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Irak: Obamas persische Option

Die USA und Iran stehen plötzlich in einer Abwehrfront gegen den dschihadistischen Aufmarsch vor Bagdad. Muss die Geschichte der Anti-Terror-Kriege umgeschrieben werden?

Von Lutz Herden

Die chaotische Flucht der irakischen Sicherheitskräfte aus Mossul und anderen Städten lässt befürchten, dass eine Implosion des Landes kaum aufzuhalten ist. Selten zuvor erschien wahrscheinlicher, was nach der US-Irak-Invasion und dem Sturz Saddam Husseins schon im Frühjahr 2003 prophezeit wurde: Der Irak wird in einen sunnitischen, schiitischen und kurdischen Teil zerrissen. Doch dabei dürfte es kaum bleiben.

Die triumphierenden sunnitischen Hardliner um ihren Führer Abu Bakr al-Baghdadi nennen sich nicht umsonst Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS). Sie haben einen regionalen, wenn man so will panarabischen Anspruch, schon weil ihre Mentoren und Finanziers in Saudi-Arabien und anderen sunnitischen Golfdynastien wollen, dass ihr Vormarsch Staaten schwächt, die zum schiitischen Teil der arabischen Welt gehören und der Islamischen Republik Iran nahestehen: Irak und Syrien.

Das führt zu einer überraschenden, aber logischen Konsequenz. Plötzlich steht Teheran mit den USA in einer Reihe - oder besser einer Abwehrfront gegen einen gemeinsamen Feind. Muss die Geschichte des Anti-Terrorkampfes neu oder umgeschrieben werden?

Rohanis Angebot

Barack Obama denkt nach, will sich Zeit nehmen und alle "Optionen" offenhalten, aber keine Bodentruppen in den Irak schicken. Wie er sich auch entscheidet - Teheran wird gestärkt. Bleiben die Amerikaner draußen, kann sich der Iran als allein verlässliche Schutzmacht der schiitischen Gemeinschaft präsentieren, was regionalmächtigen Ambitionen zugute kommt. Steigen die USA zugunsten Premier al-Malikis mit der Air Force oder auf andere Weise militärisch ein, kann davon das Verhältnis zwischen Washington und Teheran nicht unberührt bleiben (das zu Syrien und seinem Präsidenten Bashar al-Assad übrigens auch nicht).

Der iranische Präsident Rohani hat der US-Regierung bereits Kooperation im Kampf gegen ISIS angeboten und seinerseits eine pragmatische "Option" gezogen, die Obama schwerlich ignorieren kann, sollte ihm die "Option" lieb sein, sich im Irak nicht wie Vorgänger Bush exponieren zu wollen. Schon als der Präsident jüngst in seiner West-Point-Rede erklärte, dass er keine Truppen auf die Kriegsschauplätze des Nahen und Mittleren Ostens mehr zurückschicken wolle, fand das in Teheran begeisterten Beifall.

Obamas "Optionen" führen demnach zu "Konstellationen", die aus amerikanischer Sicht erst einmal verkraftet sein wollen. Von 2003 bis 2011, acht Jahre lang, wurde versucht, durch ein mehr als 100.000 Mann starkes Besatzungskorps im Irak die Kreise des Iran zu stören und einen geeinten, pro-westlichen Staat in Nahost zu schaffen. Der Irak sollte als "demokratischer Musterstaat" der iranischen Theokratie entgegen gesetzt werden. Im Juni 2014 ist von diesem "Projekt" ein "failed state" à la Libyen übrig geblieben, dessen schiitisches Regime sich an Teheran halten und dort nach Rückhalt suchen muss, um zu überleben und Bagdad nicht zu verlieren. Wahrlich keine Erfolgsgeschichte, die sich sehen lassen kann.

