Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Vom Friedensdienst im Sudan auf die Schwäbische Alb

Das Lebenshaus als Reflektions- und Rekreationsort für Rückkehrende aus dem Zivilen Friedensdienst

Von Julia Kramer (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 73 vom Juni 2013)

"Du kannst kommen. Sag einfach Bescheid, wann Du das Zimmer beziehen willst. Wir machen das möglich." So einfach war das… Ich konnte es kaum glauben! Ich hatte wochenlang gerätselt, wie ich meinem tiefen Bedürfnis nach einer "Reflektionspause" und Schreib-Klausur bei meinem schmalen Budget und Jobunsicherheit nachkommen könnte. Nach zwei Jahren Zivilem Friedensdienst im Sudan und einem Jahr intensiver Menschenrechtsarbeit hatte ich eine solche Klausur dringend nötig. Ich wollte mir all die komplexen Zusammenhänge, die dramatischen Entwicklungen, die schmerzvollen und die beeindruckenden Zeitzeugnisse von der Seele schreiben und so auch Raum schaffen für Neues. Ich wusste, dass in diesem Neuen die deutsche Realität wieder einen größeren Stellenwert einnehmen müsste, als die sudanesische, die mir nach wie vor so nahestand.

Erfahrungen als Friedensfachkraft im Sudan

Meine zwei Jahre als Friedensfachkraft im Sudan (mit dem Deutschen Entwicklungsdienst, jetzt giz) waren einerseits in vieler Hinsicht sehr spannend, andererseits doch von der "Entschleunigung" geprägt, auf die wir bereits in der Vorbereitung auf unseren Auslandsaufenthalt hingewiesen wurden. Ich arbeitete als Beraterin bei einer sudanesischen Partnerorganisation, die vor allem Trainings zu Gewaltfreiheit, Konflikttransformation und Menschenrechten anbietet. Ich lernte, dass es im Sudan nicht funktioniert, etwas zu erzwingen und auf deutsche Art akribisch zu planen. Vielmehr geschehen die Dinge und alle helfen mit, sofern man das Zwischenmenschliche gut pflegt. Da begannen mein Urvertrauen und meine innere Beweglichkeit zu wachsen, das jeweils Anstehende anzunehmen und zu tun und mehr im Augenblick, in der Präsenz zu arbeiten. Ich genoss die Herzlichkeit der täglichen Begrüßungen und kleinen beziehungsfördernden Gespräche, das gemeinsame "Fatur" (Frühstück mit dicken Bohnen, Fladenbrot und Joghurt) in großer Runde im Büro, die "Hintergrundgespräche" bei der eritreischen Kaffeefrau ums Eck, und die Geschäftigkeit wenn alle zusammenhalfen, wenn ein Workshop oder eine andere Veranstaltung beginnen sollte. Ich lernte, mit allen Sinnen zuzuhören, Möglichkeiten der Transformation - im Persönlichen, in der Organisation und im Inhaltlichen - aufzuzeigen und wahrzunehmen und Projektionen von echter zwischenmenschlicher Begegnung zu unterscheiden. Während mir die Beschränkungen in der Wirksamkeit meiner Arbeit bewusst waren, wollte ich dennoch behutsam bleiben und ich sah das größte Transformationspotential in der menschlichen Begegnung auf Augenhöhe.

Ich schätze mich privilegiert, im Sudan die Vorläufer der historischen Entwicklungen des Arabischen Frühlings miterlebt zu haben. Dass ich mich selbst im Strudel solcher großen Umwälzungen wiederfinden würde, war - trotz mancher Ungewissheiten in der Arbeit im Kontext eines so dynamischen Krisengebietes wie dem Sudan - nicht abzusehen. In den letzten Wochen vor Ende meines Arbeitsvertrages im Sudan wurde es dramatisch: Ich lernte die wahre (?) Identität von Menschen, mit denen ich zu tun hatte, besser kennen - ob Spitzel für die Geheimdienste, Mitstreiter von darfurischen Rebellenorganisationen oder gewaltfreie AktivistInnen der Jugendbewegung Girifna (das bedeutet: "Wir haben es satt"). Menschen aus meinem direkten Umfeld wurden verhaftet, gefoltert, missbraucht. Ich selbst wurde überwacht, bedroht und verleumdet. Ich bemerkte, wie ich mich gerade dadurch mehr mit diesem Kampf um elementare menschliche Rechte verband. So war nach meiner Rückkehr klar, dass ich nicht ruhig bleiben konnte, sondern tun würde, was in meiner Macht steht, um Wege der Solidarität zu finden mit denen, die sich dort mit gewaltfreien Mitteln für Veränderung einsetzen und mit ihrem Leben einstehen. Ich organisierte ein Praktikum in Deutschland für eine sudanesische Freundin und Aktivistin, die akut von Menschenrechtsverletzungen betroffen war. Als die Schreckensnachrichten von Verhaftungen und Folter aus dem Sudan nicht abrissen, versuchten wir gemeinsam von hier aus, weitere gewaltfreie AktivistInnen zu unterstützen und die gewaltfreien Bewegungen in Deutschland bekannter zu machen. Ein Notfall reihte sich an den nächsten - doch ein Aufgeben hätte ja bedeutet, dass die Rechnung derer, die die Menschenrechtsverletzungen als Machtmittel nutzen, aufgegangen wäre. Ich machte weiter und weiter, traf aber eine Abmachung mit mir selbst, dass ich nach dem Ende des Praktikums und der Rückkehr der sudanesischen Freundin eine Schreibpause und Klausur einlegen würde.

