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“Rechtsfrieden” wankt

Nach Einreichung einer Klage gegen die Deutsche Bahn AG (DB AG) und gegen die Deutsche Lufthansa wegen NS-Verbrechen ihrer Unternehmensvorläufer kündigen mehrere tausend Überlebende weitere Prozesse an. Sie waren als Kinder oder Jugendliche verhaftet und mit der NS-"Reichsbahn" deportiert worden, um in deutschen Kriegsbetrieben Sklavenarbeit zu verrichten; andere wurden in Vernichtungsstätten transportiert, aber konnten den Massenmorden entgehen.

Zu den Deportationsgewinnlern gehörte unter anderem die NS-"Lufthansa". Sie beschäftigte mindestens 10.000 Zwangsarbeiter, darunter auch den jetzigen Kläger. Die NS-"Reichsbahn", die den Kläger aus der Ukraine verschleppte, setzte mindestens 400.000 Zwangsarbeiter ein; etwa drei Millionen Menschen transportierte das Unternehmen in die Todeslager. Die Klage ist Teil internationaler Bemühungen, die Profiteure der früheren Mordbeihilfe auf dem Logistiksektor zur Rechenschaft zu ziehen. Auch frühere Kollaborateure der NS-Logistikkonzerne "Deutsche Reichsbahn" und "Deutsche Lufthansa" sind betroffen, unter anderem in Ungarn. Gesetzesvorhaben in mehreren US-Bundesstaaten richten sich gegen den Versuch der NS-Nachfolgeunternehmen, bei Milliardengeschäften im Logistiksektor Gewinne zu erzielen, ohne die Schulden aus der Verbrechensbeihilfe zu tilgen. DB AG und Lufthansa AG lehnen Restitutionen ab, da sie in einen Fonds der deutschen Industrie eingezahlt haben, der ihnen angeblich "Rechtsfrieden" sichert.

Die Initialklage wurde am 31. Dezember 2012 beim Landgericht Frankfurt am Main eingereicht, da Frankfurt einer der Betriebsorte der beiden Beklagten ist. Der Kläger stammt aus Kiew und ist als 17-Jähriger mit der "Reichsbahn" nach Deutschland deportiert worden, wo die NS-"Lufthansa" seine Arbeitskraft vernutzte.Klagewelle gegen die Deutsche Bahn AG. Pressemitteilung Nr.01-13. Zug der Erinnerung, 04.01.2013. S. auch Nachhaltige Wertschaffung . Demnach wurde er zu Tätigkeiten in Berlin-Staaken gezwungen, einem der "Lufthansa"-Standorte für Reparaturmaßnahmen an Bombern und Jagdmaschinen. In die engen Tragflächen habe die "Lufthansa" deportierte Kinder geschickt, um Nietarbeiten zu verrichten, schreibt der Kläger. Er nimmt die Nachfolgeunternehmen wegen der damaligen Verbrechensbeihilfe als Gesamtschuldner in Anspruch und verlangt Schmerzensgeld sowie rückwirkende und angemessene Bezahlung für insgesamt 8.700 Arbeitsstunden.Klagetext in der Fassung vom 28.12.2012, S. XX.

Keine Versäumnisse

Wegen ähnlicher Ansprüche mehrerer zehntausend Überlebender kommen auf die deutschen Nachfolgeunternehmen der NS-Verbrechenslogistik Milliardenforderungen zu. Allein die NS-"Reichsbahn" ist an Verschleppungen in fünf bis zwölf Millionen Fällen beteiligt gewesen, die sich zu den Zwangsarbeitertransporten addieren. Dazu gehören Transporte zwischen den Lagern sowie jahrelange Einsätze bei groß angelegten Umsiedlungsmaßnahmen vor allem in Osteuropa ("Umvolkung"). Obwohl diese Beihilfe nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann, seitdem Standardwerke den Verbrechensumfang enthülltenRaul Hilberg: Sonderzüge nach Auschwitz, Mainz 1981., weisen die deutschen Nachfolgeunternehmen Ansprüche der Opfer immer wieder zurück. "Versäumnisse" im Umgang mit ihrer Geschichte könne die Lufthansa "nicht nachvollziehen"Fernsehfilm sorgt für Unruhe bei der Lufthansa; Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.08.2010., heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens aus dem Jahr 2010. Man sei nicht Rechtsnachfolger.

