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Atomteststopp: Führungswechsel in Wiener Atombehörde

Neuer Chefkontrolleur der Organisation zum Atomteststoppvertrag

Von Wolfgang Kötter

Seit 1. August ist Lassina Zerbo Exekutiv-Sekretär der zukünftigen Kontrollorganisation zum umfassenden nuklearen Teststoppvertrag. Der Weg zu seinem neuen Arbeitsplatz ist nur kurz, denn er muss lediglich vom 5. Stock in die Chefetage des geschwungenen Hochhauses in der Wiener UNO-City umziehen. Bisher leitet der 49-jährige Geophysiker aus Burkina Faso nämlich das Internationale Datenzentrum der Organisation CTBTO (Comprehensive Test Ban Organization), dessen rund 300 Messstationen die weltweit freigesetzte atomare Strahlung registrieren. Mit Hilfe von Radionuklid-Stationen, Infraschallgeräten, Unterwassermikrophonen und Erdbebenmessern werden natürliche Erschütterungen wie Erdbeben oder Vulkanausbrüche von künstlich herbeigeführten Explosionen unterschieden.

Erfahrener Experte und Topmanager

Der Afrikaner folgt dem deutschen Wolfgang Hoffman und Tibor Tóth aus Ungarn nach, die vor ihm an der Spitze der rund 260 Mitarbeiter aus über 70 Ländern standen. Die Organisation verfügt über ein Jahresbudget von rund 820 Mio. Euro. Sie umfasst die Konferenz aller Vertragsstaaten, den 51-köpfigen Exekutivrat und ein Technisches Sekretariat mit Internationalem Datenzentrum. Deutschland ist mit 8,78 Prozent nach den USA (22) und Japan (19,7) drittgrößter Beitragszahler zum Haushalt der Organisation.

Lassina Zerbo setzte sich letztlich gegen vier durchaus renommierte Mitkonkurrenten durch. Beworben hatte sich ebenfalls der Diplomat Enkhsaikhan Jargalsaikhan aus der Mongolei. Er ist gegenwärtig Botschafter bei den internationalen Organisationen in Wien, aber auch für Italien und Kroatien. Gleichzeitig ist er der Koordinator für die international deklarierte "atomwaffenfreie Mongolei". Ein weiterer Konkurrent und ebenfalls Diplomat war der Chilene Alfredo Alejandro Labbe Villa. Der Jurist leitete zeitweise die Abteilung für internationale Sicherheit im Außenministerium und vertrat sein Land häufig bei internationalen Konferenzen. Außerdem bewarb sich Hein Haak aus den Niederlanden, der gegenwärtig Chefseismologe des Königlich Niederländischen Meteorologischen Instituts bei Utrecht ist. Er war Delegierter bei den Verhandlungen zum Teststoppvertrag und nahm als Experte an internationalen Studien zu Fragen der Verifikation von Abrüstungsverpflichtungen teil. Schließlich zeigte auch Libran Cabactulan von den Philippinen Interesse an dem Topjob am Wiener Donauufer. Der studierte Politologe und Wirtschaftswissenschaftler arbeitete bisher vorwiegend auf ökonomischem Gebiet. Er nahm an den Verhandlungen für den Beitritt zur heutigen Welthandelsorganisation WTO teil, leitete aber auch als Präsident die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Jahre 2010.

Die Teilnehmer der Teststopp-Vertragskonferenz entschieden sich nach vier Abstimmungsrunden aber für den Naturwissenschaftler aus Westafrika. Der am 10. Oktober 1963 geborene Geophysiker ist verheiratet und hat drei Töchter. Nach Geologiestudien an Universitäten in Caen und Paris promovierte er 1993 an der Université Paris-Sud. Anschließend arbeitete Zerbo zunächst als Wissenschaftler in Frankreich und Kanada. Dann sammelte er praktische Erfahrungen bei einer US-Mineralexplorationscompany in Herndon nahe Washington und bei verschiedenen Firmen in Afrika. Im November 2004 übernahm er dann die Leitungsfunktion in der Datenzentrale der Wiener Kontroll-Organisation. Neben diesen langjährigen Vor-Ort-Erfahrungen fiel die Wahl wohl auch wegen der hervorragenden Managerqualitäten und seiner allseits gelobten Kommunikationsfähigkeit auf Lassina Zerbo.

