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Friedenslobby beim II. Vatikanischen Konzil (2)

Von Hildegard Goss- Mayr (Vortrag im Haus der Begegnung in Innsbruck, 15. Oktober 2012, Teil 2)

Oktober/November 1963: zweite Konzilsperiode

Im Juni 1963 starb Papst Johannes. Sein Nachfolger, Papst Paul Vl., trat für die Weiterführung des Konzils in den angebahnte Linien ein. Während dieser Sitzungsperiode wurde die Frage Krieg und Frieden nicht behandelt, doch unter Leitung von Kardinal Suenens und Msgr. Philips als Sekretär wurde das Grundkonzept für das Schema 17 (bzw.13) vorbereitet. Hierfür trafen nun auch für die Friedensfrage vermehrt Vorschläge ein. Eine Lobby-Gruppe aus den USA um Kardinal Spellman drängte die Bischöfe dazu, die Theologie des sog. ,,gerechten Krieges" neu festzuschreiben; andere Vorschläge bezogen sich auf das Verbot der Massenvernichtungswaffen und die Notwendigkeit, internationale Institutionen zur Streitschlichtung einzusetzen. Auf unser Anliegen, die Grundlegung der Friedenstheologie in der Gewaltfreiheit Jesu aufzuzeigen, ging man nicht ein. Deshalb wagten wir es, Msgr. Philips zu fragen, ob wir ihm hierzu einen kurzen, prägnanten Text in der Sprache des Konzils (Latein) zum Einstieg in die Friedensfrage im Schema 17 anbieten dürften. Er stimmte zu.

Nun standen wir am Höhepunkt unserer Arbeit: Es galt namhafte Konzilstheologen dafür zu gewinnen, mit uns diesen Text zu formulieren. Am 1. November, dem Allerheiligentag, fanden sich Karl Rahner SJ, Yves Congar OP und Bernhard Häring, drei eminente Konzilstheologen, in unserem kleinen Büro in der Via Rasella zu einer für uns "historischen" Sitzung ein. Trotz ungeheurer Arbeitslast nahmen sie sich an diesem Feiertag Zeit und formulierten mit uns den Text mit dem Titel: Positiones de pace christiana ad schema 17. Wir sind ihnen dafür zu großem Dank verpflichtet, zeigte es doch auch, dass die Friedensfrage für sie zu einem ernsten Anliegen geworden war. Bei dem Text geht es vor allem um die biblische Grundlegung des christlichen Friedenskonzeptes; er verurteilt aber gleichfalls Gewalt und Krieg und begründet das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Obgleich das Schema 13 achtmal umgearbeitet wurde, finden sich in der biblischen Einführung in das Kapitel 5 von Gaudium et spes "Über den Frieden" wesentliche Teile dieses Textes.

Um diesem Text so viel Gewicht zu verleihen, dass er in das Schema aufgenommen würde, beschlossen wir, Unterschriften von Konzilsvätern aus allen Kontinenten zu sammeln. Kardinal König erklärte sich bereit, den Text offiziell einzureichen. Auf diesem Weg hatten wir noch einmal Kontakt mit zahlreichen Konzilsvätern, vor allem auch mit Maximos IV, dem melchitischen Patriarchen, einem weisen, durch die Leiden des Nahen Ostens gereiften Mann, der Feindesliebe auch den Muslimen gegenüber bezeugte.

Herbst 1965, vierte Konzilsperiode: Ringen um die Friedensfrage

Endlich war es so weit: Kapitel 5 der "Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute" (Gaudium et spes) mit dem Titel "Die Förderung des Friedens und der Aufbau der Völkergemeinschaft" wurde in der Aula diskutiert. Unsere Friedenslobby hatte sich durch Teilnehmerinnen aus den USA wie Dorothy Day von Catholic Worker, Prof. Gordon Zahn, der erste Jägerstätterbiograph, und aus Frankreich durch Mitglieder der Gemeinschaft der Arche von Lanza del Vasto, einem bekannten Gandhi-Schüler, stark vergrößert. Alle waren bemüht, durch Gespräche und Textformulierungen den Konzilsvätern zur Seite zu stehen.

