Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Koalitionsvertrag aus friedenspolitischer Sicht: Alter Wein in alten Schläuchen

Enttäuscht äußerte sich der Bund für Soziale Verteidigung über den am 27.11. bekannt gewordenen Koalitionsvertrag. "Das Nebeneinander von verbalem Bekenntnis zum Primat ziviler Krisenprävention und das tatsächliche Vorantreiben von Maßnahmen, die der Option der weltweiten Kriegsführung dienen, wie sie schon die Politik der alten Bundesregierung auszeichneten, bleiben bestehen", stellte die Geschäftsführerin des Bund für Soziale Verteidigung, Dr. Christine Schweitzer, fest. An einigen Stellen fühle man sich sogar an die Zeit des Kalten Krieges vor 1989 erinnert, etwa wenn eine Abrüstung und Abzug aller Atomwaffen von erfolgreichen Verhandlungen zwischen den USA und Russland abhängig gemacht werden.

"Das Missverhältnis zwischen ziviler Konfliktbearbeitung und dem Militär, wie es sich z.B. auch im jährlichen Haushalt der Bundesregierung ausdrückt, wo dieses Jahr rund 1,2 Milliarden für zivile Maßnahmen rund 33 Milliarden im Verteidigungshaushalt gegenüberstehen, soll anscheinend auch für die nächsten vier Jahre festgeschrieben werden", so Schweitzer.

Statt Bekenntnisse zum Militärischen abzulegen, hätte sich der BSV gewünscht, dass man Anstrengungen unternehme, eine an einer Friedenslogik orientierte Außen- und Sicherheitspolitik voranzubringen. "Wenn die Bundeswehr als eine ‘Armee im Einsatz’ bezeichnet wird, deren Neuausrichtung konsequent fortgesetzt und zum Erfolg geführt werden soll, dann ist das ist letztlich eine Festschreibung auf die Option Krieg zur Durchsetzung der deutschen Interessen", so Schweitzer.

Zu einer an einer Friedenslogik orientierte Außen- und Sicherheitspolitik gehört nach Ansicht des BSV u.a., anstelle einer weiteren Vernetzung von zivilen mit militärischen Maßnahmen bei Auslandsmissionen die Eigenständigkeit und Leistungsfähigkeit ziviler Konfliktbearbeitung auch bei der Bewältigung gewaltsamer Konflikte anzuerkennen, zivile Formen des Peacekeepings weiterzuentwickeln und zu fördern, ein verbindliches Verbot von Rüstungsexporten in Konfliktgebiete und an Staaten, die Menschenrechte verletzen als erster Schritt zu einem völligen Verbot solcher Exporte festzuschreiben, an Schulen und Hochschulen Bildung für gewaltfreie zivile Formen der Konfliktbearbeitung anstatt für das Militär zu betreiben und militärische Forschung an Hochschulen zu beenden.

Im Einzelnen

Auf den ersten Blick stellt die Bundesregierung zivile Verfahren der Krisenprävention an erste Stelle. "Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträge zur Lösung von Krisen und Konflikten erwartet werden. Dabei stehen für uns die Mittel der Diplomatie, der friedlichen Konfliktregulierung und der Entwicklungszusammenarbeit im Vordergrund" (S. 168), heißt es in der Koalitionsvereinbarung. Weiter unten - und auch das ist erfreulich - werden bestimmte Programme und Maßnahmen der Zivilen Konfliktbearbeitung namentlich erwähnt und ihr Ausbau versprochen (S. 175), dazu gehören u.a. der Zivile Friedensdienst und die Deutsche Stiftung Friedensforschung. Ebenso begrüßenswert ist die Absicht der neuen Bundesregierung, die OSZE zu stärken und die Bereitschaftserklärung, dort mehr Verantwortung zu tragen (S. 167).

Aber wenn man genauer hinschaut, dann ist das keine Absage an militärische Optionen, im Gegenteil: Im Abschnitt "Starkes Europa" heißt es zur Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik: "Wir setzen uns dafür ein, die zivilen und militärischen Instrumente der Europäischen Union weiter miteinander zu verknüpfen und Europas zivile sowie militärische Fähigkeiten zur Krisenprävention und Konfliktbeilegung zu verbessern." (S. 166). Weiter unten wird positiv Bezug auf eine gemeinsame Nutzung nationaler militärischer Kapazitäten im Rahmen der EU (pooling und sharing) und auf die Smart Defence der NATO genommen (S. 177).

Gemeinsame europäische Einsätze "zur Wahrung und Stärkung der Sicherheit Europas" sollen in Zukunft vorrangig "in unserer geographischen Nachbarschaft" durchgeführt werden - Einsätze jenseits sollten vermehrt "regionalen Partnern und Organisationen übertragen werden" (S. 166).
Zur NATO heißt es: "Wir bekennen uns zur NATO und zu ihrem neuen strategischen Konzept." (S. 168).

Weiter unten wird exemplifiziert, dass dies u.a. die Unterstützung der Smart-Defence-Initiative und den Aufbau der NATO-Raketenabwehr bedeutet, auch wenn es dazu Gespräche mit Russland geben soll.

