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Anti-Terror-Kriege: Die NATO und der innere Feind

Die Spannungen zwischen der Türkei und den restlichen Staaten des Nordatlantikpakts zeigt vor allem eines: Das Bündnis hat sich überlebt

Von Lutz Herden

Ist die westliche Allianz noch darauf eingerichtet, Partnerstaaten wie die Türkei zu haben? Wenn eine Mehrheit der NATO-Mitglieder einen Anti-Terror-Krieg führt, ist anzunehmen, dass alle auf einer Seite der Front stehen und den gleichen Gegner meinen. Beim US-geführten Feldzug gegen sunnitische Dschihadisten in Syrien und im Irak ist das jedoch nicht der Fall. Die größte Streitmacht der Allianz bombardiert Positionen des Islamischen Staates (IS) im eingekesselten Kobane und wirft Waffen ab. Die zweitgrößte Armee der NATO steht mit ihren Panzern an der Grenze vor Kobane und verhindert, dass Waffen, Munition und humanitäre Hilfe dorthin gelangen. Die Entscheidung des türkischen Staatschefs nützt dem IS, den der amerikanische Präsident bekämpfen lässt.

Tayyip Erdogan und Barack Obama sind Alliierte und Antipoden zugleich. Was der eine nicht will, kann der andere nicht lassen. Ob damit eine Zerreißprobe für den Nordatlantikpakt droht, wird man erst nach der Schlacht um Kobane wissen. Doch so viel ist jetzt schon gewiss: Das Ausscheren der Türkei signalisiert, wie die NATO mit ihrem grenzenlosen Interventionsanspruch an Bündnisgrenzen stößt, die durch ihre Mitgliedsstaaten gesetzt werden.

Zu abweichend die Interessen, zu aufreibend die asymmetrischen Kriege, zu unterschiedlich die Beteiligung daran, zu hegemonial die USA, als dass daraus homogenes Handeln werden könnte. Diesem Zustand angemessen ist ein Bündnis auf Zeit, das wieder auseinandergeht, wenn es seinen Zweck erfüllt hat. Davon überfordert ist eine Allianz auf Dauer, deren statisches Regelwerk aus einem verflossenen Jahrhundert stammt und durchaus zur Gefahr werden kann.

Was geschieht, sollte die Türkei wegen der unsicheren Lage an ihrer Grenze zu Syrien den NATO-Bündnisfall reklamieren? Im Artikel 5 des NATO-Vertrags heißt es, die Mitgliedsländer "stimmen darin überein, dass ein bewaffneter Angriff auf einen oder mehrere (…) als Angriff auf alle von ihnen angesehen wird". Schon einmal schien es so weit zu sein, als im Juni 2012 ein türkischer Militärjet über internationalen Gewässern von einem syrischen Jäger abgeschossen wurde. Zwar stellte sich später heraus, dass es viel Alarm um einen nie restlos aufgeklärten Vorgang gab, doch wurden ungeachtet dessen Konsequenzen gezogen. Mehrere NATO-Staaten, darunter Deutschland, stationierten Patriot-Systeme in der Türkei. Es galt das Prinzip Beistand im Bündnis, um die Regierung Erdogan zu beschwichtigen, doch wurden zugleich strategische Tatsachen geschaffen. Schließlich lassen sich mit einer solchen Raketen-Abwehr mögliche Flugverbotszonen überwachen und Kräfteverhältnisse im syrischen Bürgerkrieg beeinflussen.

Wird ein nahöstlicher Frontstaat derart zum NATO-Vorposten, hat das besonders dann etwas zu bedeuten, wenn sich dessen Führung nichts sehnlicher wünscht, als das Assad-Regime abzuräumen und in Syrien das türkische Modell eines islamisierten Staates zu implantieren. Käme es dazu, hätte sich auch die westliche Allianz als Pate dieser regionalmächtigen Obsession erwiesen. Nur wozu wollen dann NATO-Staaten wie die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, die Niederlande und andere einen Gottesstaat des IS im Irak verhindern?

Das Bündnis fühlte sich nach dem Epochenbruch von 1989/90 von der Angst getrieben, seinen Feind verloren zu haben. Nun wird ihm gar der Luxus eines äußeren und inneren Feindes zuteil. Wenn das kein Wink des Schicksals ist.

Quelle: der FREITAG vom 23.10.2014. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

23. Oktober 2014

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