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Warum Afrika?

Einführung in die Jahrestagung  des Internationalen Versöhnungsbundes zum Thema "Afrika - zwischen Untergang und Aufbruch. Gewalt und ihre Überwindung im Herzen Afrikas" vom 2. - 5. Oktober 2003

 

Von Ullrich Hahn

Unter dem Gesichtspunkt der Mitverantwortung für Frieden und Gerechtigkeit besitzt Afrika, insbesondere Zentralafrika, eine hohe Aktualität:

1. Die Kriege in Zentralafrika (Demokratische Republik Kongo mit seinen Nachbarstaaten) haben in den letzten Jahren mehr Opfer gekostet als in allen anderen Kriegen seit Ende des 2.Weltkrieges. Es sind Millionen Tote und Vertriebene und das Leiden unzähliger an Leib und Seele verstümmelter Menschen zu beklagen.

2. Gerade an den Kriegen im Kongo und in Angola lässt sich eine enge Verflechtung von wirtschaftlichen Interessen und Kriegsführung nachweisen:

Wir beobachten dort Kriege um die Rohstoffvorkommen und die Bezahlung der Kriegskosten durch die Ausbeutung der Rohstoffe (Diamanten, Coltan), die Bedeutung des Waffenhandels, insbesondere auch der Kleinwaffen und der hohen Beteiligung von Kindersoldaten an den Kriegen.

3. Auch unabhängig von der direkten Gewalt des Krieges leidet Afrika unter den Auswirkungen struktureller Gewalt. Dazu gehören:

a) die von den reichen Staaten des Nordens diktierten Handelsbedingungen. So verhindern die Schutzzölle der USA und EU einerseits und die hohen Subventionen für landwirtschaftliche Produkte aus den USA und der EU andererseits, dass z.B. afrikanische Erzeuger von landwirtschaftlichen Produkten auf dem Weltmarkt oder auch nur auf dem einheimischen Markt mit den Produkten aus den USA und der EU konkurrieren können;

b) die Folgen der hohen Verschuldung mit der Konsequenz einer erdrückenden Zinslast und dem hieraus folgenden Netto-Kapitaltransfer in die Industriestaaten;

c) die nationalstaatlichen Grenzen als ein Erbe des Kolonialismus mit den darin begründeten Spannungen.

4. An Afrika lässt sich zeigen, dass Hilfe von außen zunehmend nur noch für kurzfristige humanitäre Ereignisse geleistet wird als Antwort auf eine medial erzeugte Betroffenheit. Entsprechend geringe Mittel stehen für eine langfristige Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung.

5. Aktuell ist Afrika aber nicht nur wegen der genannten dunklen Seiten der Gewalt und des Unrechts. Es lohnt sich, in der afrikanischen Kultur Verhaltensweisen neu zu entdecken, die in unserer Moderne längst verschüttet sind:

a) Die Bedeutung der Gemeinschaft gegenüber dem Individuum (hierzu sehr empfehlenswert: Benezet Buyo, Die ethische Dimension der Gemeinschaft).

b) Der Vorrang von Nutzungsrechten an Grund und Boden und auch an Sachen gegenüber der Ausschließlichkeit des privaten Eigentums.

c) Die Bedeutung der Erinnerung an die Vergangenheit gegenüber dem ausschließlichen Blick in die Zukunft und dem Leben in der Gegenwart, insbesondere durch die selbstverständliche Einbeziehung der alten Menschen in die Gemeinschaft und die lebendige Erinnerung an die Bedeutung der Ahnen für das gegenwärtige Wohlergehen.

d) Die Bemühung um Versöhnung als Voraussetzung für die Heilung von Beziehungen und Krankheiten unter Einbeziehung spiritueller Elemente wie Gebet, Handauflegung und Krankensalbung.

Fast alle diese Elemente lassen sich auch in der Vergangenheit unserer europäischen Kultur nachweisen. In Afrika können wir dies jedoch nicht nur in schriftlichen Dokumenten vergangener Zeiten nachlesen, sondern im lebendigen Zusammenleben der Menschen beobachten.

