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Die nachhaltige Bedeutung des Marsches auf Washington für Arbeitsplätze und Freiheit von 1963

Von Douglas Sturm, Fellowship of Reconciliation, 16. August 2013

Vor fünfzig Jahren marschierten etwa 300.000 Menschen aus ganz Amerika in der Hauptstadt der Nation entschlossen und offensichtlich voller Freude vom Washington Monument zum Lincoln Memorial. Dieser Marsch wurde zur Schlüsselveranstaltung im modernen Bürgerrechtskampf. Wenn man ihn in seinem besonderen historischen Zusammenhang nimmt, wird er gewöhnlich - und nicht zu Unrecht - als Kraft angesehen, die zu dem wichtigen Bürgerrechtsgesetz von 1964 geführt hat. Seine grundlegendere Bedeutung wird jedoch allzu häufig vernachlässigt.

Die Bürgerrechtsführer, die zu dieser dramatischen Veranstaltung aufriefen und sie organisierten, waren A. Philip RandolphAsa Philip Randolph (1889- 1979) war ein in der Arbeiterbewegung und der Bürgerrechtsbewegung aktiver US-amerikanischer Sozialist. (Präsident der Bruderschaft der SchlafwagenschaffnerGewerkschaft, eine der mächtigsten afro-amerikanischen Organisationen des 20. Jahrhunderts. und Vizepräsident von AFL-CIO Die American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations (AFL-CIO) ist der mitgliederstärkste Gewerkschaftsdachverband der USA und Kanadas.), Martin Luther King (Präsident von Southern Christian Leadership CouncilDie Southern Christian Leadership Conference (SCLC) ist eine US-amerikanische Bürgerrechtsorganisation, die für die Rechte der afroamerikanischen Bevölkerung eintritt.) und Bayard Rustin (Aktivistenführer der War Resisters League und von Congress on Racial Equality. Letzteren gründete er während seiner Zeit als Mitarbeiter bei Fellowship of Reconciliation (Versöhnungsbund) mit.

Einundzwanzig Jahre zuvor (1941), als die Vereinigten Staaten im Begriff waren, in den Zweiten Weltkrieg einzutreten, hatte Randolph in Zusammenarbeit mit Rustin zu einem massenhaften Marsch von Afroamerikanern aufgerufen. Damit sollte der Forderung nach vollkommener Aufhebung der Rassentrennung sowohl in den Streitkräften als auch in der Kriegsindustrie Nachdruck verliehen werden. Präsident Franklin D. Roosevelt reagierte, da er die Aussicht auf eine derartige Demonstration fürchtete, damit, dass er von sich aus umgehend die Diskriminierung in Verteidigungsverträgen verbot. Diese Handlung verhinderte zwar den Marsch, Randolph blieb jedoch bei seiner Forderung nach vollkommener wirtschaftlicher Gleichberechtigung aller schwarzer, ja aller Bürger Amerikas.

1962 hatte die "Freiheitsbewegung", die in den 1950er Jahren ihren Anfang genommen hatte, ihre Aktivitäten durch Sit-ins, Freiheits-Fahrten, Märsche vor Ort und Demonstrationen ausgeweitet. Da beauftragte Randoph seinen Mitstreiter Rustin, detaillierte Pläne für einen großen Marsch auf Washington auszuarbeiten. Dieser Marsch sollte sich besonders auf die Diskriminierung hinsichtlich der Arbeitsplätze konzentrieren. Sehr kurz darauf, nämlich im Frühling 1963, erklärte Martin Luther King während der bekannten SCLC Birmingham- KampagneNäheres in "Zeittafel zu Martin Luther King" , Lebenshaus https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/002064.html .: "Wir brauchen einen Massenprotest …, um in einer weithin sichtbaren Aktion alle Kräfte der weit verstreuten Front miteinander zu vereinen."

Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten Randolph, Rustin und King gemeinsam an einem Plan, der dann zu der Veranstaltung im August führte. Sie brachten Führer anderer Gruppen schwarzer Aktivisten zusammen - die Presse nannte sie die "Großen Sechs". Sie stießen bei John F. Kennedy auf starken Widerstand, als sie mit ihm über ihre Absicht sprachen. Sie bestanden jedoch unerschrocken auf ihrem Entschluss.