Umgegründet

Diese Behauptung stützt sich auf einseitige Beschlüsse der früheren NS-Eigentümer, die es nach 1945 für ratsam hielten, ihre Logistikunternehmen formal umzugründen. So schreibt die (neue) Lufthansa 1954 ohne weitere Ausführungen: "Eine Rechtsnachfolge der alten Lufthansa, die sich in Liquidation befindet, besteht nicht."Deutsche Lufthansa, 2. Jahresbericht 1954, zitiert nach www.berlin-spotter.de.

Fraud on creditors

Daran sind bei näherer Betrachtung Zweifel erlaubt: Wie bereits vor 1945 blieb der deutsche Staat Eigentümer. Als Neugründer traten der Bund, die Deutsche Bundesbahn (zu hundert Prozent in Bundesbesitz) und das Bundesland Nordrhein-Westfalen auf. Ähnlich ging die Bundesrepublik Deutschland bei Umgründung ihrer Schienenunternehmen vor: Die Deutsche Bahn AG folge rechtlich weder der NS-"Reichsbahn" noch der Deutschen Bundesbahn, hieß es 1993/1994 bei Neubenennung der alten Einrichtungen, für die hunderttausende Verschleppte auf den Schienen Zwangsarbeit leisten mussten. Laut der jetzt eingereichten Klage könnten diese Umgründungen in betrügerischer Absicht vorgenommen worden sein - um die Gläubiger (zu denen der Kläger gehört) um ihre Ansprüche zu bringen.Max Klaser: Das römische Privatrecht, München 1971. Gläubigerbetrug ("fraud on creditors") ist strafbar und schützt vor Restitutionen nicht.Restitutio ad integrum: Wiedereinsetzung in die alten Gläubigerrechte.

Lufthansa-Bomber

Dass ihre angebliche Unbescholtenheit fragwürdig ist, scheinen DB AG und Lufthansa sehr genau zu wissen: Als die USA nach der deutschen Einheit auf Restitutionen drängten, zahlten beide Unternehmen an die neu gegründete Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ) Beträge, die sie als "Spenden" bezeichneten. Es handelt sich um weniger als zehn Prozent der Einnahmen, die "Reichsbahn" und "Lufthansa" bei ihrer Verbrechensbeihilfe zugeflossen waren. Völlig unberücksichtigt blieben Taten, an denen die NS-"Lufthansa" in Spanien und Polen beteiligt war, wo "Lufthansa"-Maschinen des Typs Ju 52 bei Flächenbombardements in Wohngegenden halfen. Allein auf Warschau fielen beim deutschen Überfall "560 Tonnen Spreng- und 72 Tonnen Brandbomben".Rainer Ohl: Der Flieger. Einsätze mit der Ju 52 im 2. Weltkrieg, Berlin 2012. Zu den Kriegsvorbereitungen mit der Deutschen Lufthansa vgl.: Heinz Jäger: Windiges aus der Deutschen Luftfahrt. Deutscher Luftkrieg im Ausland, Die Weltbühne Nr. 11/1929. S. auch Die spanische Kriegshochschule .

Freude und Highlight

2013 wird die Tatwaffe von der "Deutsche Lufthansa Berlin-Stiftung" für Nostalgieflüge angeboten: "Schenken Sie Freude mit einem Gutschein für einen Ju 52-Rundflug (…). Tante Ju berührt die Herzen der Menschen".www.lufthansa-ju52.de. Auch die Deutsche Bahn AG stellt sich 2013 in ihre tatsächliche Geschichtstradition - solange es nicht um Unternehmensschulden geht. Ein restauriertes Prunkstück der NS-Transportlogistik ("Schnellzuglokomotive E 19 12") aus der Zeit der Massendeportationen in die Vernichtungslager wird im Nürnberger DB-Museum als "Highlight" angepriesen ("Glanzlicht der Eisenbahngeschichte").www.deutschebahn.com/site/dbmuseum/de/ fahrzeugsammlung/uebersicht/uebersicht.html.

