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Leonardo Boff: Wir erleben eine Wiederkehr der Zeiten Noahs

Von Leonardo Boff

Wir erleben eine Wiederkehr der Zeiten Noahs. Als der gealterte Noah fühlte, dass die Flut nahte, forderte er die Menschen auf, ihr Leben zu ändern. Doch niemand wollte auf ihn hören. Im Gegenteil, "die Menschen aßen und tranken und heirateten bis zu dem Tag, an dem die Flut kam und alle vernichtete" (Lk 17,27; Gen 6-9).

Die 2000 Wissenschaftler des IPCC, die über das Klima der Erde forschen, sind unsere heutigen Noahs. Ihr dritter und letzter Bericht vom 13.04.2014 beinhaltet eine sehr ernste Warnung: Wir haben nur 15 Jahre, um das Klima der Erde vor einem Temperaturanstieg von mehr als 2 Grad zu bewahren. Wenn wir dies überschreiten, werden wir etwas Ähnliches erleben wie die Flut. Keiner der 196 Staatsoberhäupter hat sich dazu geäußert. Die meisten beuten weiterhin die natürlichen Ressourcen aus, betreiben weiterhin Business-as-usual, spekulieren und konsumieren pausenlos, genau wie zu Noahs Zeiten.

Ich erkenne drei schwerwiegende Fälle von Unverantwortlichkeit: die träge Gleichgültigkeit im Allgemeinen und im Besonderen des nordamerikanischen Kongresses, der jegliche Maßnahmen gegen die Erderwärmung ablehnte; das offensichtlich krankhafte Bestreben der Mehrheit der Staatsoberhäupter; der Mangel an Einfallsreichtum, um eine Art möglicher Rettungsarche zu errichten. Wie ein Verrückter inmitten einer Gesellschaft von "Weisen" wage ich, einige Initiativen vorzuschlagen. Wenn sie ein Verdienst haben, dann dieses, auf ein neues Zivilisations-Paradigma hinzuweisen, das dazu beitragen könnte, den Lauf der Geschichte zu ändern. Hier sind sie:

1. Die dominante instrumentell-analytisch-wissenschaftliche Vernunft durch emotionale Vernunft oder Vernunft des Herzens zu ergänzen. Ansonsten werden wir sowohl ungerührt bleiben angesichts der Naturzerstörung, noch uns für ihre Rettung und Bewahrung engagieren.

2. Uns vom vereinfachten Verständnis der Erde als einem Warenhaus an Ressourcen zu verabschieden zugunsten einer Vision der lebendigen Erde als ein lebendiger, sich selbst regulierender Superorganismus namens Gaia.

3. Verstehen, dass wir als Menschen Teil der fühlenden, denkenden und liebenden Erde sind, und dass unser Auftrag darin besteht, für die Natur zu sorgen.

4. Vom noch geläufigen Paradigma der Domination und Eroberung voranschreiten hin zu dem der Achtsamkeit und der Verantwortlichkeit.

5. Verstehen, dass Nachhaltigkeit nur dann gewährleistet werden kann, wenn wir die Rechte von Natur und Mutter Erde achten.

6. Einen natürlichen Vertrag mit der Erde formulieren, der die bisher fehlende Reziprozität mit dem sozialen Vertrag zur Voraussetzung hat, welche die aktuell ungenügende Kooperation und Inklusion aller einfordert.

7. Es gibt kein medio ambiente, keine halbe Umwelt, sondern nur eine ganze Umwelt. Die Lebensgemeinschaft besteht aus allem, was existiert, was denselben genetischen Code besitzt, der eine Verwandtschaft aller mit allen begründet.

8. Der Besessenheit vom Wirtschaftswachstum ein Ende zu bereiten zugunsten einer Umverteilung des angehäuften Reichtums.

9. Jegliche Produktion sollte der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gelten, doch stets innerhalb der Grenzen der Erde und des jeweiligen Ökosystems.

10. Die räuberische Produktivität und das unbegrenzte Konkurrenzdenken zu beschränken zugunsten von Kooperation und Solidarität, denn wir hängen alle voneinander ab.

11. Individualismus zu überwinden zugunsten gegenseitiger Kooperation, denn darin besteht die höchste Logik des Evolutionsprozesses.

12. Das Gemeinwohl von Mensch und Natur muss Vorrang haben vor dem individuellen Wohl und dem der Konzerne.

13. Eine Wegbewegung von der Ethik des Utilitarismus und der Effizienz hin zur Ethik der Achtsamkeit und der Verantwortlichkeit.

14. Den individualistischen Konsum aufzugeben zugunsten einer gemeinsamen Bescheidenheit. Was wir zu viel haben, ist das, was anderen fehlt.

15. Sich abzuwenden von der Maximierung des Wachstums und hinzuwenden zur Optimierung des Reichtums, beginnend bei den Bedürftigsten.

16. Anstelle von ständiger Modernisierung, jegliches Wissen und Produktionsprozesse zu ökologisieren, danach zu streben, die Naturgüter zu schützen und Natur und Erde eine Ruhepause zu gönnen.

17. Die anthropozentrische Ära, in der der Mensch eine geophysikalische Zerstörungsgewalt darstellt, durch eine ökozoische Ära ersetzen, die ökologisiert und alle Wesen im irdischen und kosmischen System einbezieht.

18. Das unbegrenzte humane/spirituelle Kapital höher wertzuschätzen als das begrenzte materielle Kapital, denn Ersteres beinhaltet Kriterien für verantwortliches Eingreifen in die Natur und nährt ständig die humanen/spirituellen Werte der Solidarität, Achtsamkeit, Liebe und Mitgefühl, den Grundlagen einer Gesellschaft der Gerechtigkeit, Gleichheit und des Respekts gegenüber der Natur.

19. Bekämpfung von Enttäuschung und Depression, hervorgerufen durch unerfüllte Versprechen allgemeinen Wohlstands von Seiten der Kultur des Kapitalismus, durch Nähren des Prinzips Hoffnung, der Quelle kreativer Phantasie, neuer Ideen und lebbarer Utopien.

20. Daran zu glauben und zu bezeugen, dass am Ende Gott über das Böse triumphieren wird, Wahrheit über die Lüge und Liebe über Gleichgültigkeit. Ein Lichtstrahl wird die Weiten der Dunkelheit überwinden.

Leonardo Boff ist Theologe und Philosoph; Mitglied der Erd-Charta Kommission

Quelle:  Traductina , 19.05.2014.

 

Veröffentlicht am

19. Mai 2014

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