Die "Großen Sechs" hatten durchaus ernsthaft Differenzen untereinander, aber trotzdem arbeiteten sie zusammen und formulierten eine Reihe einzigartiger Forderungen, deren Erfüllung das übergreifende Ziel des Marsches war. Die Forderungen reichten von einer wirksamen Bürgerrechts-Gesetzgebung und dem Verbot der Rassendiskriminierung im vom Staat geförderten Wohnungsprogramm bis zur Arbeitsplatzgarantie für alle Bürger mit einem Lohn, von dem der Arbeiter leben konnte, und schließlich bis zu einem Ende der Diskriminierung in den Regierungen und durch sie auf allen Ebenen: der föderalen, Staats- und Gemeindeebene. Kurz gesagt: Das Ziel des Marsches vereinte Belange der Rassengerechtigkeit mit denen der Wirtschaftsgerechtigkeit; es ging nicht nur um das Ende der Rassendiskriminierung, sondern das Ziel lag in Richtung echter und voll entwickelter Gleichheit in der Wirtschaftssphäre, denn erst das wurde der wahren Bedeutung demokratischer Bürgerschaft gerecht. Deshalb wurde die Veranstaltung "Marsch auf Washington für Arbeitsplätze und Freiheit" genannt.

Widerstrebend unterstützte die Kennedy-Regierung den Marsch, schrieb jedoch Bedingungen zur Verhinderung möglicher Unordnung vor: Der Marsch muss an einem Wochentag stattfinden, er muss bei Tageslicht anfangen und aufhören, nur genehmigte Transparente dürfen gezeigt werden, Spirituosen-Geschäfte und Bars müssen geschlossen bleiben, Bundesbeamte dürfen zu Hause bleiben, Krankenhäuser müssen für den Fall von gewalttätigen Zusammenstößen in Alarmbereitschaft sein.

Der Verlauf der Veranstaltung, die bis dahin bei Weitem die größte Massendemonstration in der Geschichte des Capitols war, strafte die Befürchtungen des Präsidenten Lügen. Zwar herrschte große Begeisterung, aber der Marsch verlief insgesamt friedlich und ordnungsgemäß. Etwa 75% der Menschen waren Farbige aus allen Bereichen der Nation. Das eintägige Programm bestand aus Reden, die auf weniger als 10 Minuten begrenzt waren. Dazwischen gab es musikalische Darbietungen bekannter Künstler, Honoratioren erschienen und die Versammelten sangen aus voller Kehle die Lieder und Hymnen der Bürgerrechtsbewegung.

Es wird allgemein anerkannt, dass das Wichtigste an der Veranstaltung die Abschlussrede Martin Luther Kings: "I Have a Dream" war. Kings rhetorischer Stil ist unübertrefflich. Seine Ansprache, in der er die Leiden der Farbigen, die unerfüllten Versprechen der amerikanischen Demokratie, seine Vision einer durch und durch gerechten und humanen Zukunft und die Dringlichkeit eines vollkommenen sozialen Wandels ausdrückte, inspirierte hunderttausende Zuhörer, die sich in ihrer Entschlossenheit vereinigten, gleiche Freiheit für alle Menschen zu verwirklichen. Er berief sich auf die Worte der Unabhängigkeitserklärung und des althebräischen Propheten Amos, um die Rechtmäßigkeit seines Aufrufs hervorzuheben.

Die meisten der in den folgenden Jahrzehnten immer wieder zitierten Sätze aus Kings Ansprache drücken den Traum von Harmonie zwischen den Rassen aus, z. B. "Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden … Ich habe einen Traum, dass eines Tages in Alabama kleine schwarze Jungen und Mädchen sich mit kleinen weißen Jungen und Mädchen als Schwestern und Brüder die Hände reichen werden." In wenigen Worten: Kings Ansprache und der Marsch an sich werden im Allgemeinen als Forderung aufgefasst, die Einschränkungen und das Elend der Rassendiskriminierung zu überwinden. Die Folge dieser Auffassung war, dass die Forderung nach vollkommener und einschließender Wirtschaftsgerechtigkeit, die den Organisatoren des Marsches ebenso am Herzen gelegen hat, weitgehend ignoriert oder aufgegeben worden ist.

Leider wiederholt sich die Aufweichung der Radikalität der Bedeutung des Marsches in der Verengung der Einschätzung der gesamten Mission Martin Luther Kings. Anerkannt werden muss, dass King, gemeinsam mit anderen, hinsichtlich der Umwandlung der Form der Rassentrennung in den Vereinigten Staaten eine herausragende Rolle während des Bürgerrechtskampfs zukommt.. Die Bürgerrechtsgesetze von 1964 und 1965 bezeugen das. Sein allumfassender Traum reichte jedoch sehr viel weiter. Er enthielt nicht weniger als die umfassende Revolution menschlicher Beziehungen - in sozialer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht - in der ganzen Welt.

