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Atomare Nichtverbreitung auf der Kippe? Schlechte Vorzeichen für Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag

Von Wolfgang Kötter

Am East River in New York tagt seit dem 28.4.14 der Vorbereitungsausschuss für die Überprüfungskonferenz zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag im nächsten Jahr. Zwei Wochen lang wird jetzt im Hauptsitz der Vereinten Nationen unter Vorsitz von Enrique Roman-Morey aus Peru neben organisatorischen Dingen auch über die Abrüstung von Nuklearwaffen und die friedliche Nutzung der Atomenergie diskutiert.

Bröckelnde Fundamente der internationalen Sicherheitsarchitektur

Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV - englisch: Non-Proliferation Treaty, NPT) trat am 5. März 1970 in Kraft. Das Abkommen gilt seitdem als Stützpfeiler des globalen Sicherheitsgebäudes, aber der wankt bedenklich. Der Vertrag soll verhindern, dass Atomwaffen in immer mehr Hände geraten. Doch in den vergangenen Jahrzehnten verdoppelte sich die Zahl der Kernwaffenmächte. Außer den damals anerkannten USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und China erwarben mit Indien, Israel, Nordkorea, Pakistan und Südafrika fünf weitere Staaten atomare Waffen. Der Post-Apartheid-Staat am Kap ist das bisher einzige Land - mit Ausnahme der auf ihr nukleares Erbgut verzichtenden Ex-Sowjetrepubliken Kasachstan, Ukraine und Weißrussland - das freiwillig die bereits produzierten Sprengköpfe wieder vernichtete.

Das nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende atomare Wettrüsten bescherte der Welt auf seinem Höhepunkt 60.000 nukleare Sprengköpfe und die vielfache Fähigkeit zur Selbstvernichtung. Anfang der 1970er Jahre jedoch schien sich ein Zeitfenster der Möglichkeiten zu öffnen: Im Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, dem inzwischen 190 Staaten beigetreten sind, verpflichten sich die Atommächte, ihr Vernichtungspotenzial nicht weiterzugeben, während die Nichtatomstaaten auf Kernwaffen verzichten. Die nukleare Nichtverbreitung, wie sie im Atomwaffensperrvertrag festgeschrieben wurde, gewann als Norm der internationalen Beziehungen an Akzeptanz, auch wenn sie stets umstritten war und immer wieder unterlaufen wurde. So wurden Ägypten, Iran, Libyen und Südkorea Verstöße gegen die eingegangenen Verpflichtungen nachgewiesen. Darüber hinaus könnten mindestens 30 bis 40 weitere Staaten die militärische Atomtechnologie entwickeln. Argentinien, Brasilien, Deutschland, Japan, die Niederlande und Südafrika sind sogar technisch in der Lage, waffenfähiges Spaltmaterial herzustellen.

Für das Nichtverbreitungsregime spricht dennoch, dass eine überwältigende Mehrheit der Staaten auf die atomare Option verzichtet hat, darunter auch solche, die temporär ihr Interesse an der ultimativen Waffe mehr oder weniger offen verfolgten wie Argentinien, Australien, Brasilien, Italien, Japan, Nigeria, Schweden, die Schweiz, Südkorea, Taiwan und nicht zuletzt die alte Bundesrepublik Deutschland.

Interessenbalance der nuklearen Nichtverbreitung

Die Lebensfähigkeit des Atomwaffensperrvertrages beruht auf einer gegenseitigen Interessenbalance: Für ihren Verzicht auf Kernwaffen erhalten die Nicht-Atommächte Unterstützungszusagen bei der zivilen Nutzung der Kernenergie. Zugleich sichern die Atommächte Schutz vor eventuellen Angriffen mit Nuklearwaffen zu und bekunden ihre Bereitschaft, über atomare Abrüstung zu verhandeln. Doch das ändert nichts an den tiefen, sich zunehmend verschärfenden Kontroversen über die wechselseitigen Verpflichtungen zwischen Atomwaffenmächten und Nichtkernwaffenstaaten. Auf den im Abstand von fünf Jahren veranstalteten Überprüfungskonferenzen entlädt sich regelmäßig Streit über Kontrollfragen, Exportrestriktionen und Regeln für einen friedlichen Gebrauch der Kernenergie. Vor allem aber entzündet sich der Disput an der Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung, weil die Kernwaffenmächte den Sperrvertrag vornehmlich als Instrument zur Erhaltung ihres Alleinbesitzes betrachten. Die Staaten ohne Atomwaffen hingegen tolerieren ihn lediglich als zeitweilige Vereinbarung zur Beseitigung der Ungleichheit durch Abrüstung.