Neue Herausforderungen

Der neue Mann an der Spitze der Kontrollorganisation steht vor schwierigen Herausforderungen. Denn obwohl die technischen Voraussetzungen zur Kontrolle eines weltweiten Testverbots geschaffen sind, ist das Abkommen immer noch nicht rechtswirksam. Bis heute haben zwar 183 Staaten unterschrieben, 159 sogar ratifiziert. Dennoch ist das Abkommen bisher nicht verbindlich, weil noch acht der 44 Staaten fehlen, die prinzipiell über das technische Know-how zum Atomwaffenbau verfügen und deren Mitgliedschaft Voraussetzung für das Inkrafttreten ist. Zu ihnen gehören außer den Atommächten China, USA, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea auch Ägypten sowie der Iran. Auf Dauer wird die Existenz einer Kontrollorganisation für einen nicht rechtsverbindlich in Kraft getretenen Vertrag allerdings zum Anachronismus. So manche Regierung könnte sich langfristig die Frage stellen, ob die finanziellen Beiträge weiterhin Sinn machen, wenn wichtige Staaten die Vertragsbestimmungen jederzeit ungestraft unterlaufen können.

Gefährliches Schlupfloch: subkritische Nukleartests

Aber auch eine weitere Gefahr bedroht das internationale Testverbot. Sie ergibt sich aus einem Schlupfloch im Vertrag, das sogenannte subkritische Nukleartests erlaubt.
Sowohl die USA als auch Russland und angeblich ebenfalls China unternehmen derartige Experimente, bei denen keine atomare Kettenreaktion stattfindet. Sie dienen, so jedenfalls die offizielle Begründung, der Sicherheit und Funktionstüchtigkeit der Kernsprengköpfe. Erst im vergangenen Dezember meldete das US-Energieministerium das 27. unterirdische Testexperiment "Pollux" auf einem Versuchsgelände in der Wüste von Nevada. Bei dem Experiment sei das Verhalten von Plutonium unter Bedingungen der Einwirkung einer großen Sprengstoffmenge erforscht worden, hieß es. Ziel solcher Experimente sei die Gewinnung von wissenschaftlichen Informationen, die zur Sicherheit und Effektivität der nationalen Kernwaffen beitragen würden. Auch Russland plant weitere derartige Testexplosionen auf dem früheren Atomwaffentestgeländes in Nowaja Semlja. Wie die Militärs behaupten, seien sie für die russischen Streitkräfte enorm wichtig, weil bis zu 70 Prozent ihrer Atommunition veraltet sei. Um ihre Betriebs- bzw. Lagerungszeit zu verlängern, seien diese Tests erforderlich. Außerdem könnten sie für die Entwicklung von neuen Atomwaffen nützlich sein.

Die Bürgermeister der japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki, die 1945 Ziele der bisher einzigen Atombombenabwürfe der USA waren, kritisierten in Protestbriefen an US-Präsident Obama den subkritischen Nukleartest in Nevada scharf. Derartige Experimente würden die allgemeinen Bemühungen um eine vollständige atomare Abrüstung untergraben, warnte Hiroshimas Bürgermeister Kazumi Matsui. Nagasakis Stadtoberhaupt Tomihisa Taue appellierte an Obama, sich ernsthaft für die nukleare Abrüstung einzusetzen und so schnell wie möglich "eine Welt ohne Atomwaffen" zu schaffen.

Subkritischer Nukleartest

Bei einem subkritischen Test werden 45 bis 450 Kilogramm chemische Explosivstoffe mit kleinen Mengen waffenfähigem Plutonium in circa 300 Meter Tiefe gezündet. Mit solchen Experimenten mit weniger als der für eine atomare Kettenreaktion notwendigen kritischen Masse - deswegen "subkritisch" -, wird das Verhalten des Plutoniums erforscht. Die gewonnenen Daten sind für die Computersimulation gedacht und können der Waffenentwicklung bzw. der Überprüfung der Funktionstüchtigkeit dienen.

Nach: "Atomwaffen A - Z" ( http://www.atomwaffena-z.info/atomwaffen-glossar/s/s-texte/artikel/764/2b80146dc8/index.html )

Bisherige Kernwaffenversuche

Land Anzahl Testgebiete
USA 1.146  New Mexico und Südpazifik, später Wüste von Nevada
UdSSR/Russland    715  Nowaja Semlja, Semipalatinsk
Frankreich    215  Sahara, später Polynesieninseln Moruroa und Fangataufa
China      45  Wüste Lop Nor
Großbritannien 44  Südpazifik, später Wüste von Nevada
Pakistan        6  Chagai-Berge in Baluchistan
Indien        5  Thar-Wüste von Rajasthan
KDVR        3  nahe Kilju in der nordöstlichen Provinz Hamkyong
gesamt 2.179   

Quellen: Arms Control Association,
Bulletin of the Atomic Scientists

Veröffentlicht am

02. August 2013

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