Doch auch die Gegenlobby aus den USA, die für die Bekräftigung des "gerechten Krieges" und für atomare Abschreckung eintrat, intensivierte ihren Einsatz. Es war ein hartes Ringen.

Uns lag daran, die Dramatik des Ringens um Leben oder Tod der Menschheit in ihrer spirituellen Tiefe aufzuzeigen. Deshalb beschlossen wir, in Nachfolge des Wortes Jesu - "diese Dämonen können nur durch Fasten und Gebet ausgetrieben werden" - ein internationales 10-tägiges Fasten von 20 Frauen. Es wurde von Jean Goss und Jo Pyronnet aus der Gemeinschaft der Arche organisiert. Aus Österreich beteiligte sich die Schriftstellerin Erika Mitterer. In neun weiteren Ländern wurde es von Fastenden begleitet, darunter von dem Trappistenmönch Thomas Merton.

Am 9. Oktober, dem letzten Tag der Diskussion zur Frage Krieg und Frieden, ergriff Msgr. Boillon, Bischof von Verdun, in dessen Diözese während des Ersten Weltkriegs eine Million Menschen ums Leben gekommen waren, im Namen von 70 Bischöfen in der Aula das Wort und informierte das Konzil von dem Fasten: "…Sanftmut auf internationaler Ebene bedeutet, die Gewalt der Waffen absolut zurückzuweisen. Von dieser Wahrheit geben diejenigen Zeugnis, die die gewaltfreie Aktion aufbauen und sie mit Mut und unter Opfern praktizieren. Und da wir über den Krieg sprechen, möchte ich Sie informieren, dass sich hier in Rom 20 Frauen zu Fasten und Gebet zusammengeschlossen haben, damit der Heilige Geist uns erleuchte. Gestatten Sie mir, diesen Frauen das Wort zu geben." Darauf verlas er den Text, in dem es heißt: "…Wir Mütter und Beschützerinnen des Lebens wollen an dieser schicksalhaften Entscheidung teilhaben, indem wir zehn Tage fasten und beten und schreien zu Gott, er möge den Konzilsvätern die evangeliumsgemäßen Lösungen eingeben, die die Welt erwartet."

Es war das einzige Mal, dass einer Stimme von außen in der Aula Gehör geschenkt wurde.

Die Friedensbotschaft des Konzils

Pastoralkonstitution: Die Kirche in der Welt von heute - Gaudium et spes, Kapitel 5: Die Förderung des Friedens und der Aufbau der Völkergemeinschaft

Zweifellos blieben die Aussagen hinter den Erwartungen engagierter Christlnnen wie jenen der Weltbevölkerung zurück. Doch waren der Weltepiskopat und seine Theologen erstmals gezwungen, sich nicht nur mit der Frage Krieg und Frieden, sondern darüber hinaus grundsätzlich mit Gewaltbewältigung, Entfeindung und Versöhnung aus der Perspektive des Evangeliums auseinanderzusetzen. Eine neue Sicht, ein neuer Prozess wurden angestoßen.

Positive Aspekte: Grundlegung des Friedens im Evangelium

§78 Vom Wesen des Friedens enthält wesentliche Teile unserer letzten Eingabe:

"Der irdische Friede, der seinen Ursprung in der Liebe zum Al5chsten hat, ist aber auch Abbild und Wirkung des Friedens, den Christus gebracht hat und der von Gott dem Vater ausgeht. Dieser menschgewordene Sohn … hat nämlich durch sein Kreuz alle Menschen mit Gott versöhnt und die Einheit aller in einem Volk und einem Leib wiederhergestellt. Er hat den Hass an seinem eigenen Leib getötet, und, durch seine Auferstehung erhöht, hat er den Geist der Liebe in die Herzen der Menschen ausgegossen."

