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Leonardo Boff: Die Bedeutung der Spiritualität für die Gesundheit

Von Leonardo Boff

In der Regel sind alle im Gesundheitsbereich arbeitenden Personen durch das moderne wissenschaftliche Paradigma geprägt, das eine klare Trennung zwischen Körper und Geist und zwischen Mensch und Natur zieht. Auf diese Weise wurden viele Spezialitäten geschaffen, die zur Vereinfachung der Diagnose von Krankheiten und zur Entwicklung von deren Heilmitteln beitrugen.

Doch selbst wenn wir dies anerkennen, können wir nicht übersehen, dass die holistische Sichtweise dabei verloren ging: der Mensch innerhalb eines weiteren Konzepts von Gesellschaft, Natur und kosmischen Energien; Krankheit als ein Ausbruch aus dieser Ganzheit und Heilung als die Wiedereingliederung des Menschen.

Es gibt in uns eine Dimension, die dafür verantwortlich ist, diese Ganzheit zu kultivieren, die sich mit der strukturierenden Achse unseres Lebens beschäftigt, nämlich der spirituellen Dimension. Spiritualität kommt von Spiritus (= Geist), ist die Kultivierung dessen, was dem Geist eigen ist, seine Kapazität, eine vereinigende Vision anzustreben, sich mit allem zu verbinden, alle Dinge miteinander und mit der Urquelle aller Wesen zu vereinen oder diese Verbindung wiederherzustellen.

Ist der Geist Beziehung und Leben, so ist sein Gegenteil nicht Materie und Körper, sondern Tod als die Abwesenheit von Beziehungen. In diesem Sinne besteht Spiritualität aus jeder Haltung und Aktivität, die das Ausbreiten des Lebens begünstigt, die bewusste Beziehung, offene Kommunion, tiefe Subjektivität und Transzendenz als eine Seinsform, immer offen für neue Erfahrungen und neues Wissen.

Neurobiologen und Hirnforscher haben die biologische Grundlage der Spiritualität identifiziert. Sie befindet sich im Frontlappen des Gehirns. Durch empirische Studien entdeckten sie, dass immer dann eine Beschleunigung der periodisch wiederkehrenden Vibrationen der Neuronen in diesem Bereich zu beobachten sind, wenn globale Zusammenhänge begriffen werden, eine bedeutungsvolle Erfahrung der Ganzheit gemacht wird, wenn man sich endgültigen Wirklichkeiten, die mit Sinn angefüllt sind, auf existenzielle Weise nähert (nicht wie einem Studienobjekt), und wenn dies mit einer Haltung von Bewunderung, Ehrfurcht und Respekt geschieht. Die Wissenschaftler nennen dieses Phänomen den "Gottespunkt" im Gehirn, oder das Auftauchen des "mystischen Geistes" (Zohar, SQ: Spirituelle Intelligenz, 2004). Es ist wie ein inneres Organ, durch das die Präsenz des Unaussprechlichen innerhalb der Realität wahrgenommen wird.

Dieses Fakt stellt für den Menschen einen evolutionären Vorteil dar, der als menschlich-spirituelles Wesen die Wirklichkeit durch den Frontallappen wahrnimmt und mit Erstaunen erkennt, dass es möglich ist, mit ihr in einen Dialog zu treten und eine enge Verbindung mit ihr einzugehen. Diese Möglichkeit verleiht dem Menschen Würde, denn sie verhilft zur Spiritualität und führt den Menschen zu einem höheren Grad der Erkenntnis, auf dem er die Verknüpfung wahrnimmt, die alles zusammenhält und wieder miteinander verbindet. Der Mensch nimmt sich wahr als Teil dieses Ganzen.

Dieser "Gottespunkt" zeigt sich durch wird durch unantastbare Werte aufgedeckt wie größeres Mitgefühl, mehr Solidarität und einen tieferen Sinn für Respekt und Würde. Um diesen "Gottespunkt" zu erwecken, den Staub zu entfernen, der ihn durch eine exzessiv rationale und materialistische Kultur bedeckt, bedeutet, der Spiritualität zu ermöglichen, das Leben der Menschen zum Erblühen zu bringen.

Tatsächlich besteht Spiritualität nicht darin, über Gott nachzudenken, sondern Gott durch dieses innere Organ zu fühlen und Gottes Gegenwart und Handlung im Herzen zu erfahren. Wir nehmen Gott als Enthusiasmus wahr (im Griechischen bedeutet Enthusiasmus, Gott in sich zu tragen), der uns trägt und heilt, uns den Lebenswillen verleiht und beständig unserer Existenz Sinnhaftigkeit verleiht.

