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Am türkisch-kurdischen Friedensprozess festhalten!

Von Andreas Buro und Memo Sahin - Kommentar, Nützliche Nachrichten 5-6/2013

Anfang dieses Jahres wurde bekannt, dass die türkische Regierung Verhandlungen mit dem PKK-Vorsitzenden Öcalan im Imrali-Gefängnis führte. Ein Lösungspaket für die Kurdenfrage wurde ausgearbeitet und in drei Kapiteln die gegenseitigen Schritte der Konfliktparteien aufgezählt. Im Rahmen dieser Vereinbarung hat die PKK die gefangenen türkischen Soldaten freigelassen, am 23. März einen Waffenstillstand ausgerufen und seit dem 8. Mai damit begonnen ihre Kampfverbände aus der Türkei zurückzuziehen. Im Gegenzug sollte Ankara die seit 2009 als Geisel genommenen etwa 10.000 legale kurdische Kader und Funktionäre, darunter gewählte Abgeordnete, Bürgermeister, Ratsmitglieder der Kommunen, Journalisten, Gewerkschafter, Menschenrechtler, Rechtsanwälte, Studenten und Kinder freilassen, die zehnprozentige Wahlhürde herabsetzen, das Parteiengesetz reformieren und eine neue demokratische Verfassung vorbereiten. Von diesen Aufgaben Ankaras ist bisher keine einzige erfüllt. Stattdessen hat Erdogan den Grundstein für eine Brücke über dem Bosporus gelegt und sie nach Yavuz Sultan Selim, dem Henker von Zehntausenden überwiegend kurdischer Aleviten, benannt. In der gleichen Zeit erklärte Erdogan, er wolle eine osmanische Kaserne, nach altem Vorbild und ein Mosche auf dem Gezi-Park errichten lassen. Symbolhafte Vorhaben, die in eine andere Richtung deuten?

Das Lösungspaket zwischen Ankara und PKK hat den Status eines Vertrages, wenngleich es nicht den Status eines formalen Vertrages hat. Der Grundsatz ‚Pacta sunt servanda’, dass nämlich Verträge einzuhalten sind, gilt für das Lösungspaket gleichwohl. Daran ist festzuhalten und dafür müssen sich alle friedenspolitischen Kräfte einsetzen. In der unübersichtlichen Szene der Gezi-Proteste und ihrer brutalen Niederschlagung kommen jedoch Zweifel auf, ob Ankara bereit ist seinen Teil des Paktes zu erfüllen. Erinnerungen an frühere Fehlschläge tauchen auf. Der Friedensprozess zwischen Türkei und den Kurden, ist bei den Wahlen 2007, 2009 und 2011 als Täuschungs- und Beruhigungsmanöver missbraucht worden, um die bevorstehenden Wahlen zu gewinnen. Soll das wiederum geschehen? Erdogan hat bisher nicht, die mit der PKK-Führung vereinbarten Aufgaben zügig erledigt und damit bisher nicht den Weg zur friedlichen Lösung der Kurdenfrage frei gegeben. Murat Karayilan Vorsitzender des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), vermutlich der bedeutsamste Kurdenführer hinter Öcalan, deutet den Bau von Kasernen und die Stationierung vieler Soldaten in kurdischen Gebieten der Türkei, dass Ankara sich auf Sabotage am Friedensprozess und auf Krieg vorbereite. Eine düstere Perspektive!

Allerdings hat Ankara doch erste Schritte auf dem Weg unternommen. Es hat seine Absicht, eine politische Lösung herbeizuführen deutlich und landesweit verkündet, was Erdogan nicht nur Sympathie eingebracht hat. Er hat ferner die Kommission der Weisen eingerichtet, die in allen Teilen der Türkei diese Politik der friedlichen Lösung erläutert und für sie geworben haben. Damit hat er sich weit aus dem Fenster gelehnt und sich exponiert. Völlig unverständlich ist dagegen, warum er bisher nicht wenigstens erste Gruppen, der politischen Gefangenen hat entlassen lassen. Das wäre ein sehr deutliches Zeichen zugunsten des friedenspolitischen Prozesses. Fürchtet Erdogan, dass Entlassene sich auf die Seite der Gezi-ProtestlerInnen schlagen könnten? Kluge kurdische Köpfe wissen aber, das in einem solchen Friedensprozess es kontraproduktiv ist, die Thematik über den vereinbarten Rahmen auszuweiten. Wer das tut, billigt damit der anderen Seite das gleiche Recht zu und zerstört so die bestehende Vereinbarung.

Pacta sunt servanda!