Anschließend wird die Nachfolge der Gewaltfreiheit Jesu offiziell gelobt und ermutigt:

"Vom gleichen Geist bewegt, können wir denen unsere Anerkennung nicht versagen, die bei der Wahrung ihrer Rechte darauf verzichten, Gewalt anzuwenden, sich vielmehr auf Verteidigungsmittel beschränken, so wie sie auch den Schwächeren zur Verfügung stehen, vorausgesetzt, dass dies ohne Verletzung der Rechte und Pflichten anderer oder der Gemeinschaft möglich ist."

§79 lobt die Verweigerung ungerechter und unmoralischer Gesetze: "Blinder Gehorsam kann diejenigen nicht entschuldigen, die ihnen nachkommen Höchstes Lob verdient dagegen der Mut derer, die sich solchen Gesetzen offen zu widersetzen wagen." Dabei wird auch der Zusammenhang mit Wehrdienstverweigerung hergestellt und die Regierungen werden aufgefordert, sie durch Gesetze zu schützen: "Ferner erscheint es angebracht, dass Gesetze in humaner Weise für die Vorsorge treffen, die aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern, vorausgesetzt, dass sie zu einer anderen Form des Dienstes an der menschlichen Gemeinschaft bereit sind."

Karl Rahner meinte, dass dies in der gegebenen Situation das Höchstmaß dessen war, was über Gewaltfreiheit ausgesagt werden konnte (Karl Rahner/Herbert Vorgrimmler, Kleines Konzilskompendium, Herder, Freiburg, 1966, S. 443). Erzbischof Roberts brachte in diese Debatte den Fall Jägerstãtter ein. Ich selbst bin überzeugt, dass das Konzil durch diese Entschließungen zumindest einen Schritt aus der konstantinischen Bindung von Kirche und Staat getan hat, die sich in der Kirchengeschichte so verheerend als Verrat am Evangelium erwiesen hat.

In der Folge spiegeln die §79-81 die heftigen Auseinandersetzungen über den modernen Krieg, den Krieg an sich, über Rüstung und Abschreckung wider.

Verteidigungskrieg: Am Ende des §79 wird jedoch neuerlich für den Fall, dass alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, das Recht (nicht die Pflicht, wie Karl Rahner ausdrücklich feststellt, ibid. S. 444) einer Regierung auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht abgesprochen. In der Debatte standen sich BefürworterInnen des begrenzten Verteidigungskrieges und dessen Gegnern, die die totale Verwerfung des Krieges forderten, gegenüber. Mehrere Konzilsväter haben den Krieg an sich eindeutig verurteilt. So auch Kardinal Ottaviani: "Mehrere Konzilsväter haben gesagt, dass der Krieg völlig zu verurteilen sei. Ich stimme dieser Meinung vollkommen zu. Ich wünschte das Schema spräche viel ausführlicher von den Mitteln und Initiativen zur Förderung der Erhaltung des Friedens … Man muss den Wert und die Bedeutung der Waffen der Gerechtigkeit und der Liebe aufzeigen." Und Kardinal Martin von Rouen/Frankreich: "Die Unterscheidungen zwischen Defensiv- und Offensivkrieg, zwischen gerechten und ungerechten Kriegen sind heute überholt. Es ist notwendig geworden, den Krieg, gleichgültig welcher Art, als Mittel zur Lösung internationaler Probleme zu verurteilen…"

Verurteilung des totalen Krieges: Trotz der massiven Kampagne gegen die Verurteilung des modernen Krieges und für die Beibehaltung der nuklearen Abschreckung wird in §80 der totale Krieg eindeutig und mit Entschiedenheit verurteilt: "Deshalb macht sich diese Heilige Synode die Verurteilung des totalen Krieges, wie sie schon von den letzten Päpsten ausgesprochen wurde, zu eigen und erklärt: Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer St5dte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist." In diesem Zusammenhang wird auch der Rüstungswettlauf mit seinen dramatischen Konsequenzen für die Weltbevölkerung als eine der schrecklichsten Wunden der Menschheit bezeichnet.

