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Antje Vollmer: Krieg und Krise: Pazifismus - jetzt erst recht!

Nur die Bevölkerung trotzt den Kriegsbefürwortern

Die grüne Politikerin und Theologin Antje Vollmer ist verärgert, dass sich einige ihrer Parteikollegen widerstandlos der Kriegslogik anschließen. Und auch sonst seien pazifistische Einstellungen in der Öffentlichkeit Mangelware. Warum nur?

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Von Antje Vollmer

Pazifistische Überzeugungen stehen aktuell nicht hoch im Kurs. Ganz Deutschland wird stattdessen mit Schreckensbildern des islamistischen Terrors einem hochmoralischen Härtetest unterzogen. Er ähnelt den Fragen, mit denen einst Wehrdienstverweigerer drangsaliert wurden: Was tun Sie, wenn vor Ihren Augen ihre Mutter von einer Soldateska brutal vergewaltigt wird und Sie haben eine geladene Pistole in der Hand?

Die Mutter unserer Kompanie, Ursula von der Leyen, posiert mitten im kurdischen Kampfgebiet, um den fremden Bodentruppen Mut einzuhauchen. Ein Parteivorsitzender der Grünen, Cem Özdemir, verkündet, mit der Jogamatte unterm Arm sei da halt nicht viel auszurichten.

Solche Witzelei ist in der Partei, die ohne die Friedensbewegung nie entstanden wäre, schon an sich eine Schändung von Geist und Mythos ihrer Gründergeneration, von Petra Kelly bis Joseph Beuys. Außerdem ist sie historisch von erschreckender Unbedarftheit. Dennoch regt sich kaum jemand darüber auf.

Viele Gründe für die Notwendigkeit des Krieges

Der Pazifismus scheint rückstandsfrei abgewickelt und ins Reich der Träume aus der Jugendzeit der Bundesrepublik verbannt. Militärische Optionen umgeben sich mit der Aura zeitgerechter Verantwortungsethik und dem Ruf nach dem Erwachsenwerden von Staaten, die ihre neue Rolle in der Welt markieren wollen wie Hunde ihr Revier.

Die modernen Bellizisten rechtfertigen sich meist mit dem Verweis auf die "schändliche" Appeasement-Politik der Alliierten gegenüber Hitler zur Zeit des Münchner Abkommens. Oder es heißt, die heutige globale Welt mit ihren asymmetrischen Schlachten erfordere eben eine grundlegende Revision des traditionellen Kriegs- und Völkerrechts.

Erstaunlich und ein einziger Quell von Hoffnung ist, dass die Bevölkerung von einer zähen Skepsis erfüllt bleibt. Sie misstraut diesem neuen Menschenrechts-Bellizismus. Diese meist stumme, notorisch kriegsunwillige Mehrheit bewahrt nicht nur die traumatischen Bilder der letzten Weltkriege, der eigenen Schuld an fremden Völkern und der Bombenkriege im kollektiven Gedächtnis.

Kaum Politiker mit gewaltfreien Ideen

Sie hat auch die überzeugenden Beispiele von Politikern vor Augen, die alles, aber auch alles daran setzten, ihren Kampf gewaltfrei zu führen, um so auch dem Gegner einen Ausweg zu einer friedlichen gemeinsamen Zukunft offen zu lassen.

Das war das Beispiel des gewaltlosen Widerstands eines Gandhi gegen das britische Empire, eines Nelson Mandela gegen das blutige Apartheid-Regime, eines Vaclav Havel und eines Lech Walesa, ohne deren Vorbild auch ein Michail Gorbatschow nie gewagt hätte, seine Soldaten in den Kasernen zu lassen.

Nein, es fehlt nicht an Beweisen für die politische Qualität des Pazifismus, es fehlt an Politikern, die aus diesen Jahren der Blütezeit gewaltfreier Konfliktlösungen Konsequenzen für heute ziehen. Wollen die selbsternannten Totengräber des Pazifismus wirklich behaupten, eine Oligarchin Julia Timoschenko, ein Multimillardär Chodorkowski und eine Punk-Band Pussy Riot gehörten in diese Reihe der Freiheitskämpfer der Menschheit?

Pazifisten nur gefragt, wenn militärische Optionen scheitern

Sollen wir wirklich intellektuell zustimmen, die IS-Soldateska sei aus dem reinen Nichts des Bösen entstanden und hätte weder mit dem Irak-Krieg, noch mit dem Afghanistan-Desaster oder der jahrelangen Destabilisierung des ganzen Nahen Ostens zu tun?

Manchmal scheint mir, die Pazifismus-Verächter rufen immer besonders gern die Pazifisten zur Verantwortung und an ihre Seite, wenn sie am Ende ihrer Logik angekommen sind und die düsteren Schatten des von ihnen verursachten Chaos selbst nicht mehr ertragen.

Der Rausch ist vorbei. Da hilft nur die Einsicht, dass die eigene triumphale Strategie gescheitert ist und selbst einen Ausweg braucht.

Antje Vollmer, geboren 1943 in Lübbecke/Westfalen, studierte Evangelische Theologie in Berlin, Heidelberg, Tübingen und Paris, war Mitglied der Fraktion Die Grünen im Deutschen Bundestag (1983-1990, 1994 bis 2005) sowie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

Sie engagierte sich für eine Entschädigung von Zwangsarbeitern, NS- und Euthanasieopfern, Homosexuellen und Wehrdienstverweigerern, begann einen Dialog mit Terroristen der RAF bis zu deren Selbstauflösung und war 2001 Mitinitiatorin des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs.

Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Medaille der Karlsuniversität Prag (1997), den Hannah-Arendt-Preis (1998), den Carl von Ossitzky-Preis (1989), den Masaryk-Orden der tschechischen Republik für Verdienste um die deutsch- tschechische Aussöhnung (2003), das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (2005) und den Dorothee-Fliess-Preis für Widerstandsforschung (2012).

Quelle:  Deutschlandradio Kultur - Beitrag vom 13.10.2014. Dieser Text wird hier mit freundlicher Genehmigung von Antje Vollmer veröffentlicht.

Veröffentlicht am

15. Oktober 2014

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