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Auf und davon

Ausstieg: Die Bundeswehr hat ihr Camp in Kunduz und damit einen Teil Nordafghanistans aufgegeben, der immer wieder umkämpft war. Dieser Rückzug wirkt wie eine Teilkapitulation

Von Lutz Herden

Der Ausflug der Bundeswehr nach Afghanistan trug viele Namen. Aus einer "humanitären Stabilisierungsmission" wurde ein "robuster Stabilisierungseinsatz" wurde ein "nicht-internationaler bewaffneter Konflikt" wurden "kriegsähnliche Zustände" wurde "ein Krieg am Hindukusch".

Man konnte sich darauf verlassen, dass die Reflexion dieses Einsatzes seiner Realität nie das Wasser reichen konnte - und sollte. Fast scheint es, als habe Verteidigungsminister de Maizière diesem Brauch entsagt, wenn er bei der Aufgabe des deutschen Feldlagers in Kunduz davon spricht, dass die Bundeswehr am Hindukusch "kämpfen gelernt" habe. Auch töten und sterben, schützen und helfen, zerstören und aufbauen, angreifen und abziehen, ließe sich ergänzen. De Maizière ruft den Soldaten nicht Hindenburgs - ihr seid im Felde unbesiegt! - hinterher. Aber weiß er wirklich, was es bedeutet, wenn Soldaten, die "kämpfen gelernt" haben, in eine risikoscheue Gesellschaft und ein Land zurückkehren, das diesen Krieg mehr verdrängt als geführt hat, weil es ein Reservat der Ruhe und des Wohlbefindens sein mag und nichts mehr fürchtet, als durch äußeren Druck innerlich erschüttert zu werden?

Es lohnt sich, im Herbst 2013 an den Herbst 2001 zu erinnern, als alles begann. Die USA waren seinerzeit entschlossen, sich mit messianischem Furor und eisernen Willen Genugtuung für 9/11 zu verschaffen. Rache und Strafe galten als Raison d’être einer von der Bush-Administration für unverzichtbar gehaltenen Reaktion auf die erlittene Demütigung. Da in Kabul seit 1996 mit den Taliban mutmaßliche Gesinnungsfreunde der Attentäter herrschten, die am 11. September 2001 mit gekaperten Verkehrsmaschinen ins World Trade Center geflogen waren, empfahlen sich diese bigotten Jünger Allahs als nächstliegendes, leicht zu erledigendes Ziel für den imperialen Gegenschlag. Sie zu bestrafen, hieß zunächst nicht viel mehr, als ihre Regierung zu stürzen und durch ein Besatzungsregime zu ersetzen. Wer ihre Macht brechen wollte, musste allerdings weiter gehen und sich auf einen asymmetrischen Krieg einlassen, wie es ihn so bisher noch nicht gab. So kam es zum längsten, aufwendigsten, opferreichsten, zermürbendsten Schlagabtausch dieser Art im 21. Jahrhundert, bei dem die USA und ihre Verbündeten auf einen Gegner und an Grenzen stießen, die sie beide scheiterten ließen.

Demokratie-Import

Zur Erklärung wird heute gern das Argument bemüht, von Anfang an sei die Strategie der NATO grundfalsch gewesen. Ein Feldzug gegen den Terror lasse sich nicht mit militärischen Mitteln allein gewinnen. Sicher wahr. Die zivile und zivilisatorische Komponente einer Befriedung Afghanistans fristete ein Schattendasein. Auch wurde die Erfahrung bestätigt, wer per Intervention zur Annahme eines westlichen Demokratie-Exports zwingt, weiß seit Vietnam, was ihm blüht.

Wesentlich entscheidender für die mit dem Truppenabzug besiegelte Kapitulation vor der afghanischen Wirklichkeit ist freilich der Umstand, dass dieser Krieg politisch verloren ging. Er wurde bis auf die USA von den beteiligten Staaten wohl nie als das begriffen, was er war - eine elementare, unbarmherzige, destruktive Herausforderung, bei der es nur eine Alternative gab: Annehmen oder vermeiden und sich der Tatsache stellen, dass westliche Gesellschaften mental und materiell zu verwundbar und zu hedonistisch, zu unheroisch und innerlich zu zerrissen sind, um jene Ressourcen zu mobilisieren, die es braucht, um asymmetrische Kriege nicht nur anzetteln, sondern durchstehen und gewinnen zu können.

Afghanistan mutet an wie eine vorletzte Chance, daraus endlich Konsequenzen zu ziehen. Durch Augenmaß und Zurückhaltung. Was schwerfallen dürfte. Der Krieg gegen den Terror und das daraus abgeleitete Sicherheitsbedürfnis sind konstitutive Elemente einer abendländischen Kultur, deren Wohlstandschauvinismus auf den äußeren Feind angewiesen ist. Er wird gebraucht wie das Plus vor den Kennziffern der nationalen Ökonomie.

Wie 1989

Der Abzug der NATO-Verbände gerät nun für den afghanischen Widerstand zum Triumph - nicht wegen des Ausstiegs an sich, sondern weil aus verfemten Kombattanten plötzlich begehrte Verhandlungspartner werden. Denn ohne Machtbeteiligung der Taliban und anderer Aufständischer dürfte ab 2014 ein halbwegs funktionierender afghanischer Staat kaum denkbar sein. Mit anderen Worten, die NATO hinterlässt ein Machtvakuum mit einem gefährlichen Konfliktpotenzial. Man fühlt sich in das Jahr 1989 zurückversetzt, als die Sowjetarmee Afghanistan den Rücken kehrte und alles in ähnlicher Weise offen und unsicher war. Was sich dem anschloss, ist bekannt. Den Jahren eines latenten Bürgerkrieges, bei dem fast jeder gegen jeden focht, folgte im September 1996 der Einzug der Taliban in Kabul.

Quelle: der FREITAG vom 07.10.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

09. Oktober 2013

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