Über die Abschreckung: Hatte eine frühere Fassung des Textes von §81 den bloßen Besitz moderner, wissenschaftlicher Waffen (ABC-Waffen) zur Abschreckung verurteilt (s. Rahner/Vorgrimler S. 445), so erreichte die Spellman-Gruppe hier einen Teilerfolg, indem es nur zu der vagen Formulierung kam, dass das Gleichgewicht des Schreckens in keiner Weise Frieden genannt werden kann. Die Formulierung blieb hinter der Bestimmtheit der Enzyklika "Pacem in terris" zurück, die besagt: "Der wahre und dauernde Friede unter den Nationen beruht nicht auf dem Gleichgewicht der Waffen, sondern ausschließlich auf gegenseitigem Vertrauen."

Das Konzil war nicht reif, Herstellung und Besitz von Nuklearwaffen zum Zweck der Abschreckung eindeutig zu verurteilen. Der Text lässt den moralischen Aspekt der Frage offen und gibt daher weder engagierten ChristInnen an der Basis noch Politikerinnen Orientierung für ihr Handeln. Die Ereignisse der "Wende" und die Beendigung des Kalten Krieges haben diese Situation 0berholt. Doch die tödliche Bedrohung der Menschheit durch die gelagerten ABC-Waffen und neue Waffensysteme ist weiter von höchster Aktualität. Ein starkes Engagement für Abrüstung ist heute - 50 Jahre danach - mehr denn je gefordert.

Innere Wandlung

Am Ende des Abschnitts 81 wird noch einmal deutlich gemacht, was wie ein roter Faden das ganze Kapitel 5 durchzieht: Ein ganz neuer Blick muss für die Frage der Gewaltbewältigung und Versöhnungsarbeit gewonnen werden: "Neue Wege, von einer inneren Wandlung aus beginnend, müssen gewählt werden … um die Welt von der drückenden Angst zu befreien… Gewarnt vor Katastrophen wollen wir die Frist, die uns noch von oben gewährt wurde, nützen, um mit geschärftem Verantwortungsbewusstsein Methoden zu finden, unsere Meinungsverschiedenheiten auf eine Art und Weise zu lösen, die des Menschen würdig ist." Damit ist die Forderung nach Umkehr zu den spirituellen, evangelischen Wurzeln der Friedensarbeit, die uns so sehr am Herzen liegt, neu gestellt.

In den folgenden Abschnitten werden Schritte genannt, die zu unternehmen sind, um der absoluten Achtung des Krieges näherzukommen. Dazu zählen: die Errichtung einer von allen anerkannten Weltautorit5t, die Oberwindung des nationalen Egoismus und der Herrschaft 6ber andere Staaten, die Errichtung spezifischer Institutionen für Friedensinitiativen und Versöhnungsarbeit. Besondere Bedeutung muss der Friedenserziehung der Jugend zukommen, sowie aller, die die öffentliche Meinung mitgestalten. Eine gerechte Weltwirtschaft und soziale Gerechtigkeit wie die Nord-Südproblematik werden angesprochen, um die Armut zu Oberwinden.

Den Abschluss von Kapitel 5 bildet ein starkes Wort zum Dialog mit allen Menschen:

Dieser beginnt innerhalb der Kirche, "um ein immer fruchtbareres Gespräch zwischen allen in Gang zu bringen, die das eine Volk Gottes bilden, Geistliche und Laien… Es gelte im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe. Im Geist umarmen wir such die Brüder (und Schwestern), die noch nicht in voller Einheit mit uns leben… Wir wenden uns dann auch allen zu, die Gott anerkennen und in ihren Traditionen wertvolle Elemente der Religion und Humanität bewahren… Der Wunsch nach einem solchen Dialog, geführt einzig aus Liebe zur Wahrheit und unter Wahrung angemessener Diskretion, schließt unsererseits niemanden aus, weder jene, die hohe Güter der Humanität pflegen, deren Urheber aber noch nicht anerkennen, noch jene, die Gegner der Kirche sind und sie auf verschiedene Weise verfolgen. Da Gott der Vater Ursprung und Ziel aller ist, sind wir alle dazu berufen, Geschwister (Brüder) zu sein. Und daher können und müssen wir aus derselben menschlichen und göttlichen Berufung ohne Gewalt und ohne Hintergedanken zum Aufbau einer wahrhaft friedlichen Welt zusammenarbeiten." (§92)

