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Uri Avnery: Eine Person, die man Niemand nennt

Von Uri Avnery, 29.12.2012

PLÖTZLICH wird mir bewusst, dass ein neuer Stern am politischen Firmament Israels erschienen ist. Bis gestern wusste ich nicht einmal etwas von seiner Existenz.

Eine geachtete öffentliche Meinungsumfrage stellte eine nixoneske Frage: Von welchem Politiker würden Sie einen Gebrauchtwagen kaufen? Die Antwort war überwältigend. Kein einziger Politiker erreichte 10%. Außer einem, dem beachtliche 34% der möglichen Stimmberechtigten vertrauen würden: ein gewisser "Niemand".

Dies war nicht die einzige Frage, dem die Wähler eine merkliche Vorliebe zeigten: einem mysteriösen Kandidaten. Als sie gefragt wurden, mit welchem Kandidaten sie gerne einen Abend verbringen würden, waren es nur 5%, die Shelly Yachmovitch bevorzugten, und sogar den glatten Benjamin Netanjahu zogen nur 20 % an, während "Niemand" die Liste leicht mit 27% anführte.

Wem vertrauen Sie am meisten? Wieder gewann "Niemand" mit 22%, ihm folgte Netanjahu mit 18%. Wer sorgt sich am meisten für Sie und Ihre Probleme? 33% stimmten für Niemand, weit danach folgte Shelly mit 17% und Netanjahu mit nur 9%.

Ich bin diesem Niemand nie begegnet. Ich weiß nicht einmal, ob er männlich oder weiblich ist, jung oder alt. Warum hatte er/sie nicht eine neue Partei gegründet, damit man sieht, dass dies ein todsicherer Tipp ist?

Da es zu spät ist, sich in den Kampf einzulassen, ist es absolut sicher, dass Netanjahu der große Sieger sein wird. Er wird der nächste Ministerpräsident. Er hat einfach keinen Konkurrenten.

IN VIELEN Sprachen, einschließlich Hebräisch, spricht man von einem "politischen Spiel". Doch so viel ich weiß, hat sich keiner bis jetzt ein richtiges Spiel ausgedacht, nicht einmal für Kinder.

Ich habe mir die Mühe gemacht, dies zu tun. Ich hoffe, dass es einigen meiner Leser helfen wird, sich an einem langweiligen Abend, wenn im Fernsehen keine "Realität" gezeigt wird, die Zeit zu vertreiben. Das Spiel geht nach Art von Lego. Jeder Block vertritt eine der Parteien. Das Ziel ist eine Regierungskoalition aufzustellen.

Da die Knesset 120 Mitglieder hat, benötigt man 61, um eine Regierung zu bilden. Man fühlt sich natürlich mit 65 sicherer, da eine große Anzahl von Mitgliedern immer in der Welt herumreist und für entscheidende Abstimmungen verzweifelt nach Hause gerufen werden muss. Israelis reisen gerne durch die Welt, besonders dann, wenn jemand anders (z.B. die Knesset) die Reisekosten übernimmt.

Um eine Koalition zusammen zu stellen, sollte man die folgenden Prinzipien befolgen:

Als erstes muss die eigene Partei stark genug sein, um jede mögliche Opposition innerhalb der Regierung selbst zu überwinden.

Die Koalition muss ausgeglichen sein, so dass man immer in der Mitte eines Problems ist.

Sie muss genug Mitglieder einschließen, so dass keine einzelne Partei groß genug ist, um die eigene durch Drohung zu erpressen, sie würde die Regierung am Vorabend einer entscheidenden Abstimmung verlassen.

Einige unglückliche Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt haben diesen Job in der Vergangenheit so hart gefunden, dass sie den Staatspräsidenten um eine Verlängerung der Zeit ersuchen mussten, die ihnen gesetzlich zustand.

Tatsächlich ist dies die wichtigste aller Entscheidungen, die man bis zu den nächsten Wahlen machen muss, einschließlich der Entscheidung über Kriege und Ähnliches. Wenn man hier etwas verkehrt macht, wird die Regierung irgendwann in einer Katastrophe enden.

DIE MEINUNGSUMFRAGEN zeigen, dass man dieses Mal einen verhältnismäßig leichten Job haben wird. Es wird von der Fähigkeit abhängen, wie erfolgreich das Ergebnis sein wird.

Zunächst das Aufbauen der Blöcke, die man auswählen muss.

Von der eigenen Liste, von Likud Beitenu, die man mit Avigdor Liebermans zusammen gelegt hat, wird erwartet, dass sie zwischen 35 und 40 Sitzen gewinnt. Alle andern Parteien werden bedeutend kleiner sein. Es gibt keine Partei, die zwischen 20 und 35 Sitzen rangiert.

Shellys Labor-Partei liegt zwischen 15 und 20 Sitzen und steht in Konkurrenz mit vier Parteien zwischen 9 und 15. Diese sind Zipi Livnis "Bewegungs-Partei (die wirklich so heißt); Yair Lapids "Es gibt eine Zukunft" (im Gegensatz zu jenen, die glaubten am 21. Dezember geht die Welt unter); die orientalisch-orthodoxe Chas-Partei und Naftali Bennetts " Jüdisches-Heim"-Partei.

Naftali Bennett- Wer ist das? Er ist die große Überraschung dieser Wahlen. Er erschien von nirgend woher, ein erfolgreicher Hightech-Unternehmer mit einer winzigen Kippa, dem eine feindselige Übernahme der zum Scheitern verurteilten religiös-nationalen Partei gelungen ist. Es ist ihm gelungen, all ihre ehrwürdigen Führer hinauszuwerfen und der einzige Führer zu werden. Innerhalb weniger Wochen hat er bei der Umfrage die Anzahl der Parteiensitze verdoppelt, indem er Netanjahu von der rechten Flanke her angegriffen und Meinungen geäußert hat, die einige für ausgesprochen faschistisch halten.