6. In einer besonderen Weise ist Zentralafrika auch aktuell für die bis in die Friedensbewegung hineinreichende Diskussion um die Rechtfertigung humanitärer militärischer Einsatze. So war etwa die Entsendung von Bundeswehreinheiten in den östlichen Teil des Kongo im Sommer 2003 weniger umstritten als wohl alle anderen früheren Bundeswehreinsätze im Ausland. Aus der Sicht einer gewaltfreien Haltung ist allerdings folgendes zu bedenken:

a) Gewalt wirkt. Wenn sie zu einem guten Zweck eingesetzt wird, kann sie auch Gutes bewirken. Trotzdem ist uns zur Verfolgung guter Ziele nicht jedes Mittel recht, insbesondere wenn dabei Menschen verletzt oder getötet werden. Dies gilt für die militärische Gewalt nicht anders als für eine andere Form der Gewalt, die im Frühjahr 2003 am Beispiel eines Ermittlungsverfahrens in Frankfurt neu in die Diskussion gekommen ist: die Folter.

Auch da lassen sich Fälle denken, in denen durch Anwendung der Folter das Geständnis eines festgenommenen Geiselnehmers erpresst und damit evtl. das Leben einer versteckten Geisel gerettet werden kann.

Trotz solcher nicht ausschließbarer Möglichkeiten war und ist es in den meisten Staaten dieser Welt noch Konsens, dass die Anwendung von Folter zum Zwecke strafprozessualer oder polizeirechtlicher Aufgaben nicht eingesetzt werden darf.

b) Ein Verzicht auf gewaltsame Mittel hindert aber nicht den Einsatz für Menschen, die unter Unrecht und Ungerechtigkeit leiden.

Für die Arbeit an der Überwindung wirtschaftlicher Ursachen für gesellschaftliches Unrecht, für die Ächtung von Rüstungsproduktion und Rüstungsexport, für die Oberwindung von Feindbildern und gesellschaftlicher Ausgrenzung brauchen wir keine Gewalt sondern die Bereitschaft, unsere Kraft, Geld und Fantasie für diese Ziele einzusetzen.

c) Das Militär, das sich als Lösung das Elend und Unrecht der sogenannten neuen Kriege und privatisierter Gewalt anbietet, ist selbst Teil des Problems und hat Anteil an seinen Ursachen.

Zum einen verschlingt es ungeheure Mittel, die für zivile Aufgaben und Lösungswege fehlen; zum anderen dient es als Stabilisator für die gegenwärtige Weltordnung mit ihrer Teilung in Arm und Reich, Verlierer und Gewinner, Rechtlose und Rechthaber.

Zudem sind auch die Möglichkeiten selbst nahezu unbegrenzter militärischer Macht sehr begrenzt dann, wenn es nicht um wahllose Zerstörung, sondern um die Wiederherstellung von Recht und einer lebensfähigen Gesellschaftsordnung geht (s. das Beispiel des Krieges gegen den Irak und das anschließende Besatzungsregime der USA dort).

d) Die Handlungs- und Lebensformen der Gewaltlosigkeit sind dabei keine Alternative zur Gewalt im Sinne eines Ersatzes.

Sie fügen sich nicht naht- und bruchlos in das Bild einer Gesellschaft ein, die zuvor auf die Mittel der Gewalt gesetzt hat.

Die Gewaltlosigkeit benötigt einen anderen Zeit- und Handlungsrahmen als die Gewalt; sie umfasst die Bereitschaft, Ursachen des Unrechts zunächst bei sich selbst aufzuspüren und zu überwinden, letztlich auch die Bereitschaft, eher fremdes Unrecht zu erdulden als anderen Unrecht zu tun.

e) In der Solidarität mit akut bedrohten und verfolgten Menschen sind gewaltlose Einsatzmöglichkeiten begrenzt. Auch eine gewaltfreie Einsatztruppe nach dem Vorbild Gandhis wäre der direkten Konfrontation mit gewaltbereiten, bewaffneten Gruppen und Militäreinheiten wohl nicht gewachsen.

Diese bewusste Erkenntnis einer Begrenzung der eigenen Möglichkeiten gehört aber zu den Grundbedingungen einer gewaltlosen Haltung ebenso wie das Wissen um die Solidarität mit allem Lebenden und die Fähigkeit mitzuleiden, wo andere leiden.

Ein Ausdruck von Solidarität kann z.B. die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen sein, die vor der Gewalt fliehen. Fehlt es an dieser Bereitschaft, sind die militärischen Interventionen wohl kaum humanitär zu begründen, sondern dienen eher dazu, Flüchtlingsströme weiträumig von den eigenen Ländern fernzuhalten.

Veröffentlicht am

20. Oktober 2003

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