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Apropos Demokratie im Mittleren Osten

Von Eric S. Margolis

Die wirkliche Geschichte hinter dem Militärputsch in Kairo unter Führung von General al-Sissi ist viel komplexer, als die Medien des Westens berichten. Weit entfernt von einer spontanen Erhebung der Ägypter - auch bekannt als "Volksrevolution" - war das, was wirklich passierte, ein Putsch, orchestriert von Ägyptens "Regierung im Hintergrund" und Mächten von außen - die letzte Phase der Konterrevolution gegen den so genannten Arabischen Frühling.

Vor einem Jahr wählten die Ägypter Mohammed Morsi in ihrer ersten fairen demokratischen Wahl zum Präsidenten. Morsi kam aus der Moslem-Bruderschaft, einer acht Jahrzehnte alten konservativen Bewegung von Fachleuten aller Art, die sich die Einführung islamischer Grundsätze in öffentliche Wohlfahrt, Politik, Bildung, Rechtsprechung, Religionsausübung und Bekämpfung von Korruption auf die Fahne geschrieben hatten.

Aber die Karten gegen Morsi und die Bruderschaft waren gezinkt vom ersten Tag an. Der brutale von den Vereinigten Staaten von Amerika unterstützte Mubarak war gestürzt, aber die Organe seiner 30-jährigen Diktatur, Ägyptens verhätscheltes 440.000-Mann-Militär, die Richterschaft, der Hochschulbereich, Medien, Polizei, Geheimdienste und Bürokraten blieben auf ihren Posten. Sogar Morsis Präsidentengarde blieb unter Kontrolle der Mubarak-Leute.

Die alte Garde der Diktatur - besser bekannt als "Regierung im Hintergrund" - versuchte, jeden Schritt der Bruderschaft zu durchkreuzen. Der schwerfällige, sich abmühende Morsi wurde erst Präsident, nachdem fähigere Kollegen per Veto von linientreuen mubarakistischen Gerichten ausgeschaltet worden waren.

Morsi hätte die "Regierung im Hintergrund" säubern sollen, insbesondere Polizei, Geheimpolizei, Richter und Medien, die die demokratische Regierung sabotierten. Aber Morsi war zu weich und die Mächte, die sich gegen ihn verschanzt hatten, zu stark. Es gelang ihm nie, an die Hebel des Staatsapparates zu kommen. Nach all der Medienhysterie in Nordamerika in Hinblick auf die angeblichen Gefahren der Moslembruderschaft erwies sich diese ironischerweise als Blindgänger.

Die Bruderschaft stolperte von einer Krise in die nächste, als Ägyptens Wirtschaft, die bereits vor der Revolution 2011 in erschreckendem Zustand war, unterging wie ein Stein. Der Tourismus, der 17% des nationalen Einkommens erbracht hatte, löste sich auf. Die Arbeitslosigkeit stieg auf über 13%, unter der aufgebrachten Jugend in den Städten auf über 50%. Die selben Phänomene sahen wir in letzter Zeit in der Türkei, Tunesien, Algerien, Pakistan und Westeuropa. Empfindliche Ausfälle von Treibstoff und elektrischem Strom verursachten Empörung.

Der Fluch Ägyptens ist, dass es seine wachsende Bevölkerung von über 90 Millionen nicht ernähren kann. Daher importiert Kairo riesige Mengen Weizen und subventioniert den Verkaufspreis für Brot. Die Vereinigten Staaten von Amerika stützten die Regimes von Sadat und Mubarak mit Schiffsladungen von Weizen zum halben Preis. Diese lebenswichtige Hilfe hörte auf, als Morsi die Macht übernahm. Die Lebensmittelpreise in Ägypten stiegen um 10%.

Gleich wichtig ist, dass die ägyptischen Streitkräfte, seit Anwar Sadat die Vereinigten Staaten von Amerika einlud, sein veraltetes Militär neu zu bewaffnen, Seite an Seite mit dem Pentagon verbunden sind. Gerade so, wie es die 500.000 Mann starken bewaffneten Kräfte der Türkei bis vor elf Jahren waren und diejenigen Pakistans heute noch sind.

Die Armeen vieler Moslem-Staaten sind dazu bestimmt, ihre Bevölkerungen zu kontrollieren, nicht Feinde aus dem Ausland abzuwehren. Die einzige arabische Militärmacht, die in jüngerer Vergangenheit einen Eindringling besiegte, waren die Guerillakräfte der Hezbollah im Libanon.

Die Vereinigten Staaten von Amerika überweisen dem ägyptischen Militär $1,5 Milliarden jährlich, nicht gerechnet die zig Millionen an "schwarzen" Zahlungen der CIA an Generäle, Polizeichefs, wichtige Medienleute und Bürokraten.

