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Ein langer schwerer … erfolgreicher Weg

Ludwig Baumann zum 90. Geburtstag

Von Sonnhild Thiel

Ludwig Baumann, der am 13. Dezember 90 Jahre wird, ist ein Kämpfer. Er streitet mit Worten und Überzeugungskraft, nicht verletzend, aber zäh. Und ganz schön stur kann er sein. Aber ohne diese Hartnäckigkeit hätte er es nie geschafft, dass er und die anderen Deserteure der deutschen Wehrmacht nicht mehr als vorbestraft gelten. Es war ein langer, schwerer Weg. Anlässlich seines Geburtstages, zu dem wir von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) ihm herzlich gratulieren, soll der Lebenslauf und der Kampf dieses aufrechten alten Mannes, der nach gerechten Verhältnissen in der Welt strebt und keinen Zwang ertragen kann, gewürdigt werden.

Ludwig Baumann wurde 1921 in Hamburg geboren. Sein Vater, der sich aus einfachen Verhältnissen zum hanseatischen Tabakgroßhändler hochgearbeitet hatte, führte ein sehr strenges Regiment. Ludwig litt unter dieser Strenge und darunter, dass er die in ihn gesetzten Erwartungen seines Vaters nicht erfüllen konnte. Seine Mutter, die einiges abfing, starb, als Ludwig 15 Jahre alt war. Nach der Schulzeit absolvierte Ludwig eine Maurerlehre. Er trat weder der Hitlerjugend noch einer anderen NS-Organisation bei.

1940 wurde Ludwig zur Kriegsmarine einberufen, 1942 wurde der 21-jährige zu einer Marineeinheit nach Bodeaux versetzt. Es ging ihm und seinen Kameraden eigentlich gut, Feindberührung hatten sie keine und Wein genug. Aber durch die Berichte des immer grausamer werdenden Krieges an der Ostfront reifte in Ludwig Baumann und seinem Freund Kurt Oldenburg der Plan, sich der Maschinerie, die die Ermordung Unschuldiger befahl, zu entziehen: "Wir wollten keine Soldaten mehr sein, wir wollten keine Leute umbringen - und wir wollten ganz einfach leben."

Einen Tag nach der Flucht wurden sie an der Grenze zu Vichy-Frankreich von einer deutschen Streife festgenommen und einen Monat später zum Tode verurteilt. Nach einigen Wochen wurde diese Strafe in zwölf Jahre Zuchthaus umgewandelt. Davon erfuhr Ludwig Baumann allerdings erst nach vielen qualvollen Monaten in der Todeszelle beim Abtransport in das KZ Esterwegen. Bis heute lässt ihn diese Zeit nicht los, in der er mit jedem Öffnen seiner Zelle den Tod erwartete. Das verfolgt ihn noch immer in seinen Träumen und lässt ihn oft nicht schlafen. Später kam er ins Wehrmachtsgefängnis Torgau und dann mit dem so genannten "Bewährungsbataillon 500" an die Ostfront. Im Strafbataillon 500 kamen bis auf wenige Ausnahmen als Kanonenfutter verheizt alle um, auch sein Freund Kurt Oldenburg.

Die Wende kommt 1991

Der Satz von Hitler "Der Soldat an der Front kann sterben, der Deserteur muss sterben" wurde von den Wehrmachtsrichtern umgesetzt. Mit über 30.000 Todesurteilen, von denen 20.000 vollstreckt wurden, und mit bis zu 100.000 Verurteilten, die Konzentrationslager, Straflager oder Strafbataillone in der Regel nicht überlebten, wurde die blutigste juristische Verfolgung der deutschen Geschichte begangen. Viele dieser Blutrichter haben nach dem Krieg in der Bundesrepublik Karriere gemacht. Bestraft wurde keiner von ihnen. Die Richter, die dafür in der DDR bestraft wurden, wurden 1992 mit dem Ersten SED-Unrechtsbereinigunsgesetz rehabilitiert.