Welche Wichtigkeit geben wir dieser spirituellen Dimension in der Achtsamkeit für Gesundheit und Krankheit? Spiritualität besitzt in sich eine heilende Kraft. Das hat nichts mit Magie und Esoterik zu tun. Es geht darum, die Energien zu verstärken, die für die spirituelle Dimension charakteristisch sind, wie Intelligenz, Libido, Kraft und Zuneigung für andere Dimensionen des Menschlichen. Diese Energien sind stark positiv, so wie die Liebe zum Leben, die Öffnung für die anderen, das Errichten von geschwisterlichen Banden, die Fähigkeit zur Vergebung, Gnade und zur Empörung angesichts von Ungerechtigkeiten in der Welt, wie Papst Franziskus es beispielhaft vormacht.

Neben der Anerkennung der Wichtigkeit der bekannten Therapien gibt es immer noch ein supplément d’âme, wie es im Französischen genannt wird, eine Ergänzung zum bereits Existierenden, das uns durch die Faktoren, die durch andere Heilmittel entstehen, stärkt und bereichert. Das bestehende Modell der Medizin hat keineswegs ein Monopol auf Diagnose und Heilung. Aus diesem Grund eröffnet uns die Spiritualität einen Weg.

Zuerst einmal bestärkt Spiritualität das Vertrauen des Menschen in die regenerativen Energien des Lebens, in die Kompetenz des Arztes bzw. der Ärztin, in die gewissenhafte Pflege der Krankenschwestern/der Krankenpfleger. Von der Tiefen- und transpersonalen Psychologie kennen wir den therapeutischen Wert des Vertrauens in den normalen Lebenslauf. Vertrauen bedeutet im Grunde genommen zu sagen: Das Leben hat einen Sinn, ist wert, gelebt zu werden, hat eine innere Energie, die es nährt, es ist schön. Dieses Vertrauen gehört zu einer spirituellen Vision der Welt.

Zur Spiritualität gehört die Überzeugung, dass die Realität, wie wir sie wahrnehmen, aus mehr besteht als Analysen uns sagen können. Durch die inneren Sinne, durch Intuition und die geheimen Wege der Vernunft des Herzens finden wir Zugang zur Realität. Man kann sehen, dass der Ordnung der Vernunft eine andere Ordnung zugrunde liegt, wie der Nobelpreisträger David Bohm, der berühmte Quantenphysiker und Lieblingsschüler Einsteins, stets behauptete.

Diese zugrunde liegende Ordnung entspricht den sichtbaren Ordnungen und kann uns immer wieder überraschen. Oft sind selbst die Ärzte überrascht über die rasche Heilung mancher Patienten oder darüber, wie bisher als irreversibel eingeschätzte Zustände eine Wendung nehmen können und Heilung geschieht. In unserem tiefen Inneren können wir davon überzeugt sein, dass das Unsichtbare und Unwägbare Teil des Sichtbaren und Vorhersehbaren ist.

Zur Spiritualität gehört auch die felsenfeste Hoffnung, dass das Leben mit dem Tode nicht zu Ende ist, sondern dass es durch diesen verwandelt wird. Unser Traum, zum normalen Leben zurückzukehren, entfesselt positive Energien, die zur Regeneration des kranken Lebens beitragen.

Eine höhere Kraft liegt jedoch im Vertrauen darin, dass wir uns in der Hand Gottes befinden. Sich vertrauensvoll Seinem Willen hinzugeben, der ernsthafte Wunsch zur Heilung, aber auch die weise Akzeptanz, wenn Gott uns zu sich ruft: dies ist die Präsenz von spiritueller Energie. Wir sterben nicht; Gott kommt uns zu holen und dorthin zu bringen, wohin wir seit Ewigkeit gehören, in Sein Haus, um mit Ihm zusammen zu leben. Solche spirituellen Überzeugungen wirken wie Quellen lebendigen Wassers, Generatoren für Heilung und Lebenskraft. Das ist die Frucht der Spiritualität.

Leonardo Boff ist Theologe und Philosoph; Mitglied der Erd-Charta Kommission

Quelle:  Traductina , 16.12.2013.

Veröffentlicht am

20. Dezember 2013

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