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TTIP: Wir sind dann mal Weg

Vielleicht bewegt sich die Europäische Union ja doch langsam in Richtung Demokratisierung

Von Michael Jäger

Nachdem die Berufung Jean-Claude Junckers zum Präsidenten der EU-Kommission erreicht wurde, steht ab Mitte September ein weiterer Versuch europäischer Demokratisierung an. Da beginnt die sogenannte Europäische Bürgerinitiative (EBI), Unterschriften gegen das nordatlantische Freihandelsabkommen TTIP zu sammeln. Dieses Mittel der Einflussnahme wurde durch den Vertrag von Lissabon geschaffen, und es stellt sich die Frage, wie wirksam es sein kann.

Die EBI hat das Recht, die Europäische Kommission zu einem Rechtsakt aufzufordern. Wenn in mindestens sieben EU-Staaten insgesamt eine Million Unterschriften gesammelt werden können, muss die Kommission tätig werden. Auf den ersten Blick ist das nicht viel. Denn sie ist nur verpflichtet, über die Aufforderung innerhalb von zwei Monaten zu beraten, und muss eine Zurückweisung des Antrags nicht einmal begründen. Es wäre dennoch verfehlt, nur ein Petitionsrecht in der Regelung zu sehen. Die EBI verfügt nämlich immerhin über das "Initiativrecht" und ist damit dem Europaparlament gleichgestellt, das sich ebenfalls an die Kommission wenden muss, wenn es ein Gesetz will. Von sich aus darf das Parlament keines erlassen. Es kann nur Gesetze bestätigen oder ablehnen, die von der Kommission ausgearbeitet worden sind. Aber damit ist es ein wenig an der Macht beteiligt, was man von der EBI nicht sagen kann.

Illusion eines Erfolgs

Bisherige Erfahrungen mit der EBI ergeben ein zwiespältiges Bild. In einem Fall ist es zwar schon gelungen, die vorgeschriebene Zahl der Unterschriften zu erreichen, ja sogar erheblich zu übertreffen. Bei einer Initiative gegen die Absicht der Kommission, die Privatisierung der Wasserversorgung zu erleichtern, kamen im vorigen Jahr fast 1,9 Millionen Unterschriften zusammen. Das ist allein schon ein Erfolg. Es zeigt sich, dass Mobilisierung über Staaten- und Sprachgrenzen hinweg möglich ist. Man sieht auch, wie sie erreicht werden konnte. Wenn nicht auch Gewerkschaften ihre Mitglieder von der Aktion informiert hätten, wäre es viel schwieriger gewesen.

Man kann trotzdem nicht sagen, diese EBI habe es unter den Europäern zu einem hohen Bekanntheitsgrad gebracht. Und was sind schon zwei Millionen Unterschriften bei über 350 Millionen wahlberechtigten "Unionsbürgern"? Man muss freilich das Erreichte an den Bedingungen des Problems messen. Eine Bürgerinitiative, die in Hamburg die Kommunalisierung der Stadtwerke anstrebt, hat es natürlich leichter, sich öffentlich bekannt zu machen.

Immerhin wurde erreicht, dass die Kommission auf die Regelung verzichtete, gegen die sich die EBI gerichtet hatte. Dass dies ein Erfolg der EBI gewesen sei, hören wir allerdings vor allem von der Kommission selbst, die sich gern eine demokratische Feder an den Hut steckt. In Wahrheit ist sie vor dem Druck der deutschen Regierung zurückgewichen. CDU und CSU hatten sich von Anfang an in klaren Beschlüssen gegen die Regelung ausgesprochen, von der sie wussten, dass sie ihre Wahlchancen schmälerte, und nur Philipp Rösler, als FDP-Vorsitzender auch Bundeswirtschaftsminister, hatte sie trotzdem in Brüssel unterstützt. Der Geisterfahrer wurde gestoppt und damit war die Sache vom Tisch. Nein, das war kein Erfolg der EBI. Deren Träger wussten es selbst: Sie hatten von dem Recht Gebrauch gemacht, ihrerseits eine gesetzliche Regelung vorzuschlagen, und sahen, dass die Kommission darauf nicht einging. Die Kommission nahm nur die eigene Regelung zurück. Trotzdem bleibt der Mobilisierungsansatz als solcher ein Verdienst.

