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Irak-Krieg: Helfer oder Helfershelfer?

Die Vereinten Nationen haben den USA vor zehn Jahren zwar das diplomatische Geleit bei ihrer Intervention verweigert, doch blieben sie nicht unbescholten

Von Lutz Herden

Was die Amerikaner im Irak an imperialer Reputation und regionalem Schneid verloren haben, darüber wird zum 10. Jahrestag der Irak-Intervention viel meditiert. Aufmerksamkeit verdient nicht minder die Frage, warum die Schlachtfelder im Zweistromland rings um Kerbala, Basra oder Falludscha - warum dieser Konflikt überhaupt und die Jahre der Besatzung im besonderen nicht zum Anlass wurden, über die Vereinten Nationen als Sanierungsfall nachzudenken. Hat die Weltorganisation im Irak gehandelt, wie es ihre Charta gebietet? Welche Metamorphosen hat sie seit 2003 durchlaufen? Waren sie zu ihrem Schaden oder Nutzen?

Besatzer mandatiert

Die UN-Mitgliedsstaaten hatten sich im Frühjahr 2003 mehrheitlich geweigert, dem von den USA und ihren Alliierten entfesselten Krieg das diplomatische Geleit zu geben. Für die Zeit der Okkupation bis Ende 2011 wurde diese Distanz freilich aufgegeben. Ende Mai 2003 verabschiedete der Sicherheitsrat mit 14 : 0 Stimmen (Syrien blieb als zeitweiliges Mitglied dem Votum fern) Resolution 1483, mit der die USA und Großbritannien als Besatzungsmächte ausdrücklich anerkannt wurden. Es entstand der fatale Eindruck, als wollte die UNO einen ursprünglich von ihr nicht autorisierten Feldzug im Nachhinein sanktionieren. Die Regierungen in Washington und London mussten zwar akzeptieren, dass ihr Mandat zunächst auf ein Jahr begrenzt blieb, doch das war Kosmetik.

Ungeachtet dessen war der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan bemüht, den Stellenwert der Weltorganisation auf eine Stufe mit den sich in Bagdad etablierenden US-Autoritäten zu stellen. Mit dem Brasilianer Vieira de Mello wurde ein UN-Koordinator für humanitäre Aufgaben und Wiederaufbau installiert. Dessen Mission war am 19. August 2003 jäh beendet. Bei einem Bombenanschlag vor dem UN-Hauptquartier im Bagdader Canal Hotel wurden de Mello und 21 seiner Mitarbeiter getötet. Je stärker der Irak in den Sog eines Bürgerkrieges geriet, desto mehr wurden die Vereinten Nationen im Irak als Konfliktpartei auf Seiten der Amerikaner sowie als Teil der Besatzung wahrgenommen und entsprechend attackiert. Es verdient jedoch Respekt, was sie trotz allem mit Gesundheits- und anderen Unterstützungsprogrammen geleistet haben.

Ob sich diese Internationale der Hilfe und Humanität damit instrumentalisieren ließ, ist eine offene Frage. Waren die UN-Mitarbeiter der Irak-Missionen nach dem 20. März 2003 Helfer der Iraker oder Helfershelfer der Amerikaner? Wie eine Antwort auch immer ausfallen mag, sie kann und darf nicht zu einem Verzicht auf ein derartiges Engagement führen.

Weltfriedens- oder Weltordnungsmacht?

Andererseits - wenn die USA im Irak ihr Verständnis von Weltordnungspolitik offenbart haben, können sich die Vereinten Nationen kaum der Erwartung entziehen, selbst der Metamorphose von einer Weltfriedens- zu einer Weltordnungsmacht näher zu treten. Eine rechtliche Handhabe findet sich in der UN-Charta durch die dort verankerten Eingriffsrechte bei internationalen, den Weltfrieden gefährdenden Konflikten, wie sich den Artikeln 42 bis 46 in Kapitel VII des Dokuments entnehmen lässt. Natürlich wäre eine solche Mutation von der Gewissheit getragen, dass es letzten Endes wieder Großmächte wie die USA, Russland und andere sein können, denen UN-Interventionsmacht zugute kommt, wenn sie diese im Auftrag des Sicherheitsrates ausüben. Man denke an das Prinzip der Schutzverantwortung ("Responsibility to Protect"), wie sie der UN-Gipfel im September 2005 sanktioniert hat. Seinerzeit gab es dazu ein lange ausgehandeltes, aber bis heute nicht völkerrechtlich verbindliches Dokument. Es beschreibt die Gratwanderung zwischen einzelstaatlicher Souveränität und einem Recht der internationalen Gemeinschaft, "rechtzeitig und entschieden kollektive Maßnahmen über den Sicherheitsrat … zu ergreifen, falls friedliche Mittel sich als unzureichend erweisen und die nationalen Behörden offenkundig dabei versagen, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen".

Bisher fehlen die Präzedenzfälle, um sich vor Augen zu halten, wie im Fall des Falls eine an diese Kriterien gebundene Weltordnungspolitik der UNO funktionieren könnte, die weder Großmachtinteressen bedient noch den einen oder anderen regime change vorantreibt, sondern Konflikte eindämmt und militärische Konfrontation in politische Mediation überführt. Das wäre genau genommen nicht so viel und klingt doch utopisch. Was die Weltorganisation nicht davon entbindet, sich das Heft des Handelns niemals wieder so aus der Hand nehmen zu lassen wie vor 20 Jahren in Somalia, vor zehn Jahren im Irak oder vor einem Monat bei der französischen Mali-Intervention.

Quelle: der FREITAG   vom 20.03.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

21. März 2013

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