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Nein, nicht schon wieder ein Angriffskrieg … !

Von Albert Fuchs

Nein, nicht schon wieder ein Angriffskrieg unter dem Banner einer Responsibility to Protect (RtoP)! Der manifeste Missbrauch dieser "im Nachgang" zu Ruanda und Srebrenica sowie zum Kosovo-Krieg auf Anregung des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan im UNO-Rahmen entwickelten Idee einer individuumbezogenen "Schutzverantwortung" der Staatenwelt, u.U. auch mit militärischen Mitteln zu Lasten der Souveränitätsgarantie der UN-Charta (gemäß Art. 2 Abs. 1, 4 und 7), ist in bedrückender Erinnerung. Das Mandat des UN-Sicherheitsrats zu "allen notwendigen Maßnahmen" zum Schutz bedrohter Zivilpersonen und ziviler Wohngebiete (mit Resolution 1973, Ziff. 4)UN SC (2011): Resolution 1973, S/RES/1973 (2011), http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/RES/1973 . diente seinerzeit den USA, Frankreich, Großbritannien und Katar als Legitimationsgrundlage ihrer zum Regimewechsel führenden militärischen Intervention.Vgl. Paech, N. (2012): Libyen und das Völkerrecht. In J.M. Becker & G. Sommer (Hrsg.), Der Libyen-Krieg. Das Öl und die "Verantwortung zu schützen" (S. 61-76). Berlin: Lit. Notorische "Gutkrieger" hält das jedoch nicht davon ab, das RtoP-Konzept auch im Falle Syriens zu bemühen.

Unter Rückgriff auf dieses Konzept versucht man insbesondere im Kontext der Auseinandersetzung um den auf dürftiger informationeller Grundlage dem Assad-Regime zugeschriebenen Giftgaseinsatz vom 21. August "eine klare und starke Antwort" im Wege "begrenzter Militärschläge" auch ohne UNO-Mandat als rechtfertigungsfähig oder gar als geboten erscheinen zu lassen.So bspw. der französische Präsident Francois Hollande, nach A. Viollaz: Syria carnage reopens debate over ‚responsibility to protect’, AFP, 27.08.2013, http://news.yahoo.com/syria-carnage-reopens-debate-over-responsibility-protect-220957264.html ; oder die Abgeordneten der Grünen im Europaparlament Reinhard Bütikofer im Gespräch mit Thielko Grieß, dradio.de, 27.08.2013,  http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2230417/ , und Werner Schulz im Gespräch mit Dirk Müller, dradio.de, 05.09.2013, http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2240441/ . Im Vordergrund steht seitens der Interventionsbefürworter aus diesem konkreten Anlass allerdings meist die vorgebliche Pflicht der Staatengemeinschaft, einen Verstoß gegen das Chemiewaffenverbot des Genfer Protokolls von 1925 (bzw. der von Syrien freilich nicht ratifizierten Chemiewaffenkonvention von 1993/1997) zu sanktionieren. Die UN-Charta sieht jedoch die Bestrafung eines Staates (oder Staatschefs), der UN-Recht verletzt, nicht vor bzw. verweist in Art. 36 (3) auf den Internationalen Gerichtshof - und damit, nach dessen zwischenzeitlichen Einrichtung, auch auf den Internationalen Strafgerichtshof. Dieser Weg wird allerdings von Regierenden kaum in Betracht gezogen, zumal die USA dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nicht beigetreten sind.Vgl. Thilo Marauhn im Gespräch mit Jürgen Liminski, dradio.de, 29.08.2013, http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2232285/ und Gunter Pleuger im Gespräch mit Thielko Grieß, dradio.de, 31.08.2013, http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2234975/ . Insofern behält der RtoP-Rechtfertigungsansatz für jede (potenzielle) "Koalition von Willigen" zumindest hintergründig eine besondere Bedeutung. Sollte die jüngste russisch-amerikanische Initiative, das syrische Chemiewaffenarsenal auf diplomatischem Weg unter internationale Kontrolle zu bringen, messbaren Erfolg zeitigen, dürfte der RtpP-Ansatz noch größeres Gewicht erhalten. Denn mit der Behebung des Chemiewaffenproblems ist der Bürgerkrieg in Syrien ja noch lange nicht beigelegt, werden die Aufständischen noch dringlicher nach einem militärischen Eingreifen (des Westens) verlangen. Was also auf der Linie des Gutkriegertums kann der RtoP-Ansatz leisten?

