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Die deutsch-katholische Kriegskirche 1914-1918

Zur digitalen Neuauflage von Heinrich Missallas Untersuchung "Gott mit uns"

Von Peter Bürger

Heinrich Missalla, geboren 1926 in der Arbeiterstadt Wanne-Eickel, gehörte von 1986 bis zum Jahr 2000 dem Präsidium der deutschen Sektion der Internationalen Katholischen Friedensbewegung pax christi an. Zwischen 1987 und 1996 ist er auch Geistlicher Beirat der katholischen Friedensbewegung gewesen. Sein 1968 erschienenes Buch "Gott mit uns"Heinrich Missalla: "Gott mit uns". Die deutsche katholische Kriegspredigt 1914-1918. München: Kösel 1968. - Vgl. als guten Überblick für die protestantische Seite Karl Hammer: Deutsche Kriegstheologie 1870-1918. München: dtv 1974. [Darin auf S. 73-85 auch ein Kapitel "Die katholische Kirche während des Ersten Weltkriegs".] beleuchtet konzentriert und allgemein verständlich die Inhalte der deutschen "römisch-katholischen" Kriegspredigt zwischen 1914 und 1918.

Der für Erkundigungen zum Thema bis heute schier unverzichtbare Titel ist vergriffen. Hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges hat pax christi mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Kösel-Verlages eine digitale Neuauflage vorgelegt (www.paxchristi.de), deren freie Verbreitung ausdrücklich erwünscht ist.Abrufbar über: http://www.paxchristi.de/meldungen/view/5879371336253440/Gott%20mit%20uns . - Die Erschütterung über ein düsteres Kapitel der Kirchengeschichte sollte möglichst viele Christen anspornen, eine glaubwürdige Antwort auf die Remilitarisierung der Politik in unserer Gegenwart nicht auf die lange Bank zu schieben.

Zur Vorgeschichte der Untersuchung

In seiner Autobiographie schreibt Heinrich Missalla zur akademischen Vorgeschichte des Werkes: "Der Münsteraner Pastoraltheologe Theodor Filthaut hat mit seinen Doktoranden, zu denen auch Franz Kamphaus gehörte, 1966 eine Untersuchung durchgeführt, ob, in welcher Weise und in welchem Maße die Predigten in den vergangenen hundert Jahren politisch geprägt waren. Das Resultat sollte in einem Sammelband veröffentlicht werden. Meine eigenen Erfahrungen im Krieg und in der Kriegsgefangenschaft veranlassten mich, das Thema ›Kriegspredigt im Ersten Weltkrieg‹ zu wählen und zu bearbeiten. Das Ergebnis meiner Forschung war überraschend und bestürzend. Es war bekannt, dass evangelische Theologen und Pfarrer sich in ihrer Treue zum protestantischen Kaiserhaus begeistert für den Krieg eingesetzt hatten. Niemand hatte jedoch geahnt, dass auch katholische Priester und Theologen, Schriftsteller und Bischöfe sich ähnlich engagiert und kriegsbegeistert geäußert hatten. Der plötzliche Tod von Theodor Filthaut ließ die Veröffentlichung der gesammelten Aufsätze scheitern. Johann Baptist Metz ermutigte mich jedoch, meinen Beitrag im Alleingang zu publizieren. Die Publikation fand nicht nur in der Bundesrepublik eine breite Resonanz. Das war der Anlass, mich weiter mit diesem Thema zu befassen. Ich hatte allerdings noch keine Ahnung, in welchem Ausmaß die Probleme von Krieg und Frieden mich in den folgenden Jahren beschäftigen würden."Heinrich Missalla: "Nichts muss so bleiben, wie es ist". Mein katholisches Leben im 20. Jahrhundert. Oberursel: Publik-Forum 2009, S. 110.

