benötigt werden. Moskau besitzt schon jetzt weniger einsatzbereite Trägermittel als das erlaubte Limit.

Getrübte Perspektiven

Trotz mehrfacher Absichtsbekundungen aus Washington und Moskau zur Bereitschaft weiterer nuklearer Abrüstung nach dem In-Kraft-Treten des START-III-Vertrages am 5. Februar 2011, gibt es seither keine weiteren greifbaren Fortschritte. Und immer noch existieren auf der Erde etwa 16.350 dieser verheerenden Massenvernichtungswaffen, die ausreichen, um die Menschheit mehrfach zu vernichten. Unter den weltweit neun Atomwaffenbesitzern stehen die USA und Russland mit über 93 Prozent einsam an der Spitze.

Doch auf den zu verhandelnden Gebieten bestehen viele komplizierte sicherheitspolitische, militärische und auch technische Probleme, sodass selbst bei gutem Willen beider Seiten schnelle Ergebnisse kaum zu erwarten sind. Hinzu kommt, dass sich bisher die westlichen Pläne zur Errichtung von Raketenabwehrsystemen als Haupthindernis für Verhandlungen zum weiteren Abbau der Nukleararsenale erwiesen haben. Moskau befürchtet, dass der Raketenschild der anderen Seite das eigene strategische Raketenpotential bedrohen könnte und verlangt rechtsverbindliche Nichtangriffsgarantien. Der Westen hat dies bisher verweigert und sich lediglich zu einer entsprechenden politischen Erklärung bereit erklärt.

Außerdem haben sich die Chancen für neue Abrüstungsvereinbarungen seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise im Frühjahr weiter verschlechtert. Beide Seiten sind in tradierte Verhaltensmuster und die traditionelle Großmachtpolitik des vergangenen Kalten Krieges zurückgefallen. Die NATO verstärkt ihre militärische Präsenz in Osteuropa zu Land, zu Wasser wie auch in der Luft und will dort neue Militärstützpunkte errichten. Russland verlegt Truppen und Raketentests weiter in Richtung Westen und will seine strategischen Atomstreitkräfte bis 2020 vollständig erneuern. Moskau stellt mit den START-Vereinbarungen und dem INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen sogar bisher erreichte Ergebnisse bei der atomaren Abrüstung zur Disposition. Der Dialog um Gemeinsamkeiten bei der nuklearen Raketenabwehr ist eingefroren. Der US-amerikanische Kongress drängt auf eine Beschleunigung der Stationierung von Abwehrraketen in Osteuropa. Außerdem sollen die Mittel zur Erfüllung der START-Abrüstungsverpflichtungen sowie für die Erhöhung der nuklearen Sicherheit in Russland gestrichen werden. Dabei handelt es sich beispielsweise um die sichere Lagerung radioaktiver Stoffe und die Verschrottung ausrangierter nuklearer Waffensysteme sowie den Kampf gegen den illegalen Handel mit Strahlungsmaterial.

Laut den aktuellen Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI ist der nach dem Kalten Krieg begonnene Abrüstungsprozess praktisch vollständig zum Erliegen gekommen. Stattdessen haben die Atommächte umfangreiche Modernisierungsprogramme begonnen, um neue Atomwaffen zu entwickeln und die Einsatzbereitschaft auf Jahrzehnte hin sicherzustellen. Die USA planen, im nächsten Jahrzehnt 355 Mrd. Dollar in ein Programm zur Modernisierung und den Erhalt ihrer Kernwaffen zu investieren. Atombomber, U-Boote wie auch Interkontinentalraketen werden durch neue ersetzt. Auch Russland arbeitet an der der Entwicklung neuer Interkontinentalraketen, die nach eigenen Angaben bei Bedarf über den Südpol fliegen und dadurch die US-amerikanische Raketenabwehr wie auch das Global-Strike-Programm aushebeln könnten. Außerdem werden die atomaren U-Boote aus sowjetischen Zeiten durch eine neue Flotte mit erweiterter Träger-Kapazität für Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen ersetzt.

So deuten die Zeichen der Zeit eher auf ein erneutes Wettrüsten und das über Jahrzehnte mühsam errichtete Vertragssystem von Rüstungskontrolle und Abrüstung schwebt in existenzieller Gefahr. Dennoch darf die atomare Abrüstung angesichts der vorhandenen Vernichtungspotentiale gerade in Zeiten von Krisen und Konflikten nicht aus den Augen verloren werden.

Raketenabwehrvertrag

1972 schlossen die USA und die damalige Sowjetunion den ABM-Vertrag (Anti-Ballistic Missile Treaty). Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden Russland, Kasachstan, Weißrussland und die Ukraine Rechtsnachfolger des Vertrags. Der Vertrag verbot den Aufbau von nationalen (d.h. das Territorium von Russland oder den USA schützenden) Abwehrsystemen gegen ballistische Raketen. Außerdem schloss das Abkommen die Stationierung von Systemkomponenten für Raketenabwehr auf dem Meer, in Flugzeugen und im Weltraum aus. Um freie Hand für die Entwicklung eines globalen Raketenabwehrsystems zu bekommen, kündigten die USA den Vertrag zum Juni 2002 auf.

INF-Vertrag

Am 8. Dezember 1987 unterzeichneten das sowjetische Staatsoberhaupt Michail Gorbatschow und der amerikanische Präsident Ronald Reagan in Washington den INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces), der eine ganze Kategorie von Waffen verbietet.
In dem Abkommen verpflichten sich beide Seiten, alle Raketen und Marschflugkörper (Cruise Missiles) mit mittlerer und kürzerer Reichweite von 500 bis 5 500 km zu beseitigen. Dementsprechend vernichteten in den nachfolgenden vier Jahren die UdSSR 1846 und die USA 846 Raketen. Das entsprach etwa 3-4 Prozent ihrer nuklearen Gesamtpotentiale. Der Vertrag ist unbefristet.

Atomwaffenarsenale weltweit (2014)

Land Anzahl
Russland ca. 8.000
USA ca. 7.300
Frankreich 300
China 250
Großbritannien 225
Pakistan 100 - 120
Indien 90 - 110
Israel 80
KDVR 6 - 8
gesamt ca. 16.350

Quellen: SIPRI 2014 / Bulletin of the Atomic Scientists 2014

Veröffentlicht am

05. Dezember 2014

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