Eigentlich müsste sich Obama ernsthaft fragen, warum der irakische Premier al-Maliki gerettet werden soll. Immerhin hat seine polarisierende Politik entscheidend dazu beigetragen, dass die ISIS-Verbände so viel Zulauf finden. Als es Ende 2012 im Sog des sunnitischen Aufstands in Syrien auch im Irak zu friedlichen Demonstrationen kam, zeigte sich das Regime zu keinerlei Konzessionen bereit. Al-Maliki war davon überzeugt, dieser Protest läuft auf eine Revolution hinaus, um die sunnitische Community und ihre Clans wieder an die Macht bringen.

Also hielt er dagegen, mit Armee, Polizei und Geheimdienst. Es gab laut UN-Angaben fast 9.000 Tote. Daraufhin rückten sechs Millionen irakische Sunniten immer weiter von Bagdad ab, mit ihnen gemäßigte sunnitische Stammesführer, die 2007 in der Provinz Anbar noch den "Surge" der Amerikaner unterstützt hatten. Jetzt neigen auch sie den islamistischen Hardlinern der ISIS zu und werden sich schwerlich umstimmen lassen. Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut in der arabischen Welt.

Da ist es nachvollziehbar, wenn im Weißen Haus auf Zeit gespielt wird, wie schon einmal im September 2013, als ein Militärschlag gegen Syrien erst angekündigt, dann aber vom Kongress gebilligt werden sollte und schließlich abgesagt wurde. Amerika war drauf und dran, in seinen nächsten Nahostkrieg einzusteigen.

Ein Desaster

Die Obama-Regierung hat nach dem Abzug der US-Truppen Ende 2011 mit Nouri al-Maliki eine Reihe von Sicherheitsabkommen, u.a. einen strategischen Rahmenvertrag, unterzeichnet, dazu massive Wirtschaftshilfe geleistet. Es wurden moderne Waffen wie Hellfire-Raketen, Apache-Helikopter und F-16-Jets in den Irak geliefert. Begründung: Es werde dort eine schlagkräftige Armee formiert, die allen Anfechtungen trotzt. Wenn deren Soldaten jetzt auseinander- oder überlaufen und Waffensysteme amerikanischer Herkunft in die Hände der Islamisten fallen, ist das für Obama und seine Administration kein Debakel, sondern ein Desaster. Nicht nur die Nachkriegsstrategie im Irak wäre gescheitert, sondern der gesamte Afghanistan-Abzug in Frage gestellt.

Die Republikaner werden dem Weißen Haus in dieser Hinsicht nichts schenken und genüsslich aus Obamas Rhetorik zitieren, die den militärischen Irak-Ausstieg umgab.

Als der US-Präsident in einer Rede an die Nation am 1. September 2010 den vollständigen Abzug der US-Truppen bis Ende 2011 verkündete, sollten die Iraker plötzlich wieder ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Und das nach Jahren der Fremdbestimmung und eines Bürgerkrieges, den die US-Militärpräsenz nicht allein verschuldet, aber stets von Neuem entfacht hatte. Nachdem Tausende Iraker in - auch von den Amerikaner eingerichteten - Gefängnissen und Folterkammern verschwunden waren und dort teilweise umgebracht wurden. Nachdem in den Jahren des US-Besatzungsregimes von Bush und seinesgleichen so viel über "Demokratie" und so wenig über "Gerechtigkeit" gesprochen wurde - jetzt auf einmal hieß es bei Obama, seht zu, wie ihr mit unserem Erbe klarkommt. "Nur Iraker können ihre Schwierigkeiten lösen und ihre Straßen sicher halten. Nur Iraker können in den Grenzen ihres Landes eine Demokratie aufbauen."

Gab es keine Verantwortung der Amerikaner, die ein Land so sehr aus den Angeln gehoben hatten, dass es nicht mehr zu sich selbst finden konnte? Wer Obamas Beschwörung irakischer Selbstbestimmung zynisch und verloren nannte, lag richtig.

Quelle: der FREITAG vom 15.06.2014. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

16. Juni 2014

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