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Lieber Sand in die Augen als Sand ins Getriebe - Rüstungsexporte und Koalitionsverhandlungen

Von Otfried Nassauer

Die Fachunterhändler von CDU/CSU und SPD haben sich geeinigt und einen Entwurf zur Rüstungsexportpolitik einer künftigen großen Koalition vorgelegt. "Mehr Transparenz" werde es geben, kündigt die SPD per Pressemeldung an und die Rückkehr zu einer restriktiven Auslegung der Rüstungsexportrichtlinien. Die Beteiligten sprechen von einem "wichtigen Kompromiss" bei dieser "in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten Frage". Richtig ist, dass über die deutsche Rüstungsexportpolitik öffentlich kontrovers diskutiert wird. Viel anderes ist aber Sand, der der Öffentlichkeit in die Augen statt ins Getriebe kontroverser Rüstungsexportvorhaben gestreut wird.

"Mehr Transparenz" bei Rüstungsexporten

Der Bundestag soll künftig über die "abschließenden Genehmigungsentscheidungen im Bundessicherheitsrat unverzüglich unterrichtet" werden. Wer genau unterrichtet werden soll, ob beispielsweise die Fraktionsvorsitzenden, ein oder mehrere Ausschüsse oder gar ein neu einzurichtendes Gremium, das soll der Bundestag selbst entscheiden. Damit, so die Chefunterhändler, Thomas de Maiziére und Frank Walter Steinmeier, werde es "deutlich mehr Transparenz und demokratische Kontrolle geben" - für den Bundestag und für die Öffentlichkeit. Dann aber folgt eine entscheidende Einschränkung: "Mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen Dritter sind bloße Voranfragen davon nicht betroffen." Das versprochene "Mehr" an Transparenz wird damit wieder aufgehoben, denn die sogenannten Voranfragen lösen den politisch relevantesten Teil der Entscheidungen aus, die der Bundessicherheitsrat trifft. Da diese Einschränkung nur in der gemeinsamen Erklärung der Unterhändler steht, wird sie auch nicht im Koalitionsvertrag nachzulesen sein. Schon das signalisiert: Es fehlt am politischen Willen zu echter Transparenz.

In der Sache wird sich wenig ändern: Denn es sind die "bloßen Voranfragen" für geplante Geschäfte, aufgrund derer sich der Bundessicherheitsrat erstmals mit diesen befasst und seine erste, grundlegende Entscheidung trifft. Firmen fragen regelmäßig in dieser Form an, ob ein Exportgeschäft genehmigungsfähig wäre - noch bevor sie sich um einen Auftrag ernsthaft bemühen oder gar einen Vertrag abschließen. Sie wollen wissen, ob es lohnt, in die Auftragsakquise Geld zu investieren und ob sie später auch mit einer Exportgenehmigung rechnen dürfen. Die Antwort der Bundesregierung erfolgt schriftlich. Ist sie positiv, so spricht man auch von einem "grünen Licht".

Diese Antwort hat verwaltungsrechtlich eine Bindewirkung für die Bundesregierung. Die Firma soll sich darauf verlassen können, dass die Antwort auch noch gilt, wenn später der endgültige Antrag auf eine Ausfuhrgenehmigung vorgelegt wird. Würde die Bundesregierung dann trotz des "grünen Lichtes" den Antrag noch ablehnen, könnte die Firma erfolgversprechend auf Schadensersatz klagen, weil die Bundesregierung die Ablehnung begründen und beweisen muss, dass veränderte Umstände keine Genehmigung mehr zulassen. Die Beweislast kehrt sich also um.

Den endgültigen Ausfuhrantrag stellen Firmen in aller Regel deutlich später: Dann, wenn sie den Auftrag bekommen, einen Vertrag abgeschlossen und das bestellte Rüstungsgut so weit fertig gestellt haben, dass sie es in absehbarer Zeit auch tatsächlich ausführen können. Zu diesem Zeitpunkt haben sie bereits viel Geld in die Akquise, die Bestellung von Gütern, Komponenten und Fremdleistungen sowie in die Arbeit der eigenen Mitarbeiter investiert. Ihnen würde also tatsächlich ein erheblicher Schaden entstehen, käme jetzt noch ein "Nein" von der Bundesregierung. Der Beschluss der Koalitionsunterhändler kündigt an, dass nur die letzte, endgültige Entscheidung des Bundessicherheitsrates dem Bundestag unverzüglich mitgeteilt werden soll.