Auszeit und Kraftschöpfen im Lebenshaus

Die ersten Tage im Lebenshaus freute ich mich nur daran, ein Zimmer für mich zu haben, einen Tisch mit meinem Laptop darauf, und zu schreiben, schreiben, schreiben, … Ich fühlte mich auf Anhieb wohl, in dem hellen, schön eingerichteten Zimmer, fand in Bad und Küche alles was ich brauchte (inkl. einem "Startpaket" an Nahrungsmitteln), und es gab sogar ein Wohnzimmer für einen gelegentlichen Tapetenwechsel. Katrin, die im Lebenshaus für die "Gästezimmer" zuständig ist, kam ab und zu vorbei, um sicherzugehen, dass alles ok ist und um mich in die Praktikabilitäten des Hauses, Gammertingens und der Umgebung einzuführen: die Waschküche, den neuen Induktionsherd, Einkaufsmöglichkeiten, für mich interessante Bücher aus dem reichhaltigen Fundus von Katrin und Michael, usw. Die schönsten Wege um Gammertingen, zum Eulenloch, den mir wohl bekannten Wacholderheiden, an der Lauchert und im Fehlatal erkundeten wir gemeinsam, teils spazierend, teils joggend, auch mit der Mitbewohnerin des anderen Gästezimmers. Auch Ausflüge an den Bodensee, nach Tübingen, an den Federsee und zu ländlichen Kulturprojekten sind von Gammertingen aus mit Auto oder Bus und Bahn möglich. Später in den vier Wochen, in denen ich eines der beiden Gästezimmer für Menschen in Übergangs- und Krisensituationen bewohnte, gab es auch einige gute Gespräche mit Katrin und Michael. Es war eine Bereicherung, dass sie durch ihre inhaltliche Friedensarbeit Interesse hatten für die Themen, die mich beschäftigten, und die Dynamiken meiner Arbeit verstanden. So veranstalteten wir auch kurzfristig einen Sudan-Abend im Rahmen des "Treff im Lebenshaus", in dem ich von meinen Erfahrungen und Einblicken erzählte und so auch etwas von mir in das Vereinsleben einfließen lassen konnte.

Für mein Buch, sollte sich tatsächlich eine Buchform materialisieren, konnte ich in der Zeit im Lebenshaus wertvolle Grundsteine legen - obwohl es noch längst nicht ausgearbeitet ist. Ich entwickelte zumindest ansatzweise neue Ideen und Zukunftsperspektiven und gewann auch durch das bisschen, was ich von der Lebensgeschichte meiner Mitbewohnerin im Gästebereich mitbekam, wieder mehr Interesse an dem, was in Deutschland geschieht, wo ja - wenn auch auf andere Weise als im Sudan - auch jede(r) sein Päckchen zu tragen hat.

Dass ich im Lebenshaus auf so unkomplizierte und nette Weise "aufschlagen" konnte, hat mich sehr berührt, und ich danke dem Verein und Katrin und Michael ganz herzlich für diese Möglichkeit! Gerade auch RückkehrerInnen aus dem Zivilen Friedensdienst oder anderen FriedensarbeiterInnen, die sich mal eine Auszeit aus den immerwährenden Dringlichkeiten der Friedensarbeit nehmen wollen, kann ich die Möglichkeiten des Lebenshauses bestens empfehlen. Das Lebenshaus ist ein Raum des Empowerment - und manchmal reicht schon ein Raum, Ruhe und gelegentlicher Austausch, um sich ein Stückchen mehr zu ermächtigen, das eigene Leben dafür zu nutzen, weswegen man es eigentlich hat.

PS: Die Erfahrungen im Lebenshaus während meiner Auszeit dort waren erst der Anfang: In zahlreichen Gesprächen danach haben Katrin, Michael und ich inzwischen herauskristallisiert, dass ich ab Juni dort für’s Erste in der Kerngruppe mitleben werde. Weiteres dazu wird berichtet.

 

Veröffentlicht am

06. Juni 2012

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