Das RtoP-Konzept ist auf den ersten Blick interventions-legitimatorisch sehr brauchbar. Beinhaltet es doch in seinem harten Kern die Rechtfertigung von militärischer Gewalt mit humanitären Werten und Zielen, wie das Kriegsherren seit unvordenklichen Zeiten sowohl retrospektiv wie prospektiv praktizieren. Fraglos neu ist die smarte Fassung dieses Rechtfertigungsansatzes: Statt teils positive, teils negative Bedeutungskomponenten mit sich zu führen wie das Vorläuferkonzept der (einzelstaatlichen) humanitären Intervention, ist das RtoP-Konzept widerspruchsfrei positiv. Vor allem aber erscheint nun nicht mehr die Intervention rechtfertigungspflichtig, sondern der Verzicht darauf. Das droht freilich einen Moralismus zu begünstigen, der nicht nur die ethischen Dilemmata humanitär begründeter Kriege ignoriert, sondern leicht selbst zum "Kriegstreibstoff" gerät. Dagegen wollte Kofi Annan doch die Missbrauchsanfälligkeit "humanitärer Interventionen" überwinden und eine Balance finden zwischen dem generellen Gewaltverbot und der Souveränitätsgarantie der UN-Charta einerseits (Art. 2 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1, 4 und 7) und andererseits ihrem Anspruch, die "Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied…" zu befördern (Art. 55 Abs. c; vgl. Art. 1 Abs. 3). Was ist nun aus diesem Bemühen um eine Art Quadratur des Kreises geworden? Und wie brauchbar kann sein, was daraus geworden ist, für eine solide völkerrechtliche Legitimierung selbstmandatierter militärischer Interventionen Dritter in einen so erbarmungslos wie in Syrien geführten Bürgerkrieg? Zu Beantwortung dieser Fragen muss man sich den Verlauf der von Annan angestoßenen Debatte bzw. ihre wichtigsten (Zwischen-) Ergebnisse genauer ansehen.

Die fragliche Begrifflichkeit findet sich erstmals in dem Ende 2001 vorgelegten Bericht einer von der kanadischen Regierung zur Ausarbeitung von Annans Anregung initiierten Ad hoc-Gruppe von 12 internationalen Experten, der sog. International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS). In diesem Bericht spielt ein neues Verständnis von staatlicher Souveränität eine Schlüsselrolle. Die Souveränität eines Staates nach innen (selbstbestimmte Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung) wird inhaltlich mit der Verantwortung für den Schutz seiner Bürger vor "schwerwiegendem und irreparablem Schaden" nahezu gleichgesetzt. Vor allem wird postuliert, die äußere Souveränität (keine Einmischung anderer Staaten in innere Angelegenheiten) hänge davon ab, ob ein Staat seiner Schutzverantwortung gegenüber seinen Bürgern gerecht werde; sei er dazu nicht in der Lage oder nicht willens, gehe diese Verantwortung zu Lasten seiner Souveränität an die Gemeinschaft der Staaten über - und zwar als Verantwortung zu Vorbeugung, Krisenreaktion und Wiederaufbau (responsibility to prevent, to react, to rebuild). Insbesondere soll die krisenreaktive Komponente bei Vorliegen des umschriebenen Erlaubnisgrunds (just cause) als letztes Mittel (last resort) die Befugnis zu militärischer Intervention umfassen; die aber müsse grundsätzlich vom UN-Sicherheitsrat autorisiert werden, könne notfalls aber auch durch die Generalversammlung (Uniting for peace-Verfahren) oder eine zuständige Regionalorganisation (als right authority) zugestanden werden. Darüber hinaus sollen drei weitere Prüfkriterien zur Geltung kommen: rechte Absicht (right intention), verhältnismäßige Mittel (proportional means) und vernünftige Erfolgsaussichten (reasonable prospects) - alles alte Bekannte aus der Bellum iustum-Tradition.

Die RtoP-Konzeption der ICISS sollte eine Diskussionsgrundlage sein; als solche fand sie im UN-Kontext und darüber hinaus lebhafte Resonanz, wurde auch schon bald als "sich herausbildende Völkerrechtsnorm" gehandelt. Die bisher verbindlichste Rezeption durch ein Organ der UN stellt ihre Aufnahme in die Resolution der Generalsversammlung über das Ergebnis des UNO-Reformgipfels von 2005 dar.UN GA (2005): World Summit Outcome, A/Res60/1 Ziff. 138f., http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/60/1 . Danach beinhaltet RtoP:

  • primär die Verantwortung jedes einzelnen Staates, seine Bevölkerung vor "Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu schützen
  • sodann eine Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, durch die UN "geeignete diplomatische, humanitäre und andere friedliche Mittel gemäß Kapitel VI und VIII der UN-Charta zu ergreifen", um diesen Schutz zu gewährleisten
  • und schließlich die Bereitschaft (we are prepared), "über den Sicherheitsrat im Einzelfall und in Zusammenarbeit mit den zuständigen Regionalorganisationen rechtzeitig und entschieden kollektive Maßnahmen im Einklang mit der Charta, namentlich Kapitel VII, zu ergreifen, falls friedliche Mittel sich als unzureichend erweisen und die nationalen Behörden offenkundig dabei versagen, ihre Bevölkerung vor … zu schützen".