Vielmehr ist es dringend erforderlich, sehr deutlich nach allen Seiten zu sagen, dass eine türkisch-kurdische politische Lösung im Interesse aller politischen Kräfte in der Türkei liegt. Ein Bündnis etwa mit Protestgruppen, die sich gleichzeitig gegen die autoritäre Herrschaft Erdogans, sowie gegen eine friedliche Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts wenden, ist völlig inakzeptabel. Für die kurdische Seite ist in dieser unübersichtlichen Situation das Gebot der Stunde, Kurs zu halten. Dies umso mehr als der sehr berechtigte Gezi-Protest bislang völlig heterogen ist. Sie muss jedoch mit lauter Stimme von Ankara die Gegenleistungen aus dem Pakt einfordern und immer wieder darstellen, dass sie ihre Verpflichtungen korrekt erfüllt und sich nicht provozieren lässt.

Sie darf sich auch nicht verleiten lassen, Erdogan zu verteufeln. Er ist ein mächtiger Mann und sein Regime ist stark. Die zuvor von der AKP als undemokratisch bezeichneten verfassungsmäßigen Organe wurden mit ihren eigenen Kadern besetzt und so unter Kontrolle gebracht. Zu diesen zählen u.a. das Verfassungsgericht, der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK), die Medienaufsichtsrat RTÜK, die Aufsichtsrat der Universitäten (YÖK) und der Nationale Sicherheitsrat (MGK). Auch die Führung der Armee, der Gendarmarie und der Polizei sowie des Geheimdienstes (MIT) befinden sich in den Händen der Regierungspartei AKP. Sie kontrolliert das Parlament (Legislative), die Exekutive samt Staatspräsidentenamt, die Judikative, die Medien, die Wirtschafts- und Finanzwelt - eine beängstigende, Demokratie gefährdende Machtfülle! Außerdem hat Erdogan und seine Partei nach wie vor eine große Basis in der Bevölkerung. Das alles konstituiert Macht, welche selbstverständlich im türkisch-kurdischen Friedensprozess zu berücksichtigen ist.

Gesichtswahrung spielt in einem solchen Konflikt eine große Rolle. In den Satyagraha-NormenBuro, Andreas: Meine Erfahrungen mit den ‚Satyagraha-Normen’ von Johan Galtung und Arne Naess nach Gandhi, in Gewaltfreie Aktion. Erfahrungen und Analysen, Hrg. Steinweg, Reiner und Laubenthal, Ulrike, Frankfurt/M 2011., die auf Gandhi zurück gehen, heißt es an einer Stelle: "Richte den Kampf gegen die Sache, nicht gegen die Person!" Bei aller Empörung und Frustration scheint, dies ein guter Rat zu sein, um den Friedensprozess nicht durch persönliche Verhaltensweisen und Reaktionen zu gefährden.

Angesichts der für die türkischen Belange mobilisierten internationalen Öffentlichkeit ist es ratsam, auch dort das Interesse auf den Friedensprozess zu lenken. Bisher hat man anscheinend da noch wenig begriffen, welch wichtiger Schritt für die Türkei, aber auch darüber hinaus für den Nahen Osten damit eingeleitet wird. Doch ist wirklich auf demokratische Hilfe aus dem Westen zu rechnen? Während der Zeit des Kampfes der Kurden um ihre legitimen Rechte und ihrer blutigen Unterdrückung durch Ankara wurden die türkischen Regierungen und auch Erdogan international hofiert, die Menschenrechtsverletzungen wurden nicht berücksichtigt. NATO-Mitgliedschaft, strategische und ökonomische Interessen des Westens wogen schwerer. Bis heute wird die PKK in der EU als terroristische Vereinigung geführt, obwohl sie sich immer wieder nachdrücklich für eine friedliche Lösung eingesetzt hat. Eine systematische Einwirkung auf die öffentliche Meinung im Westen zu dem Friedensprozess könnte heute jedoch eher Wirkung zeigen. Dazu wird es erforderlich sein aufzuzeigen, wie sehr der westlichen Welt an einer Beilegung des türkisch-kurdischen Konfliktes gelegen sein muss und dass dies auch im Sinne der türkischen Regierung und nicht gegen sie unterstützt und gefördert werden sollte. Ein kleiner Hoffnungsschimmer: "Deutsche Sicherheitsbehörden prüfen derzeit in Geheimverhandlungen mit der Türkei die Aufhebung der ministeriellen Verfügungen aus dem Jahr 1993, die der PKK jegliche Betätigung untersagt… ‘Die Türkei verlangt von uns flankierende Maßnahmen für ihren neuen Kurs’, so ein deutscher Staatsschützer." (FOCUS Magazin, 3. 6. 2013)

Quelle:  Dialog-Kreis - Nützliche Nachrichten 5-6/2013.

Fußnoten

Veröffentlicht am

02. Juli 2013

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