Same für das Friedenswirken in Kirche und Welt 50 Jahre danach

Die Pastorale Konstitution "Gaudium et spes" in ihrer Gesamtheit und nicht nur Kapitel 5, so Rahner/Vorgrimmler S. 447, wurde mit unterschiedlicher Kompetenz erarbeitet; viele Fragen blieben offen. Doch "das primäre Ziel wurde erreicht: Die ehrliche Solidarität von Kirche und Menschheit, die Einschärfung der Menschenwürde… die Bekundung der Bescheidenheit der Kirche in ihrem Dienst… Eine Kirche, die sich zu ihren Fragen bekennt, … ist dem Menschen heute glaubwürdig."

In den folgenden Jahren wurden mehrere Institutionen zur Weiterführung dieser Fragen errichtet, wie z.B. die Justitia et Pax-Kommission, für Ökumene, Zusammenarbeit mit anderen Religionen und mit Nichtgläubigen, für Familien-, Wirtschafts- und Sozialfragen.

Einstellung der Päpste zu Frieden und Gewaltfreiheit

Das Konzil endete in der Periode der 68er-Jahre, einer Zeit der Euphorie gewaltsamer Veränderung in der Gesellschaft, aber auch in manchen kirchlichen Reformbewegungen (Lateinamerika). Nur langsam, doch beharrlich, wuchs die Einsicht in die Kraft der Gewaltlosigkeit des Evangeliums und deren Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden. So setzte Johannes Paul II. wichtige Schritte aus dem Geist der Bergpredigt, wie z.B. die Vergebungsbitten für das Unrecht, das unsere Kirche Juden/Jüdinnen, AfrikanerInnen, durch Versklavung, Unterstützung von Kolonialherrschaft, durch Kriege usf. vielen Völkern angetan hat; oder das Friedensgebet mit Vertreterinnen nichtchristlicher Religionen in Assisi, das bis heute von der Gemeinschaft Sant Egidio weitergeführt wird. Die Einführung des Weltgebetstages am 1. Januar ermöglicht jeweils ein starkes thematisches Papstwort zum Frieden.

Benedikt XVI. bekräftigt theologisch die Gewaltfreiheit Jesu, so z.B. bei seiner Ansprache nach dem Angelusgebet am Sonntag, den 18.2.2007, über die Feindesliebe (Lk 6,27 u. Mt. 5,44), in welcher er diese Textstellen als die Magna Carta der christlichen Gewaltlosigkeit bezeichnet, die die Kette der Gewalt durchbricht. Er nennt sie eine Seinsweise, Kern der "christlichen Revolution", die mit der Kraft Gottes das Böse durch sich hinschenkende Liebe überwindet. Wiederholt fordert er - vor allem in Begegnungen mit der Jugend - zu einem Engagement aus dieser Kraft auf, wie zuletzt während seines Besuches im Libanon (September 2012).