Woher hat Bennett seine Sitze bekommen? Vom Likud natürlich. Bennett war einmal der Stabschef im Büro von Netanjahu; er machte aber einen fatalen Fehler, indem er mit Sarah’le, der Frau des Bosses in Konflikt geriet (manche sagen: mit dem wirklichen Boss). Nun wütet eine wilde Schlacht. Bennett klagt Netanjahu an , er würde die Zwei-Staaten-Lösung unterstützen, (an die keiner in Israel und in der Welt glaubt) und Netanjahu greift Bennett an , er habe als Soldat - Major der Reserve - einem Befehl nicht gehorcht, nachdem er " einen Juden nicht aus seinem Haus entfernt hätte. Das in Frage kommende Haus ist natürlich in einer Siedlung auf palästinensischem Land.

Seit der Likud seit den letzten Vorwahlen selbst extremer und durch die Zusammenlegung mit Liebermans Kohorten sogar noch extremer wurde, wird die drohende Konfrontation mit Bennett ein spannender Kampf zwischen der extremen Rechten und der noch extremeren Rechten sein. Es gibt auch noch die Extremste Rechte: Die Anhänger des verstorbenen, unbeweinten Rabbi Meir Kahane, die wahrscheinlich doch nicht die zwei Prozenthürde nehmen.

Zurück zur Parteienliste: abgesehen von der Likud und den fünf "mittelgroßen" Parteien gibt es sechs kleine Parteien. Der bei weitem bedeutendste von ihnen ist der Ashkenasi-Orthodoxe Block, "Tora Judentum"; dann ist da noch die Meretz, die einzig jüdische Partei, die zugibt, dass sie zum linken Flügel gehört. Gleichgroß sind die drei arabischen Parteien (einschließlich der Kommunisten, die hauptsächlich arabisch sind, aber auch einen jüdischen Kandidaten hat).

Und dann gibt es noch die arme Kadima, die größte Partei in der auslaufenden Knesset, die nun darum kämpft, die 2% Hürde zu nehmen. Sic transit gloria mundi (So vergeht der Ruhm der Welt).

SO NUN kann man sich an die Arbeit machen. Man denke daran: das Ziel sind mindestens 61 Mitglieder.

Die natürlichste Koalition würde eine Allianz auf der Rechten sein. Likud-Beitenu, das Jüdische Heim, Shas und die Orthodoxen werden wahrscheinlich zusammen rund 67 Sitze haben. Sie könnten die Politik der schnellen Erweiterung (der Siedlungen) erfüllen und die Errichtung eines palästinensischen Staates verhindern, die Besatzung auf ewig halten und sich um die Meinung der Welt den Teufel scheren.

Der Nachteil: diese Zusammensetzung würde jeden Vorwand am Festhalten einer Zweistaatenlösung und einem Wunsch nach Frieden ein Ende setzen. Man würde nackt und bloß vor der Welt stehen. Israels internationaler Status würde stark angeschlagen sein - mit möglichen verheerenden Konsequenzen.

Man wäre auch ständiger Erpressung von Seiten des zusammengelegten Shas-Orthodoxen Blockes ausgesetzt, der riesige Summen für die Ghettos verlangen würde, wie zum Beispiel höhere Zuschüsse für ihre Kinder (8-10Kinder), Befreiung von der Arbeit und dem Militärdienst und vieles andere mehr. Auch würde man nicht in der Mitte unserer Regierung sein, sondern links.

Zwei Dinge verhindern dies: man könnte sich wünschen, dass etwas Zentrum-Gewürz in das Gebräu hinzugefügt würde. Wenigstens drei Parteien sollten sich vor eurer Tür am Tag nach der Wahl anstellen: Sheli, Zipi und Yair.

Das nächste Regierungsprogramm aufzustellen, sollte kein Problem sein. Keiner der drei hat etwas gesagt, was einen stören sollte. Tatsächlich haben sie nicht viel gesagt. Also suche man etwas aus.

WARUM NICHT alle nehmen? Es würde eine Nationale Union - immer volkstümlich sein, wobei nur "die Araber" und Meretz außen vor blieben. Eine Koalition von 100 Mitgliedern.

Aber da liegt der Hase im Pfeffer, tatsächlich sind es sogar zwei Hasen.

Zunächst wird man in solch einer Koalition in der Minderheit sein. Man könnte nicht in der Lage sein, alle seine Marotten ins Gesetz zu bringen und den Zig-zag-weg glücklich entlanggehen.

Zweitens, wie würde man die Ministerien verteilen? Schließlich wird das die Hauptforderung - wenn nicht gar die einzige - Forderung all dieser Führer sein und auch die der eigenen Parteifunktionäre?

Da sind zum mindesten drei Kandidaten für die Verteidigung, vier für die Finanzen, zwei für das Außenministerium (wenn die Gerichte Lieberman nicht ins Gefängnis stecken.)

Hier beginnt das reale Spiel. Welche Partei soll man einschließen, welche ausschließen? Nimmt man Shelly und lässt Bennett außerhalb? Oder vielleicht Yair einschließen und Shas ausschließen (Erteile ihnen eine Lektion!) Oder nimm Zipi hinein, als Alibi für jene lästigen Amerikaner und Europäer und verhindere die "Delegitimation" Israels und vergiss Shelly, die sagt, sie liebe die Siedler?

Wie man sieht, sind die Möglichkeiten fast unendlich. Man hat noch 25 Tage Zeit.

Nun habt Spaß am Spiel! - und viel Glück!

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert.

Weblinks:

Veröffentlicht am

02. Januar 2013

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