Als es 1995 um die unbefristete Vertragsverlängerung ging, akzeptierten die Nuklearmächte zwar einen Maßnahmenkatalog der atomaren Nichtweiterverbreitung und Abrüstung, den sie später auf ein gemeinsames 13-Punkte-Programm präzisierten. In der Realität aber hat sich wenig getan. Auch der auf der letzten Überprüfungskonferenz in 2010 angenommene Aktionsplan hat daran nichts geändert, und so ist zu befürchten, dass die Bilanz der bevorstehenden Konferenz erneut negativ ausfallen wird.

Die fünf führenden Kernwaffenmächte lehnen derzeit multilaterale Verhandlungen über nukleare Abrüstung rundweg ab. Zwar hat sich die Gesamtzahl der Atomwaffen weltweit auf etwa 17.000 verringert, aber alle Kernwaffenmächte betreiben eine qualitative atomare Aufrüstung. Die US-Regierung will beispielsweise in den kommenden 25 Jahren 60 Mrd. Dollar in die Modernisierung ihres nuklearen Arsenals investieren. In Russland werden die Haushaltsausgaben für den Kernwaffenkomplex allein in den Jahren 2013 bis 2015 über 100 Mrd. Rubel betragen. Diese Verweigerungspolitik hat wesentlich dazu beigetragen, die weltweite Norm der Nichtweiterverbreitung zu erschüttern, wird doch allen vor Augen gehalten, welchen Wert Atomwaffen als harte Währung der internationalen Beziehungen besitzen.

Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Überprüfungskonferenz

Die heute beginnende Sitzung des Vorbereitungskomitees bietet die letzte Chance, die Weichen auf die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die bevorstehende Überprüfungskonferenz zu stellen. Dabei geht es vor allem um drei relevante Themenbereiche. Erstens müssen die Atomwaffenmächte ihre Bereitschaft zumindest zu ersten Schritten der nuklearen Abrüstung glaubhaft machen, zweitens kommt es darauf an, einen definitiven Termin für eine bereits mehrfach verschobene Konferenz über die Schaffung einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone in Nahost zu vereinbaren und drittens gilt es, Fortschritte in Verhandlungen mit den Problemstaaten Iran und Nordkorea zur Eindämmung ihrer Nuklearprogramme vorzuweisen. Im ersten Bereich sind die erreichten Ergebnisse nur spärlich. Zwar haben die USA und Russland im Februar 2011 einen Neu-START-Vertrag abgeschlossen, in dem sie sich verpflichten, ihre nuklearstrategischen Trägermittel - U-Boote, Interkontinentalraketen und Langstreckenbomber - auf 800 zu halbieren und die Zahl der Sprengköpfe um fast ein Drittel auf 1.550 zu reduzieren. Aber seither gibt es keine weiteren greifbaren Fortschritte. Nach Ausbruch der Ukraine-Krise haben sich die Perspektiven sogar noch weiter verschlechtert. Die nuklearen Abrüstungsverhandlungen stagnieren und konkrete Anzeichen weisen sogar auf eine neue Runde der atomaren Aufrüstung hin.

Zweitens ist nach wie vor ungewiss, ob und wenn ja wann die ursprünglich für 2012 in Helsinki geplante Konferenz zum Nahen Osten stattfinden wird. Zwar hält der Projektkoordinator und designierte Konferenzpräsident, der finnische Topdiplomat Jaakko Laajava, die Kommunikationskanäle zu den potentiellen Teilnehmerstaaten offen. Er konnte sogar mehrer als 300 informelle Treffen und Dialogforen organisieren. Aber über die einzubeziehenden Waffenarten bestehen weiterhin grundsätzliche Differenzen. Die arabischen Staaten fordern, sich auf das Verbot atomarer, biologischer und chemischer Waffen zu konzentrieren. Israel hingegen besteht darauf, dass es nicht möglich ist, sich auf diese Waffenarten zu beschränken, ohne den Kontext der Bedrohungen für die nationalen Sicherheitsinteressen in der Region zu berücksichtigen.