In der Konsequenz bedeutet dies, dass den Abgeordneten größere Rüstungsexportgeschäfte von der Bundesregierung erst dann amtlich mitgeteilt werden, wenn die Abgeordneten sie bereits seit Monaten oder Jahren aus der Presse oder aus Presseerklärungen der Industrie kennen. Für die Industrie hat die öffentliche Erfolgsmeldung, dass sie einen Auftrag gewonnen hat, ja nicht selten eine Werbewirkung. Meldungen über kleinere Geschäfte, die die Industrie nicht bekannt gegeben hat, könnten dagegen auch neu sein, vorausgesetzt, der Bundessicherheitsrat hat diese auch beraten. Das ist häufig nicht der Fall, denn dieser Kabinettsausschuss befasst sich natürlich nicht mit allen 15 oder 20.000 Ausfuhranträgen, die in einem Jahr gestellt werden. Er entscheidet nur über Vorhaben, die auf der Kriegswaffenliste stehen und in Länder außerhalb von NATO, EU und der Gruppe der Gleichgestellten gehen sollen und über den Export sonstiger Rüstungs- und Dual-Use Güter, wenn dieser entweder kontrovers oder neuartig ist bzw. falls die Beamtenschaft politische Rückendeckung bei einer Genehmigung für wünschenswert hält. Das wiederum sind oft auch Fälle, für deren Beurteilung ein so großes Maß an technischer und juristischer Detailexpertise Voraussetzung ist, wie es im Büro von Bundestagsabgeordneten kaum erwartet werden kann. Problematische Exporte zu erkennen wird nicht immer leicht oder teilweise sogar unmöglich sein.

Unklar lassen die Koalitionsunterhändler, ob sie bei Kriegswaffen bereits die Beschlüsse des Bundessicherheitsrates zur Genehmigung nach dem KWKG oder erst die spätere, endgültige Entscheidung über den Ausfuhrantrag als "abschließende Genehmigungsentscheidung" betrachten, die eine zeitnahe Information des Bundestages zur Folge haben soll.

In jedem Fall werden die Abgeordneten künftig also erst dann informiert, wenn die positive Endentscheidung der Exekutive bereits gefallen ist und die Forderung, diese zurückzunehmen, bereits mit dem Hinweis auf den zu erwartenden, aus Steuergeldern zu zahlenden Schadensersatz gekontert werden kann.

Mit Blick auf die öffentliche Debatte über kontroverse Exportvorhaben bedeutet das so gut wie keinerlei Fortschritt. Wirklich kontrovers und mit offenem Ausgang kann ein umstrittenes Exportvorhaben nur zwischen Eingang der Voranfrage und "grünem Licht" diskutiert werden. In dieser Phase wollen die Unterhändler unter Verweis auf die schutzwürdigen Interessen von Industrie und Empfängerland bei der bisherigen, vollständigen Geheimhaltung bleiben.

Ein Beispiel aus der Vergangenheit zur Illustration: Die Voranfrage von KMW, ob der Export von Leopard-Panzer nach Saudi-Arabien genehmigungsfähig sei, würde nach den beabsichtigten Regeln der Koalitionäre bis heute ebenso geheim sein wie das grüne Licht der Bundesregierung auf diese Anfrage.

Die Absicht, den Bundestag selbst entscheiden zu lassen, welche Abgeordneten künftig informiert werden sollen, bietet zudem angesichts der erdrückenden Mehrheit von CDU/CSU und SPD im Bundestag weitere Möglichkeiten, der Opposition das Leben und die Diskussion des Themas schwer zu machen.

Die Rüstungsexportberichte

Die Koalitionsunterhändler haben sich geeinigt, dass die Vorlage "des jährlichen Rüstungsexportberichtes noch vor der Sommerpause des Folgejahres" erfolgen soll und dass es künftig einen "zusätzlichen Zwischenbericht" geben soll. Auch hier wird nur eine Kleinigkeit der Transparenz dienlich sein, das grundsätzliche Defizit aber bleibt weiter bestehen. Es manifestiert sich bereits im Titel des Jahresberichtes. Dieser lautet "Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 20XY".

Der Bericht befasst sich in großen Teilen nur mit der Genehmigungspolitik der Bundesregierung im jeweiligen Jahr, bis auf wenige Ausnahmen aber nicht mit den tatsächlich ausgeführten Rüstungsgütern. Diese Ausnahmen sind aber meist schon aufgrund internationaler Veröffentlichungspflichten notwendig. Kommt der Rüstungsexportbericht künftig ein halbes Jahr früher, so ist das nett, schafft aber kein Mehr an Transparenz. Gleiches dürfte für den angekündigten Zwischenbericht gelten, für den keine zusätzlich Transparenz schaffenden Inhalte angekündigt werden.

Manch Kritiker der bisherigen Rüstungsexportberichte, der diese schon bisher als Verschwendung von Steuergeldern für nicht wirklich der Transparenz dienende Fleißarbeit hielt, wird sich fragen, ob diese Arbeit sinnvoller wird, wenn sie häufiger anfällt. Auf ähnliche Gedanken könnten auch die zuständigen Bearbeiter im Wirtschaftsministerium kommen.

Politische Richtlinien

"Bei Rüstungsexportentscheidungen in sogenannte Drittstaaten gelten die im Jahr 2000 beschlossenen strengen "Politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die für unser Regierungshandeln verbindlich sind." So der Vorschlag der Koalitionsunterhändler für die zentrale Formulierung zur künftigen deutschen Rüstungsexportpolitik, der manche SPD-Politiker bereits von einer Rückkehr zu der Genehmigungspraxis aus Zeiten von Rot-Grün schwärmen lässt.