Sogar der Union-Verlag der Ost-CDU zeigte 1970 Interesse, eine Lizenzausgabe des Buches herauszugeben. Die Vertreterin des DDR-Verlages wünschte jedoch förmlich in letzter Minute eine Änderung. Missalla schreibe auf der letzten Seite, "mit der Predigt vom verheißenen Reich Gottes werde der Blick für eine größere Zukunft frei gemacht, und damit werde gleichzeitig jede bestehende Ordnung als vorläufig, als nicht dauernd, als nicht endgültig infrage gestellt"Ebd., S. 160.. Dies, so lautete der Einwand, gelte zwar für das kapitalistische System, nicht jedoch für den entwickelten Sozialismus in der DDR. Der Autor ließ sich auf eine Änderung der Stelle nicht ein, und so kam das Verlagsprojekt nicht zustande.

Biographischer Hintergrund

Heinrich Missalla musste als junger Katholik selbst Krieg und Kriegsgefangenschaft (bis Juni 1946) miterleben. Seit seiner Entlassung aus dem berühmten, von Franz Stock geleiteten "Stacheldrahtseminar" für deutsche Kriegsgefangene in Chartres hat ihn die Frage nach dem Frieden nicht mehr losgelassen. Wie tief sein Ringen noch nach sieben Jahrzehnten von den Schrecken und Widersprüchen der Vergangenheit bestimmt ist, konnten wir auf dem Katholikentag 2014 beim pax christi-Podium "Weltkriege: Verpasste Friedenschancen der Kirche" auf sehr menschliche Weise spüren.

Die Prägungen des katholischen Milieus zielten auch im "Dritten Reich" auf eine vaterländische Grundhaltung, gespeist u.a. aus frommen Heldengestalten und populären Versatzstücken der sogenannten Reichstheologie. H. Missalla schreibt dazu in seinen Erinnerungen:

Mit dem 15. Februar 1943 - kurz nach dem Ende der Schlacht um Stalingrad - wurde ich gezwungen, bei der leichten Flak-Abteilung 839 als Luftwaffenhelfer anzutreten. Mit 16 Jahren mussten wir Schüler Soldaten ersetzen, die an der Front gebraucht wurden. […] Wenn ich für einige Stunden "Ausgang" hatte, traf ich mich mit einigen Freunden zu Gesprächen bei unserem Jugendseelsorger. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Krieg jemals problematisiert oder dass darüber gesprochen wurde, dass im Krieg getötet wird. Das Wichtigste war nicht das fünfte, sondern das sechste Gebot. (Nach 1945 schien sich für lange Zeit auch in diesem Punkt nicht viel geändert zu haben. Eine der ersten hektographierten "Arbeitsskizzen" des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend "für die Arbeitskreise der Vorbereitungsaktion" für den 1956 wieder eingeführten Wehrdienst lautete "Die Laterne vor der Kaserne. Wehrdienst und die Beziehung der Geschlechter".) Das Hauptanliegen unseres Vikars schien darin zu bestehen, uns auf die Kirche stolz zu machen und unser katholisches Selbstbewusstsein zu stärken - was ihm bei mir zweifellos gelungen ist. Es gab für uns keinen Zweifel, dass Deutschland bedroht wurde und dass wir als Deutsche und zumal als Katholiken unsere Pflicht gegenüber unserem Vaterland zu erfüllen hatten, schon um verleumderischen Angriffen der Nazis auf die Kirche den Boden zu entziehen. Neben dem schon erwähnten Merksatz gab es einen anderen: Ein katholischer Junge lässt sich von niemandem an Tapferkeit übertreffen. Zur Mahnung und Erinnerung daran hatten viele von uns über ihren Betten ein Bild des Bamberger Reiters, von Sankt Georg oder von Sankt Michael hängen - Bilder der Tapferkeit und des Kampfes gegen das Böse. Michael war zudem seit Jahrhunderten der Schutzpatron der Deutschen. Diese Einstellung war wohl vor allem die Reaktion auf das Bemühen der NS-Propaganda, Kirchen und Christentum als schwächlich und dekadent darzustellen. Demgegenüber wurde in der katholischen Jugend der Stolz auf das Christ- und Katholischsein gestärkt: Uns brauchte niemand zu erzählen, was es heißt, gut deutsch zu sein. Wir wussten, wer den Germanen die Kultur gebracht, wer den deutschen Osten besiedelt und dort die Dome gebaut hatte.

