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Spionageaffäre: Mehr ein Vertrauensbeweis

Die Töne in Berlin über das Abschöpfen der Kanzlerin geraten zu schrill. Es scheint ein Missverständnis über den Gefühlshaushalt bilateraler Beziehungen vorzuliegen

Von Lutz Herden

Wer von den USA abgehört und ausgespäht wird, sollte sich geehrt fühlen. Man hat dadurch einen Relevanz-Check erfolgreich bestanden. Auch die Kanzlerin - das sollte sie weder überraschen noch empören. Das vereinte Europa wird in den Vereinigten Staaten oft als großes, zänkisches Kaufhaus wahrgenommen. Aber nicht abgeschrieben, wie dem Interesse an der Kommunikation von Angela Merkel zu entnehmen ist. Bereits im Juni war dank Edward Snowden durchgesickert, dass man sich in den US-Geheimdiensten - auch in der US-Administration selbst - gern ein genaueres Bild vom Geschehen in der Brüsseler EU-Zentrale macht.

Werden deren Entscheider überwacht, wäre die deutsche Kanzlerin schwer brüskiert worden, hätte man sie als tatendurstige Eurokrisen-Managerin ausgespart. Eine solche Missachtung ließe an der Expertise der NSA und ihrer Partner zweifeln. Angela Merkel abzuschöpfen, das ist genau genommen mehr Vertrauensbeweis als Vertrauensbruch. Man vertraut auf ihren Führungsanspruch und ihre Führungsqualitäten, man traut ihrer disziplinierenden Durchsetzungskraft in einem von der Finanzkrise angeschlagenen Europa - und will eben wissen, wie sie davon Gebrauch macht. Wie oft haben die USA in der Person des Präsidenten, der US-Finanzminister Timothy Geithner und Jacob Lew oder des Fed-Chefs Ben Bernanke die Euro-Gemeinschaft ermahnt, die Finanzmärkte nicht zu verschrecken und berechenbarer zu werden? Auch die USA seien darauf angewiesen.

Im Hochsicherheitstrakt

Vielleicht ist die deutsche Regierung dem Irrgauben erlegen, sie könne sich derartiger Erwartungen entledigen, indem sie Barack Obama einen von inbrünstiger Sympathie getragene Aufnahme in Berlin bereite, wie das Mitte Juni geschehen ist. Wer erinnert sich nicht dieser denkwürdigen Stunden, dieses Hochamtes der deutsch-amerikanischen Freundschaft, wie es am Brandenburger Tor zelebriert wurde? Die Honoratioren des Landes saßen stundenlang bei brütender Hitze in einem käfigartigen Hochsicherheitstrakt, als sollte ihnen der Messias erscheinen. Schon damals flatterten Gerüchte über die obsessiven Gebaren der US-Dienste durch den Sommerwind, aber was konnten sie Tausenden von Papierfähnchen anhaben, die in der Mitte Berlins Gleiches taten? Der große Bruder und die kleine Schwester wollten sich die Weihestunde ihres inniglichen Bundes nicht nehmen lassen, auch wenn sie hoffentlich wussten: Beziehungen zwischen Staaten gründen nicht auf Gefühlen, sondern Interessen. Man hat sich stets und stets von Neuem wieder davon überzeugen dürfen!

Die unzerstörbaren Freundschafts- und Bruderbande zwischen der Sowjetunion und der DDR war 1989 jäh zerbrochen, als der zweite deutsche Staat für den Mäzen im Osten zum Ballast wurde, der über Bord gehörte. In ihrer knapp einjährigen Restlaufzeit nach dem Mauerfall taugte die DDR allein zum Faustpfand, einzutauschen gegen ein Butterbrot, das in Moskau schneller verzehrt war als gedacht. Dieser Handel taugte nicht einmal zum Kuhhandel. Er ging so gründlich daneben, dass Russland als Erbe des Sowjetstaates zu guter Letzt verdutzt in leere Hände blickte. Nicht einmal die Osterweiterung der NATO blieb ihm erspart.

Was sollte Angela Merkel nun tun. Sie sollte ihrem Realismus vertrauen. Ein Umzug vom Kanzleramt ins DDR-Staatsratsgebäude käme in Frage. Dort liegen gewiss noch die Drähte des KGB. Warum sollten die Amerikaner damit nichts anzufangen wissen und wollen? Vertrauen war gut, Kontrolle ist besser.

Quelle: der FREITAG vom 28.10.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

28. Oktober 2013

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