In Lateinamerika: gewaltfreier Widerstand von Bischöfen gegen die Militärdiktatur

Eine Anzahl lateinamerikanischer Bischöfe arbeitete während der Konzilsperioden an der Analyse ihrer Situation aus der Perspektive der Bibel und setzte sich, angestoßen von Dom Helder Camara, mit der Frage des Befreiungsweges - Gewalt oder Gewaltfreiheit - auseinander. Als Ergebnis optierte die gesamte Kirche Lateinamerikas1968 für ihre Präferenz an Seiten der Armen. Zahlreiche Kirchenführer in Brasilien, Peru, Ekuador, Chile wie auch in Mittelamerika übten mit Entschiedenheit gewaltfreien Widerstand gegen die Militärregime der 70er-Jahre und trugen durch ihr Engagement dazu bei, dass diese ohne neues Blutvergießen überwunden werden konnten. Bei diesem Engagement durften wir sie durch Beratung und Seminare unterstützen

Doch das geschichtswirksamste gewaltfreie Engagement gegen Unrecht und Diktatur wurde in diesen 50 Jahren von engagierten Christlnnen, d.h. vom Volk Gottes verwirklicht: 1980 durch Solidarnosc in Polen, 1986 durch People Power in den Philippinen, 1989/90 die Wende in der DDR durch evangelische Christlnnen, 1991 in Madagaskar mit Hilfe des Ökumenischen Kirchenrates - und in größerer Perspektive durch buddhistische Mönche in Burma und Kambodscha, durch Juden/Christlnnen und Muslime der Friedensbewegung im israelisch-palästinensischen Konflikt, ja, im Arabischen Frühling durch humanistisch gesinnte junge Menschen, die die Spirale der Gewalt entlarvten und diese zurückwiesen. Selbst in Syrien, wo Frauen, Muslime und Christlnnen mitten im BürgerInnenkrieg unter Einsatz ihres Lebens waffenlos eine friedliche Lösung fordern, ist die Kraft der Gewaltlosigkeit am Werk.

Es stellt sich die Frage: Wird die christliche Theologie angesichts so vieler Zeugnisse waffenloser, friedlicher Gewaltbewältigung durch gläubige Menschen, wie im Hinblick auf den wachsenden Ausbau der internationalen Rechtsprechung und internationaler Friedensinstitutionen zu der Überzeugung gelangen, dass die Überwindung des Bösen aus der Kraft der sich hinschenkenden Liebe Gottes konstitutiver Kern der Erlösungs- und Befreiungsbotschaft Jesu ist und die Freiheit gewinnen, den Krieg als Mittel der Konfliktlösung schlechthin und alle Formen von Gewalt endgültig zu verurteilen und so Triebkraft für gewaltfreie Konfliktlösung, für Vergebung und Versöhnung in der Welt zu werden? Das Konzil gab in der Friedensfrage den Anstoß für eine neue, für die ursprüngliche jesuanische Sicht der Gewaltbewältigung. Heute geht es darum, trotz aller Widerstände mit Beharrlichkeit und Vertrauen auf das Wirken des Geistes Gottes der Gewaltfreiheit Jesu in uns, in der Kirche, in der Gesellschaft, in der Welt immer stärker zum Durchbruch zu verhelfen (Einsatz für Abrüstung und Entmilitarisierung, Friedenspolitik und Friedensdienste, die militärische Lösungen unnötig machen, Versöhnungsarbeit in Nachkriegssituationen, gewaltfreie Konfliktlösung in Familie und Jugendarbeit, größere soziale Gerechtigkeit, Schutz der Weltressourcen vor Plünderung und Landenteignung, Bewahrung der Schöpfung, Überwindung von Egoismus und Profitgier, Entsolidarisierung und Fremdenfeindlichkeit, humane Gesetze für ImmigrantInnen - um nur einige Aufgaben zu nennen), damit ALLE MENSCHEN zu Leben in Würde und Fülle gelangen können.

Hintergrundmaterial und zum Weiterlesen:

Hildegard Goss-Mayr, Wie Feinde Freunde werden, S.67 ff., 3. Auflage, LIT, Berlin  Dieses Buch kann beim österreichischen VB-Büro bestellt werden: office@versoehnungsbund.at oder auch beim deutschen VB-Büro:  http://www.versoehnungsbund.de/node/165

Quelle: Spinnrad Nr. 1 / 2013 - Zeitschrift des Internationalen Versöhnungsbundes - Österreichischer Zweig .

Veröffentlicht am

06. März 2013

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