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Asylrecht: Die Zalando-Doktrin

Die Bundesregierung höhlt das Asylrecht mit dem Willen aus, den Schutz für verfolgte Roma aus Serbien, Mazedonien und Bosnien aufzuheben

Von Ulrike Baureithel

Es ist noch keine drei Wochen her, dass der iranischstämmige Schriftsteller Navid Kermani anlässlich einer Feierstunde im Deutschen Bundestag eine Lesung der besonderen Art gab: Er unterzog das Grundgesetz einer Relektüre und warf den regierenden Politikern vor, einen seiner schönsten Sätze - "politisch Verfolgte genießen Asylrecht" - bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und ausgehöhlt zu haben. Dafür erntete er seitens der Union versteinerte Mienen, verlegene Unruhe bei der SPD und Beifall von den beiden Oppositionsparteien.

Ein derart bewegender Auftritt, und sei der Autor noch so renommiert, kann Politiker natürlich kaum bewegen. Das ist man sich schuldig, zumal wenn der Volkswille an der rechten Abbruchkante Flagge zeigt. Ungeachtet allen Protests hat Innenminister Thomas de Maizière (CDU) vergangene Woche eine das Asylrecht betreffende Gesetzesänderung in den Bundestag eingebracht, die es zumindest für Flüchtlinge aus Serbien, Mazedonien und Bosnien künftig fast unmöglich macht, in Deutschland eine Chance auf Asyl zu haben. Denn diese drei Staaten werden nach dem Willen der Bundesregierung demnächst als "sichere Herkunftsstaaten" deklariert und die Betroffenen können ohne differenzierte Prüfung ihres Falles ausgewiesen werden. Darüber hinaus sind die Prüfkriterien, nach denen ein "sicheres Land" bestimmt wird, EU-weit umstritten.

Worum es geht, ist klar: Die Bundesrepublik will den in den genannten Ländern verfolgten Roma, die die Aufhebung der Visumspflicht genutzt haben, um ihrem Elend zu entkommen, keinen weiteren Schutz geben. Sie gelten als nicht integrierbar, als Armutsflüchtlinge, die das deutsche Sozialsystem missbrauchen. Sie tingeln, so das landläufige Urteil, musizierend durch die Straßen, schicken ihre Kinder nicht zur Schule, sondern lassen sie betteln. Besser, man schiebt sie wieder ab in ihre sicheren Herkunftsländer. Wo sie, wie während der Flutkatastrophe kürzlich, die Letzten sind, die auf staatliche Hilfe rechnen können und hiesige Roma-Initiativen deshalb Nothilfe organisieren mussten. Deren Kindern der Zugang zur Bildung verweigert wird. Die keine Möglichkeit haben, ihre Existenz zu sichern.

Auf über 170 Seiten hat Pro Asyl belegt, wie wenig sicher diese Länder nicht nur für Roma, sondern auch für Homo- und Transsexuelle und für Juden sind. Serbien hat 2012 überdies den Tatbestand des Missbrauchs des Asylrechts im Ausland geschaffen, der die organisierte Flucht unterbinden soll. In Mazedonien, einst der Hort friedlichen Zusammenlebens, häufen sich ethnisch motivierte und homophobe Übergriffe. Es sei einem EU-Mitgliedskandidaten zumutbar, behauptet de Maizière, seine Minderheiten zu schützen. Aber auch Antidiskriminierungsgesetze wie in Bosnien haben an der prekären Situation der Minderheiten nichts geändert. In Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und nicht zuletzt in Berlin droht Roma-Familien derzeit die Abschiebung: Rücknahmeübereinkommen, heißt das im Behördendeutsch. Als handelte es sich um Schuhe, die man an Zalando zurückschickt. Portofrei.

Zur Durchsetzung eines Zweiklassen-Asylsystems - hier die gut gebildeten erwünschten Flüchtlinge, dort der schlechte Rest - passt die ebenfalls geplante Lockerung der Arbeitserlaubnis für Asylbewerber. Die Wartefrist wird für geduldete Ausländer und Antragssteller von neun Monaten beziehungsweise einem Jahr auf drei Monate verkürzt. Das wäre ein Anfang - wenn es denn für alle gälte.

Quelle: der FREITAG vom 25.06.2014. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

26. Juni 2014

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