Das Wort "Reich" hatte eine seltsame, fast magische Wirkung auf meine Fantasie: Da gingen Gottesreich und Christi Reich, Heiliges Römisches Reich deutscher Nation und "Drittes Reich" ineinander über. Für uns war "Christus Herr der neuen Zeit", und was jetzt noch nicht christlich, ja sogar heidnisch geprägt war, das würde ihm eines Tages dienen. Jetzt war nur eines wichtig: Dass wir tapfer und treu unsere Pflicht erfüllten, gleichgültig, was um uns herum passierte. Und je unbegreiflicher im Verlauf des Krieges alles Geschehen wurde, umso wichtiger war der Glaube: Gott wird alles zum guten Ende führen. Mir kommt es vor, als sei der Glaube an die Bedeutung des "Opfers" und die Möglichkeit einer Art von sakramentaler "Wandlung" auch der Geschichte nie so stark gewesen wie in jenen Jahren: Wenn wir nur treu sind und auch in den schwierigsten Situationen des Krieges und der Gefangenschaft uns "bewähren" - Bewährung war das in der katholischen Jugend vielleicht am häufigsten gebrauchte Wort -, wenn wir unser Leben und Schicksal Gott anbieten, wird er es annehmen und verwandeln wie das eucharistische Brot. Unser Opfer - das war meine, unsere Überzeugung - war nötig für die Neuwerdung Deutschlands.Ebd., S. 47 und 52-53.

Nachfolgende Forschungen für die Zeit des Zweiten Weltkrieges

Doch wie reimte sich dies alles etwa zusammen mit dem Wissen, dass die Nationalsozialisten die Juden verfolgten, unbequeme Katholiken und Leutepriester ins Konzentrationslager oder unter das Fallbeil schickten …? Heinrich Missallas Erinnerungen zeigen, dass man auf mysteriöse Weise an einer Unterscheidung zwischen dem obersten Kriegsherr der deutschen Wehrmacht und dem Führer der "Feinde Christi" festhielt - ohne dies letztlich irgendwie begründen zu können:

Erst später habe ich erfahren, dass Hans Niermann, der letzte Reichsführer der "Sturmschar" - dem profiliertesten Verband junger katholischer Deutscher vor seiner Auflösung -, der kurz vor Ende des Frankreichfeldzugs gefallen ist, von seinen Kameraden auf einem weißen Betttuch auf die Stufen des Altars einer französischen Kirche gelegt worden ist - nach seinem Selbstverständnis ein Opfer für ein neues Deutschland. Auch später habe ich im Gespräch mit älteren Priestern immer wieder erfahren, wie sehr für sie der Glaube bestimmend gewesen ist, Gott werde auch das wandeln, was wir nicht mehr zu durchschauen vermögen, sofern wir nur unsere "Pflicht" tun und uns "bewähren". Dieser Glaube führte zu einer großen Gelassenheit und ließ alle schwierigen äußeren Umstände des Soldatenlebens und der Gefangenschaft leichter ertragen; waren doch Hunger, Krankheit und Todesgefahr "nur" das leibliche Leben betreffende Faktoren, die das "Eigentliche", den Glauben an und das Verhältnis zu Gott, nicht tangierten.

