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Tunesien: Die beste der Welt

Vor wenigen Tagen stimmte das Parlament für eine neue Verfassung, die sich sehen lassen kann. Sie entspricht dem Geist des Arabischen Frühlings

Von Sabine Kebir

Eigentlich sollte diese tunesische Magna Charta schon am 14. Januar, dem dritten Jahrestag der Revolution, im Parlament abgestimmt und nur dann dem Volk vorgelegt werden, falls weniger als zwei Drittel der Abgeordneten mit Ja votieren. Doch weil um jeden Passus gekämpft wurde, war der Termin nicht zu halten. Zudem befand sich Tunesien in Aufruhr. Transportunternehmer, Vermieter und Landwirte - Teile der Mittelklasse, die sich von den regierenden Islamisten der Ennahda-Partei Vorteile erhofft hatten - streikten wegen höherer Steuern. Gleiches taten die Anwälte, eine wichtige Säule des Wandels nach dem Sturz des einstigen Staatschefs Ben Ali. Sie stritten für eine konstitutionell garantierte Unabhängigkeit der Justiz.

Mitten in diesem Verfassungskampf kapitulierte das Kabinett von Premier Ali Larâyedh, so dass sich die Islamisten aus der Exekutive zurückziehen mussten, um ihren Platz bis zu Neuwahlen an Experten abzugeben. Trotz oder wegen dieser Turbulenzen gab es unter den Laizisten Zuversicht: Tunesien war dabei, sich "die beste Verfassung der Welt" zu geben. Unter dem Eindruck des offenkundigen Scheiterns einer islamistisch geprägten Regierung stimmten am 27. Januar 200 von 216 Abgeordnete für die neue Konstitution, die sich tatsächlich sehen lassen kann.

Sie beginnt zwar mit der Formel "Im Namen Allahs, des Gnädigen und Barmherzigen", nimmt aber keinerlei Anleihen bei der Scharia. Der Islam bleibt zwar Staatsreligion, doch herrschen Glaubens- und Gewissens-, Vereinigung- und Pressefreiheit. Selbst das Recht zum Streik ist verankert. Der Staat verbietet gleichermaßen die Beleidigung von Heiligem, aber auch Aufrufe zur Verfolgung derer, die vom Glauben abfallen - ein Drahtseilakt, der den Praxistest noch bestehen muss. Schließlich wird die seit 1956 in Tunesien geltende Gleichberechtigung der Frauen erhalten und durch eine nicht nur in der arabischen Welt einmalige Formel ergänzt: Künftig müssen alle gewählten Volksvertretungen von den Kommunen aufwärts paritätisch mit Frauen und Männern besetzt sein.

Es bleibt bei einer strikten Gewaltenteilung, die nun jedoch durch die Vorgabe ergänzt wird, dass die Exekutivmacht sowohl vom Regierungschef, den das Parlament kontrolliert, als auch von einem durch allgemeine Wahlen zu bestimmenden Präsidenten ausgeübt wird. Letzterer entscheidet über die Außenpolitik sowie Belange der nationalen und innerstaatlichen Sicherheit - der Regierungschef bestimmt die Innenpolitik. Beide können Gesetzesinitiativen ergreifen. Wenn das funktioniert, würde ein System entstehen, das eine tradierte Machtkonzentration wirksam beschneidet, wie sie Präsidenten in Frankreich oder in den USA zuteil wird.

Mit geradezu utopischen Rechten ist in Tunesien fortan die Opposition ausgestattet: Ihr steht im Parlament die Leitung des Finanzausschusses zu. Sie und niemand sonst stellt den Sprecher des Außenministers. Nach der erfolgreichen Abstimmung herrschte Volksfeststimmung rings um das Parlament. Präsident Moncef Marzouki nannte die neue Verfassung den "entscheidenden Hebel" gegen terroristische Kräfte, die das Land seit dem Umsturz verunsichern. Der Staat ist jetzt verpflichtet, konsequent gegen jede gewalttätig agierende Gruppe vorzugehen.

Quelle: der FREITAG   vom 30.01.2014. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

02. Februar 2014

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