Ludwig Baumann überlebte den Krieg und die kurze sowjetische Kriegsgefangenschaft, kehrte aber psychisch zerstört nach Hause zurück. In seiner Familie galt er als Feigling. Andere beschimpften ihn als "Vaterlandsverräter" und "Dreckschwein". Er wurde zum Trinker, vertrank alles, was er hatte, floh aus seiner Heimatstadt Hamburg nach Bremen. Dort lernte er seine Frau kennen, die bei der Geburt des sechsten Kindes 1966 starb. Dieser Tod brachte Ludwig Baumann ins Leben zurück - er musste und wollte für seine Kinder sorgen. Er bekam Arbeit als Vertreter. Es dauerte aber Jahre, bis er vom Alkohol unabhängig wurde.

Anfang der 80er Jahre bekam er Kontakt zur Friedensbewegung und traf endlich auf Menschen, denen er sich öffnen konnte. Seitdem weiß Ludwig Baumann, dass er das, was er erlebt hat, der jungen Generation weitergeben muss.

Durch die Initiative von Friedensgruppen, Deserteurs-Denkmäler aufzustellen (1981 in Kassel, 1983 in Bremen - es folgten viele andere), wurde das Tabu-Thema öffentlich gemacht. Die intensive Diskussion, an der sich bald Wissenschaftler und Politiker beteiligten, brachte die vergessene Minderheit der Deserteure in Erinnerung. Die Historiker, die die Rolle der Wehrmacht bei der Ermordung von Zivilisten durchleuchteten, ließen manches Weltbild, hier "braver Soldat", dort "feiger Deserteur", ins Wanken kommen.

1990 gründete Ludwig Baumann zusammen mit anderen Betroffenen die "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz", die auf politischer Ebene für die Rehabilitierung dieser Opfergruppe eintrat.

Ein Durchbruch in der Rechtsprechung wurde mit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom September 1991 erzielt, das besagte, dass Hinterbliebene der von der NS-Militärjustiz wegen Fahnenflucht, Wehrkraftzersetzung und Befehlsverweigerung hingerichteten Soldaten entschädigt werden müssen. Dieser Richterspruch schließt mit dem Appell an die Bundesregierung, die Urteile der NS-Militärjustiz als Unrecht zu erklären, wie es 1985 mit den Urteilen des Volksgerichtshofes geschah.

Alle von der Opposition in den Bundestag eingebrachten Anträge zur Rehabilitierung wurden aber abgelehnt. Zuerst mit der Begründung "Verurteilungen wegen Kriegsdienstverweigerung, Fahnenflucht oder Zersetzung der Wehrkraft haben im allgemeinen nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen, da solche Handlungen auch in Ländern mit rechtsstaatlicher Verfassung während des Krieges mit Strafe bedroht waren", dann mit dem Argument, dass die Rehabilitierung von Deserteuren eine ganze Generation von deutschen Soldaten, die mitgemacht haben, ins Unrecht setzen würde.

Als im Herbst 1998 SPD und Grüne die Regierung stellten, war die Hoffnung auf einen positiven Parlamentsbeschluss zur Rehabilitierung groß. Die damalige Bundesjustizministerin, Herta Däubler-Gmelin (SPD) hat es Ludwig Baumann sogar schriftlich zugesagt, dass die Urteile pauschal aufgehoben würden. Als kurz darauf die Nato gegen Jugoslawien Krieg führte, hatte die "Bundesvereinigung Opfer der Militärjustiz" trotz Bemühungen von Frau Däubler-Gmelin Rot-Grün als Bündnispartner verloren. Die Bundesvereinigung wandte sich in der Folgezeit an die PDS, die wortwörtlich den früheren SPD-Antrag in den Bundestag einbrachte. Am 17. Mai 2002 hob der Bundestag die meisten NS-Militärgerichtsurteile auf. Auch Ludwig Baumann gilt seitdem nicht mehr als vorbestraft. Diejenigen, die wegen Kriegsverrates verurteilt worden waren, wurden allerdings ausgeklammert. Menschen, die im Zweiten Weltkrieg wegen Kriegsverrat angeklagt wurden, sind alle mit dem Tode bestraft worden. Kriegsverräter waren für die NS-Militärjustiz zum Beispiel Harro Schulze-Boysen, führender Kopf einer der bedeutendsten deutschen Widerstandsgruppen, der sogenannten "Roten Kapelle" , aber auch ein einfacher deutscher namenloser Soldat , der im Mai 1944 in Ungarn versuchte, 13 Juden zu retten, indem er sie in einem Wehrmachtslastwagen nach Rumänien bringen wollte. Für manchen einfachen Soldaten konnten kritische Äußerungen über das deutsche Volk und seine Führung oder Kontakt zum Feind das Todesurteil wegen Kriegsverrats bedeuten.