Bemerkenswert sind folgende Modifikationen gegenüber dem ICISS-Vorschlag:

  • eine paradigmatische Spezifikation des Schutzbedarfs - unter Einschränkung auf existenzinteressenrelevante Tatbestände (Völkermord, …), so dass klar ist, dass es "nur" darum gehen kann, eine Bevölkerung vor der Hölle zu retten, nicht aber darum, um ihr den Himmel zu bringen, wie das der zweite UN-Generalsekretär Dag Hammerskjöld bereits 1954 auf den Punkt gebracht hatIn Anlehnung an Thilo Marauhn im Gespräch mit Jürgen Liminski (Anm. 3).
  • die Betonung friedlicher Mittel unter der Regie der UNO bei der Wahrnehmung internationaler Verantwortung - unter Absehen von einer souveränitätstheoretischen Fundierung der RtoP-Konzepts, insbesondere unter Verzicht auf dessen moralische Aufladung
  • vor allem aber eine ausdrückliche Orientierung an der UN-Charta in der Frage humanitär begründeter militärischer Maßnahmen - unter Verzicht auf eine normative Qualifizierung der erklärten diesbezüglichen Handlungsbereitschaft und erst recht ohne Andeutung einer Interventionspflicht - sowie unter (impliziter) kriteriologischer Beschränkung im Eventualfall auf die (Bellum iustum-)Kriterien gerechter Grund (in der besagten Spezifikation), legitime Autorität (ohne eine auch nur andeutungsweise Erweiterung der Autorisierungskompetenz) und letztes Mittel.

Das RtoP-Konzept in der Fassung des Reformgipfels von 2005 stellt demnach offensichtlich ein Korrektiv der ICISS-Vorlage dar. Insbesondere wird einerseits die Interpretationsoffenheit dieser Vorlage im Punkt Erlaubnisgrund ("schwerwiegender und irreparabler Schaden") wesentlich eingeschränkt; andererseits wird kein Autorisierungsweg am UN-Sicherheitsrat vorbei eröffnet. Insgesamt ist unverkennbar, dass die Generalversammlung das Konzept als Präzisierung der UNO-Charta versteht, als eine Art "Handlungsanweisung an den Sicherheitsrat, wie er am besten mit der UNO-Charta umgeht" (Norman Paech).Zit. nach J.M. Becker, G. Sommer & D. Stroop (2011): Streitgespräch zu "Responsibility to Protect" zwischen Michael Daxner und Norman Paech. In J.M. Becker & G. Sommer (Hrsg.), Der Libyen-Krieg. Das Öl und die "Verantwortung zu schützen" (S. 77-107, hier: S. 87). Berlin: Lit. Damit ist auch klar: Die bisher autoritativste Fassung der RtoP-Idee bietet einer "Koalition von Willigen" keine Handhabe, militärisches Eingreifen in einen Bürgerkrieg völkerrechtlich zu legitimieren. Im Gegenteil, trotz RtoP bleibt eine solche Intervention ein Verstoß gegen das zwingende Gewaltverbot der UN-Charta, also selbst ein manifester Bruch des Völkerrechts. Und auch die Unterstützung ist gemäß der Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung von 1974 als Aggressionshandlung völkerrechtlich geächtet.88 UN GA (1974): Definition der Aggression, A/RES/3314 (XXIX), 14.12.1974, http://www.un.org/Depts/german/gv-early/ar3314_neu.pdf .

Eine ganz andere Frage ist, ob im syrischen Bürgerkrieg inzwischen materiale Voraussetzungen (im Sinne der Spezifikation der Generalversammlung) eines militärischen Eingreifens Dritter vorliegen. Aber auch diese Entscheidung ist gemäß Art. 39 der UN-Charta Sache des Sicherheitsrats - ebenso wie die Entscheidung über nicht-militärische oder militärische Maßnahmen (gemäß Art. 41 bzw. 42 der Charta) aufgrund dieser Beurteilung.

Fußnoten

Veröffentlicht am

15. September 2013

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