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Wendepunkt: Vorerst kein Schurkenstaat mehr

In Genf wurde mit dem Iran endlich auf Augenhöhe und in gegenseitigem Respekt verhandelt - das Ergebnis ermutigt. Ob es belastbar ist, wird sich zeigen

Von Lutz Herden

Was tatsächlich zu diesem Durchbruch seit nunmehr elf Jahren Atomstreit mit dem Iran geführt hat, steht nicht in den Artikeln des Agreements von Genf. Kann es auch nicht. Denn diese Einigung wurde deshalb möglich, weil die Islamische Republik von ihren Vertragspartnern zwar weiter als gegnerisches oder fremdes System, aber nicht mehr als feindliches Land behandelt wurde. Vorübergehend, versteht sich. Jähe Wendungen sind denkbar

Es galt im Westen lange Zeit als legitim, den Iran an der Grenze zum Paria- oder Schurken-Staat anzusiedeln, der es verdient hatte, auf die Isolierstation der Staatengemeinschaft verbracht zu werden und notfalls Objekt eines militärischen Strafgerichts zu sein. Die Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedjads hat solcher Stigmatisierung zweifellos Vorschub geleistet, keine Frage. In diesen acht Jahren wurde die Konfrontation mit dem Westen als legitimes Prinzip eigenen Machterhalts und nationaler Selbstbehauptung begriffen.

Prinzipien von Almaty

Seit dem Amtsantritt von Staatschef Hassan Rouhani ist es damit sicher nicht vorbei, doch werden die Prioritäten nun anders gesetzt und rhetorische Kraftakte vermieden. Folglich schwanden die Vorwände, mit Emissären aus Teheran bei den Atomgesprächen nicht auf gleicher Augenhöhe und in gegenseitigem Respekt zu verkehren. Schon im April - bei Sondierungen auf der Ebene der Politischen Direktoren in der kasachischen Metropole Almaty - bahnte sich ein Klimawandel an. In Genf war er dann seit Anfang Oktober mehr als spürbar.

Alle 5 + 1-Staaten haben in der Person ihrer Außenminister zweimal die ranghöchsten Diplomaten an den Verhandlungsort entsandt, um den iranischen Kollegen Mohammed Sarif zu treffen. Es wurde - so der äußere Eindruck - ohne erpresserischen Druck nach Lösungen gesucht -, als sollte ein kluger Rat des chinesischen Philosophen Laudse beherzigt werden. "Unter Strategen gibt es das Wort", schrieb der vor gut 2.500 Jahren, "rück lieber zurück eine Elle als vorwärts einen Zoll." Also war man konziliant und kompromissmutig und versagte sich Verhaltensmustern, wie man sie von den EU-3 (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) aus den Iran-Verhandlungen der Jahre 2004 bis 2006 kannte: Wenn ihr nicht bis zu einem von uns gestellten Ultimatum einlenkt, werden die gegen euch verhängten Sanktionen noch einmal verschärft.

Stattdessen galten die in Almaty vereinbarten drei Prinzipien: Wenn es Konzessionen beider Seiten gibt, dann müssen sie erstens gleichzeitig erfolgen, zweitens ausgewogen sein und drittens sich materiell nicht unterscheiden.

Prinzipien des NPT

Natürlich haben die jetzt gefundenen Arrangements und Richtwerte zunächst einen temporären, auf jeden Fall aber symbolischen Wert. Wie belastbar sie sind, wird sich zeigen, wenn darüber entschieden wird, wie die in der 5 + 1-Gruppe vereinten Nationen auf Dauer mit dem Recht des Iran auf einen nicht-militärischen Gebrauch der Kernenergie verfahren wollen.

Dann müssen vorrangig zwei Fragen beantwortet werden: Wie wird das in einem langfristigen Übereinkommen verankert? Und was soll geschehen, sollte der israelische Premier Netanjahu mehr bemühen als sein diplomatisches Veto, um sich einem friedlichen Interessenausgleich in den Weg zu stellen? Immerhin wurde mit der jetzigen Genfer Vereinbarung das Recht des Irans auf eine eigene Urananreicherung anerkannt. Dass sie für ein halbes Jahr die Fünf-Prozent-Grenze nicht überschreiten soll, ändert nichts an dieser grundsätzlichen Zusicherung. Sie bestätigt im Übrigen, was jedem Signatur-Staat des Kernewaffensperrvertrages (NPT) nach Artikel IV, Absatz 5, eingeräumt ist. Dort heißt es: "Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, unter Wahrung der Gleichbehandlung (…) die Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln".

Weniger als die Bestätigung dieses Rechts kann kein iranischer Unterhändler nach Hause bringen, will er sich nicht den Vorwurf einhandeln, kapituliert zu haben. Weniger würde vermutlich eine Intervention von Revolutionsführer Ali Chamenei heraufbeschwören und die Position von Präsident Hassan Rouhani erschüttern. Im Westen kann daran niemand interessiert sein. Es sei denn, man kehrt zu der Auffassung zurück, für den Atomstreit gibt es auch eine militärische Option, die einen regime change in der Islamischen Republik begünstigt. Doch wer das bei Syrien nicht riskiert, wird auch den Iran in Ruhe lassen.

Quelle: der FREITAG vom 25.11.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

26. November 2013

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