2006 wurde der Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der so genannten Kriegsverräter von der Linksfraktion in den Bundestag eingebracht. Dreieinhalb Jahre setzte sich die Linke intensiv für die Aufhebung der Urteile ein, dann schlossen sich auch Grüne und Teile der SPD an. CDU/CSU und FDP haben schließlich unter der Bedingung, dass die Linksfraktion nicht beim gemeinsamen Antrag dabei sein darf, zugestimmt. Am 8. September 2009 wurden endlich die letzten Urteile der verbrecherischen NS-Militärjustiz aufgehoben.

Wer nun glaubt, Ludwig könnte sich jetzt auf dem Erreichten ausruhen, der irrt. Schließlich ist Desertion für ihn keine abgeschlossene Sache, sondern eine Möglichkeit, den Wahnsinn des Mordens zu durchbrechen. Bei allen Veranstaltungen, zu denen er als Zeitzeuge eingeladen ist, stellt er seine Fahnenflucht in Zusammenhang zur Verweigerung von Kriegsdiensten in der heutigen Zeit. Er beteiligte sich an vielen Aktionen der Friedensbewegung und war oft bei Einberufungsterminen von Soldaten im Hauptbahnhof Bremen, um sie zum Nachdenken über den Soldatenberuf zu bringen.

"Sprechen Sie nur zur Vergangenheit!"

"Da sind ein paar reiche Länder, unsere Länder, die 80 Prozent der globalen Schätze, der Ressourcen verpulvern … und damit die Erde zerstören. Wir sind es, die die armen Länder ausbeuten, die den Giftmüll dort abladen … wir sind die Nutznießer dieser Weltordnung … und da glaube ich schon, dass die Mächtigen dieser Welt und ihre Militärs dieses mit militärischer Überlegenheit verewigen wollen. Und ich denke, der Friede wird nur noch zu haben sein auf dem Wege zur weltweiten Gerechtigkeit. Wir haben Demokratie, das nehmen wir anscheinend gar nicht richtig wahr. Wir haben die Freiheit, dieses alles mitzumachen, diese Zerstörung, und wir haben die Freiheit, uns radikal zu verweigern, und wir haben auch die Freiheit, uns militärisch radikal zu verweigern. Es ist ein Wahnsinn: Wenn ich jemanden umbringe, bin ich ein Mörder; aber wenn es mir einer befiehlt, dann bekomme ich einen Orden und bin ein Held. Dieses zu durchbrechen, diesen Wahnsinn, das ist Desertion. Und darum ist für mich Desertion eine Hoffnung für den Frieden."

Mit dieser Meinung eckt er überall dort an, wo zwar inzwischen die Desertion aus dem NS-Militär akzeptiert wird, aber nicht die Infragestellung der weltweiten Einsätze der Bundeswehr. Es kam schon vor, dass er bei Ausstellungseröffnungen zum Thema NS-Militärjustiz gebeten wurde, nur zur Vergangenheit zu sprechen. Aber darauf lässt sich Ludwig nicht ein. "Entweder sage ich, was ich zu sagen habe, oder ich sage gar nichts !"

Die Wiederherstellung der Ehre der Deserteure, Kriegsdienstverweigerer, Wehrkraftzersetzer und Kriegsverräter ist zwar erreicht, aber um das richtige Gedenken sorgt sich Ludwig. Im ehemaligen Wehrmachtsgefängnis in Torgau, eine der Stätten des Leidens der Deserteure, befindet sich eine Gedenkstätte für die Gewaltopfer der NS-Herrschaft und für die, die nach 1945 dort eingesessen haben, darunter waren viele der NS-Schergen. Gleichzeitiges Gedenken an Geschundene und Schinder, Gleichsetzen von NS-Regime und einem anderen Unrechtssystem … das ist unerträglich.

Wie ein anderer großer alter Mann könnte uns Ludwig zurufen: "Empört euch!"
Wir hoffen, dass Ludwig seine Stimme noch lang erheben kann!

Sonnhild Thiel ist aktiv in der DFG-VK-Gruppe Karlsruhe.

Quelle:  Zivilcourage . Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK, Nr. 4/2011.

Veröffentlicht am

29. Dezember 2011

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