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Uri Avnery: Besatzung? Welche Besatzung?

Von Uri Avnery, Haaretz, 7. Juni 2013

Jede Person ist mit einem gewissen Verleugnungsmechanismus ausgestattet, den sie anwendet, um Scham, Furcht, Schuld und Schmerz nicht sichtbar zu machen, in das sie mit ihrem unlauteren Handeln verwickelt ist. Statt ihrem Versagen in die Augen zu sehen und die Realität anzunehmen und sich mit ihr zu befassen, begibt sie sich einfach in einen Zustand des Nicht-Wissens.

Aber Leugnung kostet den Leugner einen hohen Preis. Die geistige Anstrengung, sich in Selbsttäuschung zu ergeben, verursacht schweren geistigen Schaden. Derjenige, der Tatsachen leugnet, gibt zu, dass er ein psychisches Problem hat. Er benötigt psychische Behandlung.

Seit 46 Jahren leben wir in dieser Situation. Wir leugnen eines der wesentlichsten Phänomene unserer nationalen Existenz, wenn nicht gar das zentralste: die Besatzung. Wir können die abgedroschene Metapher des riesigen Elefanten im Wohnzimmer gebrauchen, dessen Gegenwart wir leugnen. Ein Elefant? Was für ein Elefant?

Hier? Wir gehen um den Elefanten auf Zehenspitzen herum und wenden unsern Blick ab, so müssen wir ihn nicht sehen. Schließlich existiert er ja nicht.

Wir herrschen absolut über ein anderes Volk. Dies beeinflusst jede Sphäre unseres nationalen Lebens - unsere Politik, unsere Wirtschaft, unsere Werte, unser Militär, unser Rechtssystem, unsere Kultur und vieles andere. Aber wir sehen sie nicht - und wir wollen sie nicht sehen - was geschieht nur wenige Fahrminuten von unserm Haus entfernt, jenseits der schwarzen Linie, die als Grüne Linie bekannt ist. Wir haben uns an diese Situation so gewöhnt, dass wir sie für normal halten. Aber die Besatzung ist in sich eine anormale, vorübergehende Situation.

Nach dem Völkerrecht geschieht eine Besatzung dann, wenn ein Staat das Gebiet eines anderen Staates während Kriegszeiten erobert und dann als Besatzer festhält, bis Frieden geschlossen wird. Wegen der zeitweiligen Natur einer Besatzung legt das Völkerrecht strenge Beschränkungen auf den Besatzungsstaat. Es ist nicht erlaubt, seine eigenen Bürger in das besetzte Gebiet zu transferieren; es ist verboten, dort Siedlungen zu bauen; es ist verboten Land an sich zu reißen, und so weiter.

Israel hat etwas völlig Neues erfunden: die ewige Besatzung. Weil 1967 kein Druck auf Israel ausgeübt wurde, die besetzten Gebiete frei zu geben, kam Moshe Dayan mit der brillanten Idee - die Besatzung auf immer zu halten. Falls Israel die Gebiete annektiert hätte, würde es gezwungen worden sein, der besetzten Bevölkerung die Bürgerrechte zu gewähren. Doch in einem Zustand der Besatzung konnte es die Herrschaft aufrecht erhalten, ohne der Bevölkerung irgendwelche Rechte zuzugestehen - keine Menschenrechte, keine Bürgerrechte und gewiss keine nationalen Rechte. Ein reales Ei des Kolumbus.

Wir sind - wenigstens in unsern Augen - ein moralisches Volk. Wie lösen wir den Widerspruch unserer extremen Moralität und unserer offensichtlichen unmoralischen Umstände? Ganz einfach: Wir streiten alles ab.

"Macht korrumpiert", sagte der britische Staatsmann Lord Acton.

"Und absolute Macht korrumpiert absolut." Die Besatzung ist die absoluteste Macht, die es gibt. Sie hat alles Gute in uns korrumpiert - es hat die Armee korrumpiert, die die Besatzung aufrecht erhält, die Soldaten, die gezwungen werden, die zivile Bevölkerung jede Nacht zu terrorisieren, die Regierungsinstitutionen, die im Dunklen am Gesetz vorbeigehen, die Gerichte, die die Besatzungsgesetze erfüllen und das ganze Land, das täglich das Völkerrecht verletzt.

Wenn wir uns selbst fragen, was ist mit unserm Land geschehen, müssen wir nur unsere Augen öffnen und den Elefanten ansehen.

"Derjenige, der bekennt und den Weg verlässt, findet Gnade", sagt uns das Buch von Salomos Sprüchen. Es genügt nicht, zuzugeben und zu erkennen, dass eine Sünde begangen wurde; wir müssen den falschen Weg verlassen, den wir genommen haben. In unserm Fall müssen wir - um unsere Seelen und unsern Staat zu retten - die besetzten Gebiete aufgeben.

Doch bevor wir umkehren können, müssen wir zuerst zugeben, dass etwas falsch ist.

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.

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Veröffentlicht am

16. Juni 2013

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