Genauso widersprüchlich sind die Aussagen zu Atomwaffen. Es wird davon gesprochen, die "Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen", aber: "Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben". Kein Wort von einem einseitigen Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland. Stattdessen will sich die Regierung lediglich dafür einsetzen, dass zwischen den USA und Russland Verhandlungen "zur verifizierbaren, vollständigen Abrüstung im substrategischen Bereich" beginnen; diese würden die Voraussetzung für einen Abzug der taktischen Atomwaffen aus Deutschland und Europa schaffen. (S. 170).

Zwar wird in dem Text von "strategischer Teilhabe" gesprochen, die etwas anderes ist als die technische Teilhabe (also die Stationierung der Atomwaffen in Büchel und die Bereitstellung von Tornados als Trägersystem mit allem Drum und Dran, was etwa 500 Mio. Euro /Jahr kostet). Aber ob das ein bewusst gelassenes Schlupfloch ist, doch zu einem Abzug der Raketen aus Büchel zu kommen, ist fraglich.

Zur Bundeswehr heißt es: "Wir bekennen uns zu einer starken Verteidigung mit modernen und leistungsfähigen Streitkräften. Die Bundeswehr hat sich als Armee in der Demokratie und für die Demokratie bewährt. … Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Mit ihrer Neuausrichtung wird sie auf die veränderten sicherheitspolitischen Heerausforderungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet. Wir werden diese Neuausrichtung konsequent fortsetzen und zum Erfolg führen." (S. 176). In den Abschnitten danach heißt es u.a., dass "feierliche Gelöbnisse …Ausdruck der Verankerung der Bundeswehr in der demokratischen Gesellschaft" sind (S. 176-77), und: "Die Jugendoffiziere leisten eine wichtige Arbeit bei der Information über den Auftrag der Bundeswehr. Wir begrüßen es, wenn möglichst viele Bildungsinstitutionen von diesem Angebot Gebrauch machen. Der Zugang der Bundeswehr zu Schulen, Hochschulen, Ausbildungsmessen und ähnlichen Foren ist für uns selbstverständlich" (S. 177). Warum soll es laut Koalition explizit "Information" bzw. Werbung zur Bundeswehr in den Schulen geben, doch nicht explizit zur Polizei, zur Diplomatie oder zu Hilfswerken? Warum soll es nicht explizit vorrangig Werbung für zivile Konfliktbearbeitung geben? Warum nicht eine vorrangige Orientierung von Schulen und Hochschulen auf zivile statt militärische Konfliktbearbeitung? Sehr seltsam mutet es in diesem Zusammenhang auch an, wenn der Dienst bei der Bundeswehr in dem Kapitel über "Bürgerschaftliches Engagement und Freiwilligendienste" in einem Atemzug mit anderen, zivilen Freiwilligendiensten genannt wird (S.112).

Rüstungsexporte: Hierzu wird nur festgehalten, dass der Bericht über Exporte gegenüber der bisherigen Praxis beschleunigt und in Zukunft gegenüber dem Bundestag "unverzüglich" geschehen soll. Der Rüstungsexportbericht soll bis Mitte des Folgejahres vorliegen und um einen Zwischenbericht ergänzt werden (S. 16). Außerdem sollen alle kleinen und leichten Waffen "mit einer möglichst unauslöschlichen Markierung versehen werden, um deren Nachverfolgbarkeit zu ermöglichen" (S. 170). Kein Wort über eine Einschränkung oder gar ein vollständige Verbot ihres Handels. Im Gegenteil: Die Rüstungsproduktion soll erhalten und die europäische Kooperation in dem Feld gestärkt werden (S. 178).

Ein kleines Hoffnungsfenster deutet sich im Abschnitt zu Drohnen an. Dort heißt es: "Extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen lehnen wir kategorisch ab. Deutschland wird für die Einbeziehung bewaffneter unbemannter Luftfahrzeuge in internationale Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime eintreten und sich für eine völkerrechtliche Ächtung vollautomatisierter Waffensysteme einsetzen, die dem Menschen die Entscheidung über den Waffeneinsatz entziehen. Vor einer Entscheidung über die Beschaffung qualitativ neuer Waffensysteme werden wir alle damit im Zusammenhang stehenden völker- und verfassungsrechtlichen, sicherheitspolitischen und ethischen Fragen sorgfältig prüfen. Dies gilt insbesondere für neue Generationen von unbemannten Luftfahrzeugen, die über Aufklärung hinaus auch weitergehende Kampffähigkeiten haben." (S. 178) Das könnte eine Chance andeuten, dass die Bundesregierung bereit sein könnte, über die Ächtung von bewaffneten Drohnen nachzudenken. Hier sind die Friedensbewegung und alle anderen gesellschaftlichen Gruppen, die den Einsatz bewaffneter Drohnen ablehnen, gefordert, mit diesem Ziel weiter aktiv zu sein.

Der Bund für Soziale Verteidigung ist ein pazifistischer Fachverband der deutschen Friedensbewegung zur Entwicklung von Alternativen zu Militär und Gewalt.

Quelle:  Bund für Soziale Verteidigung (BSV) - Pressemitteilung vom 28.11.2013.

Veröffentlicht am

28. November 2013

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