Diese Bewertung wird sich in der kommenden Legislaturperiode entweder als blauäugig oder als bewusste Augenwischerei erweisen. Zum einen haben seit 2000 drei unterschiedliche Koalitionen bewiesen, wie man trotz oder mithilfe dieser Richtlinien auch die kontroversesten Exportgeschäfte genehmigen und den deutschen Rüstungsexport deutlich ausweiten kann. Zum anderen gilt: "Pacta servanda sunt". Auch die künftige Bundesregierung ist an die grünen Lichter ihrer Vorgängerinnen gebunden. Es bleibt also nur die Frage, ob sie künftig auf Voranfragen wieder zurückhaltender reagiert und z.B. dem Export anderer Arten gepanzerter Kampfahrzeuge nach Saudi Arabien kein grünes Licht mehr erteilt.

Auch diesbezüglich sind substantielle Zweifel angebracht. Zum einen, weil die Grundsatzentscheidung, über Exportwünsche für solche Fahrzeuge auf die arabische Halbinsel künftig im Einzelfall zu entscheiden bereits auf die große Koalition 2005-2009 zurückgeht. Zum anderen, weil zum Beispiel die grünen Lichter für Katar unter Schwarz-Rot und Saudi-Arabien unter Schwarz-Gelb Präzedenzfälle geschaffen haben, die bei weiteren Exportwünschen den lauten Ruf nach "gleichem Recht für alle" garantieren.

Europäische Harmonisierung

Mindestens ebenso schwer wiegt eine weitere Ankündigung für den Koalitionsvertrag. "Wir setzen uns für eine Angleichung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU ein. Europäische Harmonisierungen müssen so umgesetzt werden, dass sie die Mindestanforderungen des Gemeinsamen Standpunkts der EU aus dem Jahr 2008 nicht unterschreiten."

Was klingt, als müsse darum gekämpft werden, dass die EU ihren Gemeinsamen Standpunkt nicht aufweicht, hat weitreichende Implikationen. Der Gemeinsame Standpunkt der EU wird derzeit überprüft. Da inzwischen nicht nur mit diesem Dokument, sondern auch mit dem neuen Arms Trade Treaty, rechtsverbindliche Texte internationalen Charakters zu Rüstungsexporten vorliegen, ist damit zu rechnen, dass in EU-Ländern Stimmen laut werden, die fordern, den restriktiveren Gemeinsamen Standpunkt der EU an den liberaleren ATT anzupassen, damit europäische Firmen nicht von Wettbewerbsnachteilen auf dem Weltmarkt getroffen werden. Zum Ende des Jahres soll der Abschlussbericht der EU-Überprüfung vorliegen. Entwürfe des Berichtes dürfte die Bundesregierung bereits kennen, zumindest aber die Stoßrichtung, mit der zu rechnen ist. Sie arbeitet ja an dem Bericht mit. Sie weiß somit, ob Unterschreitungen der bisherigen Mindeststandards gefordert werden sollen und ob dies in Kürze auf der politischen Agenda stehen wird.

Mit anderen Worten: Es kann gut sein, dass die Koalitionsunterhändler ein Menetekel an der Wand formuliert haben, und die Beibehaltung der bisherigen Regelungen fordern, weil sie wissen, dass der Gemeinsame Standpunkt aufgeweicht werden könnte. Da sie ankündigen, dass ihnen eine stärkere Angleichung zwischen den nationalen Rüstungsexportrichtlinien der EU-Länder letztlich wichtiger sein wird, kündigen sie indirekt auch an, dass eine Lockerung der Rüstungsexportrichtlinien auf europäischer Ebene nicht ausgeschlossen werden kann. Dieser blickt man mit einer Träne im scheinbar weinenden, aber letztlich lachenden Auge entgegen. Die schlechte Nachricht wird ja aus Brüssel kommen. Harmonisierung wird wohl erneut zum Synonym für Lockerung.

Schließlich fällt auf, dass nur von Exporten in sogenannte Drittstaaten die Rede ist. Es wird keine Aussage über Exporte in die gewachsene Gruppe der EU-, NATO- und diesen gleichgestellten Länder gemacht. Exporte in diese Staaten werden bereits heute nur in besonderen Ausnahmefällen untersagt. Exporte in andere EU-Staaten werden durch die sogenannte Verbringungsrichtlinie sogar weiter erleichtert. Damit wird die praktische Handhabung des Gemeinsamen Standpunktes durch die Länder, in denen Waffensysteme endgefertigt werden, bedeutsamer. Sie genehmigen den Export dieser Waffensysteme in Drittländer und wenden dabei ihre nationale Interpretation der harmonisierten EU-Regeln an, die einen laxer und die anderen etwas strenger. In Deutschland hat das bereits in der letzten Legislaturperiode das Argument auf den Plan gerufen, es gelte Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil deutscher Firmen zu beseitigen. In der künftigen Praxis kann daraus erneut die Notwendigkeit einer Lockerung auch der deutschen Interpretation der europäischen Regeln abgeleitet werden. Die Gefahr, dass europäische Harmonisierung eine liberalere Rüstungsexportpolitik auch in Deutschland zur Folge hat, ist somit nicht von der Hand zu weisen.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS

Quelle: BITS - 17.11.2013. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer.

Veröffentlicht am

19. November 2013

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