Im dritten Themenbereich fällt die Bilanz gemischt aus. Nach mehreren Verhandlungsrunden der Sechsergruppe mit den USA, Russland, China, Japan und Südkorea, in denen es zeitweise sogar Fortschritte gab, brach Nordkorea im April 2009 die Gespräche einseitig ab. In jüngster Zeit mehren sich die Anzeichen dafür, dass der atomare Aufrüstungskurs forciert wird. Im Februar vergangenen Jahres zündete Pjöngjang seinen dritten Atomwaffentest. Medienberichten zufolge setzte es im August den zwischenzeitlich stillgelegten Reaktor in der Nuklearanlage in Yonbyong wieder in Gang und soll ebenfalls seine Kapazitäten zur Urananreicherung erweitern und seine Raketenstartanlagen ausbauen. Darüber hinaus provoziert Nordkorea mit Raketentests und drohte kürzlich sogar mit einem neuen Atomtest.

In Bezug auf den Iran schließlich scheint es in den Verhandlungen mit der 5+1-Gruppe, bestehend aus den fünf ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats und Deutschland, zumindest einen Hoffnungsschimmer zu geben. Am 20. Januar dieses Jahres trat eine im vergangenen November erzielte Vereinbarung in Kraft. Sie sieht vor, dass Teheran zunächst für sechs Monate zentrale Teile seines Atomprogramms aussetzt, darunter die Urananreicherung auf 20 Prozent einstellt und auf nichtwaffenfähige 5 Prozent beschränkt, keine neuen zur Urananreicherung nötigen Zentrifugen nutzt oder baut sowie seinen Schwerwasserreaktor nicht betreibt. Außerdem werden verschärfte Kontrollen der Internationale Atomenergieorganisation IAEA in den iranischen nuklear relevanten Anlagen zugelassen. Im Gegenzug gewährt der Westen Iran eine Lockerung bei gewissen Sanktionen, was etwa einem Gesamtbetrag von vier bis sieben Milliarden Dollar entspricht. Anfang Februar wurden dann noch sieben weitere Schritte zur Umsetzung der Übereinkunft vereinbart. Ob die Einigung allerdings Bestand haben wird und in ein langfristiges Abkommen über den Verzicht des Iran auf Atomwaffen münden kann, bleibt jedoch abzuwarten.

Atomwaffenarsenale weltweit (2014)

Land Anzahl
Russland ca. 8.500
USA ca. 7.400
Frankreich 300
China ca. 250
Großbritannien ca.180
Pakistan 90 - 110
Indien 80 - 100
Israel 80
KDVR 6 - 10
gesamt ca. 17.000

Quellen: SIPRI 2013 / Bulletin of the Atomic Scientists 2014

Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Zusammenfassung der Hauptbestimmungen)

Artikel I

Die Kernwaffenstaaten verpflichten sich, Kernwaffen an niemanden weiterzugeben und Nichtkernwaffenstaaten weder zu unterstützen noch zu ermutigen, Kernwaffen herzustellen oder zu erwerben.

Artikel II

Die Nichtkernwaffenstaaten verpflichten sich, Kernwaffen nicht herzustellen oder zu erwerben.

Artikel III

Kontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) auf der Grundlage individueller Abkommen.

Artikel IV

Recht auf Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke. Verpflichtung zum Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie.

Artikel V

Recht auf überirdische friedliche Kernexplosionen (obsolet, da aus Umweltgründen keine mehr durchgeführt werden).

Artikel VI

Verpflichtung zu Verhandlungen über Beendigung des nuklearen Wettrüstens, nukleare Abrüstung sowie allgemeine und vollständige Abrüstung unter internationaler Kontrolle.

Artikel VII

Recht zur Bildung kernwaffenfreier Zonen.

Artikel VIII

Bestimmungen für Vertragsänderungen.

Artikel IX

Unterzeichnungs- und Ratifikationsbestimmungen.

Artikel X

Bei Gefährdung der höchsten Landesinteressen Recht auf Rücktritt nach dreimonatiger Kündigungsfrist.

Veröffentlicht am

29. April 2014

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