Das Thema "Politik" wurde sowohl unter den Luftwaffenhelfern als auch später beim Militär gemieden. Es gab gelegentlich Äußerungen wie: "Der wird abgeholt, dich holen sie auch." Es gab also ein irgendwie geartetes Wissen um mysteriöse und gefährliche Vorgänge, bei der die Geheime Staatspolizei, die Gestapo, eine beängstigende Rolle spielte. Aber es blieb immer bei Andeutungen und allgemeinen Redewendungen. Es herrschte das Gefühl vor, sich bei diesem Thema auf unsicherem und heiklem Gelände zu bewegen, und niemand traute sich, Fragen zu stellen. Ich habe mich selber oft gefragt, was hier im Spiel war, habe aber keine eindeutige Antwort gefunden. Ich wusste, dass die Nazis gegen Juden, Christentum und Kirchen waren, und darum konnte ein Christ kein Nazi sein. Aber der Einsatz für Deutschland und der Dienst in der Wehrmacht hatte für mein Empfinden mit der Partei nichts zu tun, und diese Ansicht fand sich bei vielen Soldaten auch lange nach dem Ende des Krieges. Erst während der Kriegsgefangenschaft dämmerte mir, dass diese Unterscheidung zwischen dem Nein zur Partei und dem Ja zur Wehrmacht konstruiert war, vielleicht, um sich nicht der bitteren Realität stellen zu müssen, aus der man keinen Ausweg sah. Denn die Wehrmacht war Hitlers Wehrmacht, der Krieg war sein Krieg, und wenn wir auch die HJ-Armbinden von unseren Uniformen entfernten - wir trugen trotzdem Hitlers Uniform.Ebd., S. 53-55.

Gehorsam gegenüber der staatlichen Obrigkeit und Gehorsam als erste Soldatentugend, diese beiden Punkte waren gleichsam Bestandteile des Katechismus; auch die Wahnidee eines christlichen OpfertodesVgl. hierzu Herbert Koch: Der geopferte Jesus und die christliche Gewalt. Düsseldorf: Patmos 2009. auf den Schlachtfeldern wurde von niemandem hinterfragt. Daran hatte sich nach 1918 nichts geändert. Auch deshalb müssen wir - sieben Jahrzehnte nach Niederwerfung des Faschismus - von den Abgründen "deutsch-katholischer" Kriegstheologie und Kriegsassistenz in zwei (!) Weltkriegen sprechen. Heinrich Missalla wollte den Widersprüchen seiner zutiefst kirchlich geprägten Jugendzeit auf den Grund gehen. Er hat als Theologe den ganzen Komplex in drei weiteren Büchern dargestellt. Seiner gründlichen Untersuchung zur "Kirchlichen Kriegshilfe"Heinrich Missalla: Für Volk und Vaterland. Die Kirchliche Kriegshilfe im Zweiten Weltkrieg. Königstein: Athenäum Verlag 1978. im Zweiten Weltkrieg stehen eine Dokumentation der Schriften von "Hitlers Feldbischof" Franz Justus RarkowskiHeinrich Missalla: Wie der Krieg zur Schule Gottes wurde. - Hitlers Feldbischof Rarkowski. Eine notwendige Erinnerung. Oberursel: Publik-Forum 1997. und die Erschließung ausgewählter "Briefe von katholischen Theologen und Predigttexte von Kriegspfarrern aus den Jahren 1940 bis 1944"Heinrich Missalla: Für Gott, Führer und Vaterland. Die Verstrickung der katholischen Seelsorge in Hitlers Krieg. München: Kösel 1999. - Vgl. ebenfalls H. Missallas Vorwort in Hans Prolingheuer / Thomas Breuer: Dem Führer gehorsam: Christen an die Front. Die Verstrickung der beiden Kirchen in den NS-Staat und den Zweiten Weltkrieg. Oberursel: Publik-Forum 2005, S. 154-157. zur Seite. Diese Arbeiten basieren auf der Überzeugung, dass es am allerwenigsten uns Christen gestattet ist, die historische "Wahrheit" zugunsten geschönter Selbstbilder ("Kirche als Religion") unter den Tisch fallen zu lassen.Man denke allein an die mörderische Verfolgung von ungezählten polnischen Priestern und Laien, die direkt nach Hitlers Angriff gegen Polen einsetzte. Als diese Verbrechen, die der Weltkirche doch nicht verborgen blieben, ins Werk gesetzt wurden, läuteten an deutschen Kirchen die "Siegesglocken"! - Noch 2009 hatte H. Missalla Anlass zu folgenden Feststellungen: "Was das Verhalten der Kirche im Krieg angeht, so haben die Hierarchen bisher jegliche Stellungnahme verweigert; erst recht gibt es kein Eingeständnis, dass die Kirche den Hitler-Krieg durch ihre Aufforderungen an die Gläubigen und insbesondere an die Soldaten, tapfer und opferbereit ihre ›Pflicht‹ zu erfüllen, unterstützt hat. Sie halten es in dieser Hinsicht mit einigen ihrer Vorgänger, die schon 1946 erklärt hatten: ›Soll eine innere Gesundung des Volkes angebahnt werden, so muß alles, was an Gestapo, Konzentrationslager und ähnliche Dinge erinnert, aus dem öffentlichen Leben verbannt werden. Sonst greift eine innere Vergiftung Platz, die einen moralischen und religiösen Aufstieg aufs äußerste erschwert, wenn nicht unmöglich macht.‹ Das hier geforderte Verschweigen, Vergessen und Verdrängen wurde auf das eigene Verhalten im Krieg ausgeweitet, denn dieselben Bischöfe hatten noch vier Jahre zuvor die Gläubigen aufgefordert: ›Mit der ganzen Autorität unseres heiligen Amtes rufen wir auch heute wieder zu: Erfüllet in dieser Kriegszeit eure vaterländischen Pflichten aufs treueste! Lasset euch von niemanden übertreffen an Opferwilligkeit und Einsatzbereitschaft‹." (Heinrich Missalla: "Nichts muss so bleiben, wie es ist". Oberursel 2009, S. 201-202.) - Je frömmer ein Kirchenhistoriker ist, desto radikaler sollte er bei der Erhebung der Fakten das Handwerk des kritischen Geschichtswissenschaftlers betreiben.