Ablasshandel

Trotz ihrer offensichtlichen Firmenidentität beanspruchen DB AG und Deutsche Lufthansa "Rechtsfrieden", den ihnen die Bundesstiftung EVZ garantieren soll. Die Stiftung untersteht dem Bundesfinanzministerium und ist ein Instrument der deutschen Wirtschafts- und Außenpolitik. Unternehmenseinzahlungen in die Stiftung gelten als Pauschalausgleich für die Beteiligung an NS-Verbrechen - ohne weitere Würdigung des Tatumfangs und der dabei angerichteten Schäden. Bisherige Klagen von Überlebenden scheiterten an sämtlichen deutschen Gerichten, die unter Hinweis auf das EVZ-Gesetz Opferansprüche für erledigt ansahen. Dem begegnet der jetzige Kläger "mit Zweifeln an der Stiftung".Klagewelle gegen die Deutsche Bahn AG. Pressemitteilung Nr.01-13. Zug der Erinnerung, 04.01.2013. Dem Kläger verweigert die EVZ selbst geringste Regelzahlungen, die nur gewährt wurden, wenn Überlebende zwischen 2000 und 2001, also binnen zwölf Monaten, in Berlin vorstellig wurden. Nach Meinung von Kritikern ist das EVZ-Gesetz darauf angelegt, eine Art Ablasshandel zugunsten der NS-Erben zu begünstigen.

Klageweg frei

Dieser Auffassung könnten sich auch internationale Gerichte anschließen, vor denen die EVZ-Abwehr keine Gültigkeit hat. Bereits 2009 reichte US-Senator Charles Schumer in Washington einen Gesetzentwurf ein, der sowohl US-Bürgern wie auch ausländischen Betroffenen die Möglichkeit geben soll, vor US-Gerichten "gegen jede Eisenbahn"-Gesellschaft vorzugehen, die sie "in Nazi-Konzentrationslager deportierte".S 28/ H.R. 4237 (111th Congress). Der Gesetzentwurf hebt auf sämtliche Deportationen ab, die zwischen dem 1. Januar 1942 und dem 31. Dezember 1944 stattfanden. Obwohl Senator Schumer insbesondere Deportationen mit der französischen Staatsbahn SNCF im Auge hat, macht der Gesetzentwurf auch den Weg für Klagen gegen den deutschen "Reichsbahn"-Nachfolger sowie "Reichsbahn"-Kollaborateure in den ehemals okkupierten Staaten frei, so etwa in Ungarn.
"Sie wussten, was sie taten". Mitgemordet: Details der Klage gegen die ungarische Staatsbahn, Pester Lloyd 15.02.2010.

Blockaden erfolgreich

Weitere Gesetzesvorhaben sind unter den Bezeichnungen "Holocaust Survivors Responsibility Act" und "Rail Justice Act" im US-Senat anhängig. Eine "Ad Hoc Coalition for Holocaust Rail Justice" wirbt auf einer eigenen Webseite für den Boykott sämtlicher Unternehmen, die in Nachfolge von NS-Logistikern den Überlebenden noch immer Restitutionen verweigern.www.holocausttrailvictims.org. Obwohl die Gesetze noch nicht in Kraft sind, erschweren die Aktivitäten ihrer Unterstützer den Marktzugang der französischen Staatsbahn SNCF. Im September 2012 ging das Unternehmen, das an der Deportation von mindestens 70.000 Juden in Frankreich beteiligt war, eines lukrativen Vertrags im US-Staat Maryland verlustig. Zuvor scheiterte die SNCF an ähnlichen Blockaden in Kalifornien und Florida.

Keinen Cent

Die Deutsche Bahn AG ist in den USA mit Milliardeninvestitionen tätig. Bei den Massendeportationen hat ihr Unternehmensvorläufer mindestens 445 Millionen Euro heutiger Währung eingenommen.Gutachten. Zug der Erinnerung, November 2009. Nach der jetzigen Klageeinreichung in Frankfurt am Main steht die Anrufung von US-Gerichten durch mehrere Tausend Überlebende bevor. Statt mit den Opfern den Ausgleich zu suchen, gibt die [15] Gutachten. Zug der Erinnerung, November 2009. DB AG erhebliche Summen für Lobbyarbeit gegen die "Reichsbahn"-Deportierten aus, heißt es in Presseberichten.Entschädigungsansprüche gegen Deutsche Bahn; Der Spiegel 02.04.2012. Demnach hat der deutsche Konzern eine PR-Agentur in den USA beauftragt, um die Ansprüche der Opfer abzuwehren. Ob der ukrainische Kläger den Ausgang der Verfahren je erleben wird, ist ungewiss. Der 88-Jährige fristet in Kiew ein ärmliches Rentnerleben, ohne von der DB AG, der Lufthansa oder dem deutschen Staat je eine Entschuldigung gehört oder einen einzigen Cent erhalten zu haben.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 07.01.2013.

Fußnoten

Veröffentlicht am

09. Januar 2013

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