King sprach oft von den "drei Übeln", die die Welt seiner (und unserer) Zeit bedräng(t)en: Rassismus, Armut und Gewalt. Hinsichtlich der Armut schlug er vor, ohne dass er damit Erfolg gehabt hätte, dass das Parteiprogramm der Demokratischen Partei 1964 eine umfangreiche Rechtserklärung für die Benachteiligten enthalte. Dazu gehörte auch das Recht aller auf Vollbeschäftigung, höhere Bildung, anständiges Einkommen, erschwingliche Mieten und Gesundheitsfürsorge - alles als Angelegenheiten reiner Gerechtigkeit. Später rief er in Chicago eine Kampagne ins Leben, die sich auf Wohnung, Beschäftigung und Bildung konzentrierte. 1967 brachte er Pläne für eine Kampagne der Armen in Gang, zu der wieder ein Massenmarsch auf Washington gehören sollte, dieses Mal von allen Menschen, gleich welchen rassischen Erbes, die die Würdelosigkeit der Armut erlitten. King konnte an dem Marsch nicht mehr teilnehmen, denn er wurde ja im April 1968 ermordet, aber der Marsch fand trotzdem, seinem tragischen Tod zum Trotz im August desselben Jahres statt.

Zum Thema Gewalt: King widersetzte sich seit Langem der starken Verstrickung unserer Nation in den Krieg gegen Nordvietnam. Andere in der Bürgerrechtsbewegung versuchten, King davon abzubringen, seinen Widerstand gegen den Vietnamkrieg öffentlich auszudrücken. Sie sagten, das lenke von ihrem eigentlichen Kampf ab. Er aber hielt in New York City (April 1967), die lange Ansprache "A Time to Break Silence" http://icujp.org/king.shtml , deutsch: https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/001713.html .. Darin versicherte er, dass Rassismus und Vietnamkrieg untrennbar miteinander verbunden seien. Tatsächlich darf man bei der Darstellung von Kings Mission auf keinen Fall seine bedingungslose Hingabe an Gewaltfreiheit vernachlässigen. Für ihn war Gewaltfreiheit die einzig annehmbare Konfliktlösungsmethode auf allen Gebieten menschlichen Umgangs, dem persönlichen ebenso wie dem politischen Gebiet.

In wenigen Worten zusammengefasst: In Kings Vorstellung stellten Rassengleichheit, Wirtschaftsgerechtigkeit und friedliche Beziehungen die wesentlichen Eigenschaften der "geliebten Gemeinschaft" ("beloved community") dar. Diesen Begriff nannte er jahrelang als allumfassende Berufung aller unserer Bemühungen. Ich denke, dass die "geliebte Gemeinschaft" das Herzstück seines gesamten Traumes war, seiner Vision einer neuen Zukunft für die Vereinigten Staaten und darüber hinaus für die Welt. Und ich denke, sie ist das Merkmal der nachhaltigen Bedeutung des Marschs auf Washington für Arbeitsplätze und Freiheit von 1963. Wenn wir diesen Marsch jetzt 2013 feierlich begehen, sind wir aufgerufen, uns diesem umfassenden Traum erneut zu verpflichten. Möge er Wirklichkeit werden!

Douglas Sturm (*1929) ist emeritierter Professor für Religion und Politische Wissenschaft der Bucknell University, Lewisburg. Er trat schon 1948 als Collegestudent dem Versöhnungsbund bei.

Sturm ist Autor bzw. Herausgeber von drei Büchern: Community and Alienation: Essays on Process Thought and Public Life (1988), Solidarity and Suffering: Toward a Politics of Relationality 1998) und Belonging Together: Faith and Politics in a Relational World (2003). Außerdem hat er mehr als 150 Artikel, Buchkapitel, Rezensionen und Texte zu unterschiedlichen Themen geschrieben. Er schrieb Artikel für Christianity and Crisis und schreibt jetzt noch Artikel für Creative Transformation ( http://processandfaith.org/writings/creative-transformation ).

Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler

Quelle: Fellowship of Reconciliation - Originalartikel:  The continuing significance of the 1963 March on Washington for Jobs and Freedom .

Fußnoten

Veröffentlicht am

30. August 2013

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