Kirchengeschichte und Gegenwart

Die "katholische" Kriegsassistenz im Ersten Weltkrieg wurde in unserem Land ausgeführt von Bischöfen, Universitätstheologen, Seelsorgern, Politikern, KulturschaffendenVgl. dazu exemplarisch die erschreckenden Befunde im Werk von zwei prominenten westfälischen Katholiken (Wagenfeld, Wibbelt) in Peter Bürger: Plattdeutsche Kriegsdichtung aus Westfalen 1914-1918. Karl Prümer - Hermann Wette - Karl Wagenfeld - Augustin Wibbelt. = daunlots. internetbeiträge des christine-koch-mundartarchivs am maschinen- und heimatmuseum eslohe. nr. 50. Eslohe 2012. www.sauerlandmundart.de (Wagenfeld polemisierte geradezu gegen Benedikt XV.; Wibbelt verschwieg die päpstlichen Friedensinitiativen und pflegte leidenschaftliche Feindseligkeit gegenüber christlichen Pazifisten.) und sogenannten einfachen Laien. (Gleiches gilt für den Beistand zugunsten der Kriegsführung Adolf Hitlers.) Nach 1918 gab es deutsche Katholiken, die - unter dem Eindruck der Botschaften und Friedensinitiativen von Benedikt XV. stehend - einen grundlegend neuen Weg einschlagen wollten und Brücken für ein neues Europa bauten.Vgl. Dieter Riesenberger: Die katholische Friedensbewegung in der Weimarer Republik. Düsseldorf: Droste 1976. - Eine gute Übersicht zu den Friedensbemühungen von Benedikt XV. bietet Martin Lätzel: Die Katholische Kirche im Ersten Weltkrieg. Zwischen Nationalismus und Friedenswillen. Regensburg: Pustet 2014. Doch sie waren aufs Ganze gesehen eine kleine Minderheit und hatten zur Spätzeit der Weimarer Republik längst wieder das Gefühl, gegen eine Mauer anzurennen.

