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Verkracht: Es war einmal der Westen

Zwischen den USA und Deutschland tut sich eine Kluft auf. Die strategischen Kulturen sind zu verschieden

Von Lutz Herden

Noch dämmert kein Kalter Krieg herauf, aber auf erkaltete Leidenschaften plädieren darf man schon. Geht zwischen Berlin und Washington etwas zu Bruch, was auf Dauer Stückwerk bleibt? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die außen- und bündnispolitische Geschäftsgrundlage aus 64 Jahren Bundesrepublik Deutschland erodiert und zur offenen Zweierbeziehung wird. Die Allianz mit den USA galt als Karma westdeutscher Staatlichkeit nach 1949. Sie ermöglichte Ankunft und Aufstieg im Westen. Spätestens mit der NATO-Mitgliedschaft 1955 fand sich der Kriegsgegner von einst als Allianzpartner rehabilitiert. Dass es sich dabei auch um ein pragmatisches Arrangement im Kalten Krieg handelte, weil man einander brauchte, wurde gern ausgeblendet.

Schämen Sie sich nicht?

Es war einfach eine Wucht, sich an der Seite eines großen Gönners zu wissen: Luftbrücke, Marshallplan und Peppermint-Frieden, Checkpoint Charlie und John F. Kennedy als "Ich bin ein Berliner"-Apostel, dazu das Entree-Billett fürs westliche Bollwerk gegen östlichen Sozialismus und Systemwandel. Alles verschmolz in dem um Selbstvergewisserung bemühten Westen Deutschlands zur Meta-Erzählung von Freiheit und Freundschaft auf immer und ewig. Wer wollte schon zur Kenntnis nehmen, wie sehr sich die Amerikaner bei all ihren Wohltaten selbst am nächsten blieben? Die Luftbrücke von 1948 wurde geschlagen, um die Westsektoren Berlins als Pfahl im Fleisch der Sowjets zu halten (warum sonst gab es zuvor die einseitige Währungsreform?) und nicht um Menschen mit Rosinen zu beglücken, die kürzlich noch ihrem Führer Treue bis in den Tod geschworen hatten.

Im Herbst 2013 verliert dieser Fetischismus der Symbole plötzlich an Aura und Beschwichtigungskraft. Die stillose Bespitzelung unter Freunden provoziert die nicht eben stilvolle Empörung der Frustrierten. John B. Emerson, US-Botschafter in Berlin, wird von Journalisten interviewt, als würde er keine diplomatische Mission, sondern eine Filiale der Mafia führen. Was befindet sich in den Betonquadern auf dem Dach Ihrer Botschaft?, wird er zur Rede gestellt. Abhöreinrichtungen? Sollten Verbündete so miteinander umgehen? Was allein fehlt, ist die Frage: Schämen Sie sich nicht?

Driftet auseinander, was nicht mehr zusammengehört? Die Kanzlerin widerspricht und beschwört den westlichen Wertekanon. Der stehe nicht zur Disposition. Wie recht Angela Merkel hat, lässt sich der Antwort auf die Frage entnehmen: Was treibt in Deutschland den Entrüstungspegel mehr nach oben? Die mit US-Drohnen in Pakistan verübten Verbrechen oder das Abhören von Regierungstelefonen in Berlin? Die Antwort lässt wissen, zerfallen wird das transatlantische Miteinander so schnell nicht. Was die USA und Deutschland dennoch belastet, ist die wachsende Kluft zwischen der jeweiligen "strategischen Kultur", die ihrem Handeln zugrunde liegt. Dabei reflektieren die Risse im amerikanisch-deutschen Verhältnis, wie sich die Beziehungen zwischen den USA und Europa insgesamt verändert haben. Spätestens seit dem Vertrag von Maastricht (1992) und der davon erhofften Integrationsdynamik bis hin zur Währungsunion rechneten die USA mit dem Aufstieg Europas zur Supermacht, der man als Konkurrent und Partner zu begegnen gedachte. Es kam anders. Europa blieb die beschlossene Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) schuldig und von seinem Militärpotenzial her weit hinter den Fähigkeiten der Amerikaner und deren Willen zurück, dieses Vermögen im Sinne klassischer Machtprojektion auszuspielen. Die territoriale Neuordnung auf dem Balkan - in Bosnien wie in Serbien - war auf Amerika als Militär- und Führungsmacht angewiesen. Sie ließ durchsetzen, was es seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa nicht mehr gegeben hatte: die Revision von Grenzen. Deutschland folgte dem willig und tatkräftig, solange das Risiko überschaubar und seine strategische Kultur gewahrt blieb. Die hatte sich im Kalten Krieg bewährt und setzte auf Vertragspolitik, auf Wirtschafts- und Handelsmacht, auf Ideologietransfer und Menschenrechtsapologetik. Im Zeichen dieser Politik konnte - von Jugoslawien abgesehen - Osteuropa nach 1990 aufgerollt werden, ohne dass ein Schuss fiel. Die Osterweiterung der EU machte den Export eines Wirtschaftssystems zum unumstößlichen Vorgang. Europa schwor damit traditioneller Machtpolitik nicht ab, sondern bewegte sich gewissermaßen darüber hinaus, indem diese durch Verträge und Gesetze innerhalb der EU institutionalisiert und verfeinert wurde. Auch dieser Vorgang hat etwas Unumstößliches.

Den USA hingegen galt dieser post-historische Entwurf von Machtpolitik als Muster ohne Wert. Sie gingen davon aus, allein Besitz sowie Einsatz militärischer Macht und ein - nicht zuletzt durch die Geheimdienste - transportierter technologischer Vorsprung garantieren das imperiale Dasein. Nichts konnte in dieser Überzeugung mehr bestärken als der 11. September 2001. Danach flossen enorme Ressourcen in einen globalen Anti-Terror-Krieg, dessen Sinn bis heute nicht darin besteht, gewonnen, sondern permanent geführt zu werden. Vertraglich geregelte Beziehungen (wie in der EU oder UNO) und das Völkerrecht bilden aus US-Sicht keine Gewähr, jenem Anspruch ungehindert folgen zu können.

Europa ist zu schwach

Der Glaube in Europa, dies werde mit dem Wechsel von George W. Bush zu Barack Obama abgeschwächt, hat sich als Trugschluss erwiesen. Der jetzige Präsident lässt sich ganz und gar auf das Zeitalter der asymmetrischen Kriege ein. Er scheut zwar den direkten Angriff auf Syrien, befiehlt aber verdeckte Aktionen (wie gegen Osama bin Laden). Er setzt auf die Macht der Drohnen und das weltweite Auskundschaften von Alliierten und Antipoden. Im Vergleich zu Vorgänger Bush gibt es am "strategischen Prinzip" keinerlei Abstriche.

Anfangs wurde Obama das Europa-Freundliche eines John F. Kennedy angedichtet, doch längst ist klar, dass es sich um den am wenigsten europäischen Präsidenten seit Kennedy handelt. Er kennt keine Rücksichten, wenn es gilt, sicherheitspolitische Prioritäten zu setzen. Die Kluft zwischen den strategischen Kulturen Europas und Amerikas mutiert längst zur Asymmetrie im transatlantischen Verhältnis. Anders ausgedrückt: Europa ist zu schwach, zu wenig krisenresistent und auch zu illoyal, um von den USA als nützlicher Partner anerkannt zu werden. Die Legenden von einst verlieren das Monumentale.

Quelle: der FREITAG vom 15.11.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

15. November 2013

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