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Intervention: Alouette, gentille Alouette!

Wieder findet ein afrikanischer Konflikt keine afrikanische Lösung. Mali wird durch externes Militär befriedet. Frankreich macht sich als Gendarm des Westens nützlich

Von Lutz Herden

So werden vollendete Tatsachen geschaffen. Die Kombattanten der islamistischen Verbände im Norden Malis halten Angriff für die beste Verteidigung und marschieren nach Süden. Und ein französisches Expeditionskorps hält viel von der Gunst der Stunde und marschiert nach Norden, den Gotteskriegern entgegen. So kommt man sich näher, so kommt man vor allem einer UN-Operation zuvor, wie sie der UN-Sicherheitsrat kurz vor dem Jahreswechsel einstimmig beschlossen hatte.

Resolution 2085 sah eine mögliche Rückeroberung der von Tuareg-Rebellen sowie radikalen Islamisten besetzten Nordregionen Malis vor, verzichtete aber auf Zeitpläne, nicht jedoch strenge Auflagen. Die Entsendung von etwa 3.300 Soldaten mit UN-Mandat aus den Nachbarländern Malis - vorwiegend den Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS - sollte auf ein Jahr begrenzt bleiben. Daneben sah sich die malische Regierung aufgefordert, einen "glaubwürdigen Dialog" mit den Gruppen im Norden zu führen, die sich vom Terrorismus losgesagt hätten, vorzugsweise den Tuareg. Die ebenfalls in der Resolution ausgesprochene Erwartung, in Mali werde es im April 2013 Wahlen geben, wurde von der "technischen Durchführbarkeit" eines solchen Votums abhängig gemacht. Dass es darum nach der jüngsten Entwicklung schlecht bestellt sein wird, liegt auf der Hand.

Autoritätsverlust für die UN

Frankreich hat die UN-Vorgaben nach seinen Bedürfnissen redigiert. Den Vereinten Nationen ist damit die Initiative entglitten. Besser gesagt, sie wird ihnen entzogen. Die ECOWAS-Staaten werden zwar noch gebraucht, aber mehr als folkloristisches Element, damit dem Vormarsch der Franzosen so etwas wie regionales Kolorit anhaftet. Militärisch sind sie zu Statisten degradiert, wenn Briten, Amerikaner und wohl auch die Bundeswehr ihren Part nicht schuldig bleiben. Wieder einmal wird ein afrikanischer Konflikt nicht durch afrikanische Kräfte gelöst. Das klassische Modell setzt sich durch und damit das bekannte Muster - durch westliche Militärmacht regionale Ordnungskraft entfalten. Mit dem Kanonenboot flussaufwärts. Alles wie gehabt. Nur sind es in Mali der geografischen Umstände wegen Mirage-Bomber und Alouette-Helikopter, die sich bewähren.

Für die Autorität der Weltorganisation, speziell die ihres Generalsekretärs, kann das nicht von Vorteil sein. Ban Ki-moon hatte sich der Lage in Mali besonders angenommen und einer interventionistischen Lösung allein nicht allzu viel abgewinnen wollen.

Düpiert fühlen muss sich auch Algerien. Noch im Dezember hatte Präsident Bouteflika beim Antrittsbesuch von Präsident Hollande in Algier um dessen Plazet für eine Vermittlung im Mali-Konflikt geworben und war - nach außen hin - nicht erfolglos geblieben. Seither haben algerische Diplomaten nicht eben beiläufige Arrangement ausgehandelt, teilweise sogar Verträge geschlossen. Die Tuareg der Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA) und die Organisation Ansar Dine (Verteidiger des Glaubens) rangen sich zu Konzessionen durch, die noch vor Wochen utopisch schienen.

Ein neues Afghanistan?

Was Algier motiviert, als Emissär aktiv zu sein, ergibt sich aus seinem Führungsanspruch in Nordafrika, der jedes postkolonial anmutende Eingreifen Frankreichs skeptisch bis ablehnend quittiert. Abd al-Aziz Bouteflika - ab 1963 selbst für anderthalb Jahrzehnte Außenminister - befürchtet nicht zu Unrecht, dass eine Militärintervention der Region mehr schadet als nützt. Allah liebt die Standhaften, und wer sich als islamischer Kämpfer seinem Todfeind widmet, der handelt in göttlichem Auftrag. Welch glückliche Fügung, wenn die Ungläubigen nicht in ihren europäischen Zivilisationsfesten gestellt werden müssen, sondern im Wüstensand des Sahel angegriffen werden können. Dass Frankreich quasi dazu einlädt, muss in Algerien Alpträume auslösen. Noch kein Jahrzehnt ist es her, dass ein Bürgerkrieg zwischen einer zu allem entschlossenen Guerilla der Islamischen Heilsfront FIS und der Armee mehr als 120.000 Todesopfer forderte. Sollte Mali zum Kriegsschauplatz werden, bliebe das angrenzende Algerien kaum verschont. Auch dort ließen sich dann die islamistischen Ausläufer des Arabischen Frühlings nicht länger eindämmen.

Droht in Mali denn wirklich ein Ql-Qaida-Staat vor der Haustür Europas, wie es François Hollande suggeriert? Ein zweites Somalia in Nordafrika also? Oder eher ein zweites Afghanistan, wenn sich die Präsenz von NATO-Staaten ausweitet und Bestand hat. Das schwache, von inneren Konflikten zerrissene und hilfsbedürftige Mali ist das ideale Terrain, um hier damit zu beginnen, für den Westen unliebsame Folgen der "Arabellion" einzudämmen - ob es sich um den Aufstieg eines Staats-Islamismus wie in Tunesien und Ägypten handelt oder den Aufschwung einer fundamentalistischen Guerilla-Macht, die Staaten durch Gottesstaaten, säkulare Gesellschaften durch Kalifate zu ersetzen wünscht.

Kein Wunder, dass Frankreich mit Großbritannien, den USA und Deutschland willige Sekundanten findet, deren Beistand nicht allein logistischer und temporärer Natur sein dürfte. Wer wie die Amerikaner mit Drohnen eingreifen will, hat sich bereits dem Verhaltensmodus verschrieben, wie man ihn aus Afghanistan und Pakistan kennt.

Quelle: der FREITAG   vom 14.01.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

15. Januar 2013

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