In einer Erklärung vom 23. Juni 2014 schreibt der pax christi-Präsident Bischof Heinz Josef Algermissen:

[…] Im August 1914 zogen die deutschen Truppen unter dem Jubel der Bevölkerung und dem Läuten der Glocken zum Kampf aus. Dieser Weg in den Krieg wurde in Deutschland von kirchlicher Seite unterstützt, mitunter von offener Begeisterung begleitet. Obwohl die katholische Kirche wegen ihres universalen Charakters stets Distanz zum Nationalismus des 19. Jahrhunderts gehalten hatte, traten besonders am Anfang des Weltkrieges Bischöfe, Priester und Gläubige in großer Zahl an die Seite derer, die den Krieg als moralische und geistige Erneuerung begrüßten. Wir wissen heute, dass die Kirche damit Schuld auf sich geladen hat. - Zudem versuchte die Moraltheologie, die Vorstellung von soldatischem Gehorsam, Opferbereitschaft und Pflichterfüllung bis in den Tod klar zu umreißen und in den Menschen fest zu verankern. Diese Auffassungen wurden auch durch die grausamen Erfahrungen des Krieges später zunächst nicht in Frage gestellt. […]

Wir müssen aus heutiger Sicht erkennen, dass erst die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und damit zusammenhängend auch des Zweiten ein stärkeres Engagement der Kirche für den Frieden und eine Abkehr von der Rechtfertigung von Kriegen begründete. Im Wort "Gerechter Friede" aus dem Jahr 2000 schrieben wir katholischen deutschen Bischöfe: "Die schrecklichen Erfahrungen der beiden Weltkriege haben in unserer Gesellschaft ein geschärftes sittliches, besonders auch friedensethisches Bewusstsein wachsen lassen, das wir als wertvolles Erbe auf Dauer bewahren wollen." Im Hinblick auf diese Einsicht ist heute zu erkennen und zu bekennen, dass sich damals Bischöfe in ihrer Verkündigung und theologischen Billigung des Krieges geirrt und verirrt haben. Die Katholiken und der Erste Weltkrieg. Erklärung des pax christi-Präsidenten Bischof Heinz Josef Algermissen, Fulda, zum Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Berlin/Fulda, 23.06.2014. http://www.paxchristi.de/meldungen/view/5910711175741440/Die%20Katholiken%20und%20der%20Erste%20Weltkrieg .

Die durch den kirchlichen Beistand für zwei Weltkriege aufgeworfenen Fragen betreffen u.a. die Überhöhung des Kriegstodes in einer abstrusen Opferlehre (Kriegsmartyrium), den angeblich von Gott angeordneten Gehorsam gegenüber der staatlichen Obrigkeit, die Kreation von Feindbildern unter Missbrauch des Namens Gottes sowie die Verquickungen von Theologie und Verkündigung mit nationalkirchlichen, parteibezogenen, staatlichen (bzw. nationalen) oder auch ganz persönlichen Interessen. Nach den Schlachtfeldern des 20. Jahrhunderts und dem erneuten Totalbankrott des Programms "Krieg" in den letzten Jahrzehnten ist im binnenkirchlichen Raum immer noch nicht der Eindruck ausgeräumt worden, die Pazifisten unterlägen einem objektiv irrenden Gewissen und stünden - trotz ihrer Berufung auf das kirchliche Zeugnis der ersten drei Jahrhunderte - eigentlich im Widerspruch zur "amtlichen Lehre". Mit welcher theologischen oder erfahrungsbezogenen Berechtigung lässt sich dieser Eindruck eigentlich weiter aufrechterhalten und wie geht die Sache mit dem Paradigma "Gerechter Friede" zusammen?

Geradezu gotteslästerliche Traktate - von keiner Glaubenskongregation beanstandet und sehr oft mit Imprimatur versehen - hatten die kirchlichen Druckereien in großer Zahl verlassen. Mitnichten sind am Ende lediglich eine jeweils zeitbedingte "Verweltlichung" einzelner Kirchenvertreter unter Staatsbesoldung oder Irrtümer auf säkularen Nebenschauplätzen zu beklagen. In theologischer Hinsicht ist vielmehr das "Herz" der Kirche betroffen! Die Gläubigen vertrauten in zwei Weltkriegen darauf, dass sie im Raum der verfassten Kirche Weisungen für eine authentische Nachfolge Jesu erhalten. Doch kann eine nationale Kriegskirche, wie sie durch die historische Forschungen ansichtig wird, noch Kirche Jesu sein? War die Katholizität der nationalen Kriegskirchlichkeit - trotz Tabernakel und Weihrauch - überhaupt noch gegeben? Welche Konsequenzen wären bezogen auf die Theologie von der Kirche und die Verfassung der Kirche zu ziehen? In welcher Aufarbeitungspflicht stehen - hinsichtlich ihrer Vorgänger - nicht nur die Bischöfe (als Kollegium), sondern z.B. auch die Vertreter des organisierten "Katholizismus" (die sogenannten Laiengremien) und nicht zuletzt die Hochschullehrer der Theologie?