Gewerkschaften sind gefragt

Auf diesem Weg weiterzugehen ist sicher erfolgversprechend. Gerade die Gewerkschaften könnten viel daraus machen. Sie als Erste hätten es in der Hand, das Mittel der Unterschriftensammlung mit dem Aufruf zum Protest auf der Straße in mehreren Staaten zu verbinden. Wie sollte das nicht europäische Öffentlichkeit herstellen: wenn gleichzeitige Demonstrationen in Rom und Madrid, Paris und Berlin am Ende noch durch die Übergabe einer Petition in Brüssel gekrönt würden? Wenn die Gewerkschaften einmal anfangen, ihre Kämpfe zu europäisieren, werden sie sich des Mittels wohl bedienen. Bisher haben sie es kaum getan, was angesichts der prekären Lage der Beschäftigten in den südeuropäischen Staaten erstaunlich genug ist. Es gab zwar den europäischen Streik- und Aktionstag am 14. November 2012, der sich gegen die besonders von der deutschen Regierung erzwungene Austeritätspolitik richtete. Außerdem einige Solidaritätsstreiks bei Angriffen auf Beschäftigte multinationaler Konzerne. Aber natürlich könnte viel mehr geschehen. Wenn der DGB mehr Abstand zur SPD hielte, er könnte sich mit anderen europäischen Gewerkschaften auf radikale Gesetzesentwürfe einigen und sie, gestützt auf die Straße und Millionen Unterschriften, nach Brüssel tragen.

Das Recht zur EBI-Gründung enthält ein paar geradezu revolutionäre Elemente, die nur der klugen und entschlossenen Nutzung harren. So ist die Regelung interessant, dass eine EBI durch einen Bürgerausschuss in Brüssel registriert werden muss, dem Personen aus mindestens sieben EU-Staaten angehören. Von Demonstration zu Demonstration reisend und auch in den Medien präsent, könnte ein solches Komitee versuchen, sich europaweit bekannt zu machen und dann in der Art einer koordinierenden Parteiführung zu agieren. Wenn man hört, dass im Bürgerausschuss der jetzt gegründeten EBI gegen das Freihandelsabkommen TTIP Susan George vertreten ist, die Mitbegründerin von Attac, erscheint eine solche Perspektive nicht ganz unrealistisch.

Von Interesse ist auch, dass es für gültige Unterschriften ein zuverlässiges Internetportal geben muss, das die Kommission über jetzt bestehende Übergangszustände hinaus noch nicht entwickelt hat. Indem sie es tut, leistet sie, ob sie will oder nicht, Zuarbeit für ein System europaweiter Volksentscheide.

Das unter dem Kürzel TTIP verhandelte Projekt ist wirklich eine Gefahr. So scheinen Brüssel und Washington dabei, sich auf gemeinsame Produktstandards zu einigen, was dazu führen kann, dass in der EU noch bestehende ökologische Regelungen abgebaut werden. Außerdem würde allen nordatlantischen Unternehmen das Recht eingeräumt, gegen missliebige Gesetze, europäische Umweltgesetze zum Beispiel, vor internationalen Gerichten zu klagen. Die Entmachtung der europäischen Parlamente einschließlich des Europaparlaments wäre die Folge. Besonders interessant ist aber in unserem Zusammenhang eine dritte Gefahr: Es sollen Gremien von Konzern-Lobbyisten geschaffen werden, die ungewollte Gesetze verhindern können, noch bevor sie ins Europaparlament gelangen. "Regulatorische Zusammenarbeit" wird das genannt - da fragt man sich doch, warum der Lobby so viel Regulation zugestanden wird und der EBI so wenig. Die Lobby wird an der Gesetzgebung beteiligt, während die "Unionsbürger" nur folgenlose Petitionen einreichen dürfen? Das sollte krass genug sein zur Entzündung europaweiten Protests. Vorausgesetzt, man gewinnt auch Großorganisationen zur Teilnahme - nicht zuletzt die Gewerkschaften.

Quelle: der FREITAG vom 12.08.2014. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger und des Verlags.

Veröffentlicht am

13. August 2014

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