Ägyptens Militär wurde zur Gänze neu ausgestattet mit F-16 Kampfbombern der Vereinigten Staaten von Amerika, M-1 schweren Panzern, gepanzerten Fahrzeugen, elektronischen Systemen und Artillerie.

Washington hat Ägypten gerade ausreichend Waffen gegeben, um seine Bevölkerung zu kontrollieren und kleine Nachbarn einzuschüchtern, aber nicht genügend, um Krieg gegen Israel zu führen. Darüber hinaus begrenzt das Pentagon streng Ägyptens Nachschub an Munition, Raketen und wichtigen Ersatzteilen. Viele von Ägyptens Generälen wurden in Militärakademien in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgebildet, wo sie auch enge Verbindungen zu Geheimdiensten der Vereinigten Staaten von Amerika und dem Pentagon knüpften. CIA, DIA und NSA betreiben in Ägypten große Stationen, die dessen Militär und Bevölkerung überwachen.

Unter Mubarak kontrollierten die Vereinigten Staaten von Amerika Ägyptens Militär und Schlüsselpositionen seiner Wirtschaft. Als Morsi und die Bruderschaft an die Macht kamen, hielt sich Washington eine Zeit lang zurück, entschloss sich aber offenbar in den letzten Monaten, den Sturz von Ägyptens erster demokratischer Regierung zu unterstützen.

Diese Tatsache wurde völlig klar, als das Weiße Haus sich weigerte, den Militärputsch in Kairo als Putsch zu bezeichnen. Hätte es das getan, hätte nach den Gesetzen der Vereinigten Staaten von Amerika die Hilfe an Ägypten eingestellt werden müssen. (Laut Gesetz dürfen keine Regimes unterstützt werden, die durch Staatsstreich an die Macht gekommen sind, d.Ü.)

Politiker und Medien der Vereinigten Staaten von Amerika preisen mit schamloser Scheinheiligkeit den Sturz Morsis als eine demokratische Errungenschaft. In Nordamerika ist bereits alles mit der Aufschrift "Muslim" zu einer Bedrohung an sich geworden.

Die Konterrevolution der ägyptischen "Regierung im Hintergrund" wurde finanziert und unterstützt von den Vereinigten Staaten von Amerika und Saudiarabien, bejubelt von Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Vereinigten Königreich und Frankreich. Das kleine Qatar, das Morsi mit $8 Milliarden unterstützt hatte, verlor seinen Einfluss in Kairo. Die Saudis werden jetzt einiges in Ägypten zu reden haben.

In den letzten Wochen wurden Massendemonstrationen in größeren ägyptischen Städten gegen Morsi von Polizei, Geheimpolizei und mubarakistischen Kreisen organisiert. Angst vor der Bruderschaft wurde hochgepeitscht unter den nervösen koptischen Christen Ägyptens, die 10% der Bevölkerung ausmachen und einen großen Teil der städtischen Elite.

Dann gab es zigtausende arbeitslose, höchst unberechenbare junge Menschen auf der Straße, wie wir neulich auch in Istanbul sahen, die bereit sind, unter jedem Vorwand zu explodieren. Viele Ägypter hatten die Nase voll von Fehlern der Regierung Morsis - sogar einige seiner ehemaligen salafistischen Verbündeten - und dem drohenden wirtschaftlichen Kollaps. Liberale, Nasseristen und Marxisten schlossen sich ihnen an.

Es könnte einen bewaffneten Widerstand gegen den Staatsstreich geben, aber der wird wahrscheinlich vom ägyptischen Militär und Einsatzkräften niedergeschlagen werden. Höhere Vertreter der Bruderschaft sind bereits verhaftet und die pro-Bruderschaft-Medien wurden zum Schweigen gebracht, während Washington wegschaut.

Zur Zeit scheint ein richtiger Bürgerkrieg, wie ihn Algerien in den 1990er Jahren nach einem von den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich unterstützten Militärputsch erleiden musste unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Inzwischen hat das Militär einen vorläufigen Marionetten-Präsidenten eingesetzt. Der alte "Aktivposten" der Vereinigten Staaten von Amerika Mohammed el-Baradei wird sich vielleicht als ziviles Aushängeschild für die Generäle hergeben, denen lieber ist, wenn zivile Kasperfiguren für Ägyptens wirtschaftliche und soziale Krisen herhalten müssen.

Soviel zur Demokratie im Mittleren Osten. Der Sturz einer gemäßigten islamistischen Regierung wird der muslimischen Welt eine Botschaft senden, dass Kompromiss mit den westlichen Mächten unmöglich ist und dass nur gewaltsamer Widerstand den derzeitigen Zustand erschüttern kann.

Quelle: www.antikrieg.com vom 06.07.2013. Originalartikel: So much for mideast democracy . Übersetzung: Klaus Madersbacher.

Veröffentlicht am

09. Juli 2013

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