Die Erschütterungen, die sich aus dem Blick in die Kirchengeschichte ergeben, "schreien" geradezu nach unserem Zeugnis und einer glaubwürdigen Praxis in der Gegenwart: Werden wir Christen wirksam - in Wort, Tat und Symbol - als Anwälte der Charta der Vereinten Nationen wahrgenommen, die seit 1945 das Zivilisationsprojekt einer Ächtung des Krieges beurkundet? Wo erklären sich die Kirchen mit vernehmlicher Lautstärke zu geostrategischen und ökonomischen ZielvorgabenFreie Märkte, freier Warenfluss, freie Handels- und Seewege, gesicherte Energie- und Rohstoffversorgung, Abwehr von Migranten aus den armen Erdregionen usw. (kurzum: "nationale Wohlstandswerte und Interessen"). in Militärdoktrinen, die sich mit keiner Friedensethik in der ganzen christlichen Ökumene rechtfertigen lassen - aber auch nicht vereinbar sind mit Verfassung und Völkerrecht? (Stehen im Hintergrund der höflichen Zurückhaltung vielleicht auch wieder fragwürdige Politisierungen oder gar Parteipolitisierungen?) Was ist zur Rede von sogenannten "humanitären Militärinterventionen" zu sagen angesichts von Rüstungsbudgets, die die zivilen Fonds für humanitäre Hilfen um ein Zehnfaches übersteigen, und angesichts der in diesem Zusammenhang hartnäckig verleugneten "Responsibility to Feed" gegenüber den Hungernden der Erde? Wo bleiben die - seit Ende des Kalten Krieges verweigerten - Investitionen in Wissenschaften, Logistiken und Infrastrukturen des Friedens? Wie lange noch darf die verfasste Christenheit warten mit einem kategorischen Einspruch gegen den Todeskomplex der Rüstungsexporte, gegen das Fortdauern atomarer Bewaffnung und gegen die rasanten Weichenstellungen für eine militärtechnologische Revolution, deren totalitäre Dimensionen (allsehend, allgegenwärtig, allmächtig, allherrschend, allrichtend) offen zutage liegen und die nach Plan ein Weltklima der Angst herbeiführt?

In all diesen Fragen ist gerade die Kirche in Deutschland nach den Abgründen von zwei Weltkriegen und angesichts des Wohlstandes in unserem reichen Land herausgefordert, ihre Katholizität unter Beweis zu stellen. Franziskus, Bischof von Rom, erklärt zu einem globalen Wirtschaftsapparat, der über Leichen geht: "Damit das System fortbestehen kann, müssen Kriege geführt werden, wie es die großen Imperien immer getan haben. Einen Dritten Weltkrieg kann man jedoch nicht führen, und so greift man eben zu regionalen Kriegen."Zitiert nach Franziskus kritisiert Wirtschaftssystem als "unerträglich". In: Süddeutsche, 13.06.2014. http://www.sueddeutsche.de/panorama/papst-franziskus-kritisiert-wirtschaftssystem-als-unertraeglich-1.1999274 . Die Zeichen der Zeit dürfen wir nicht noch einmal überhören.

Download der digitalen Neuauflage des Buchs von Heinrich Missalla:  "Gott mit uns" (PDF-Datei, 6,14 MB)

Fußnoten

Veröffentlicht am

22. Juli 2014

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