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Gebt gewaltfreier Veränderung im Sudan eine Chance!

Von Julia Kramer

Der französische Kommentator Gérard Prunier titelte in der Ausgabe der New York Times vom 4. Mai 2012: "In Sudan, Give War a Chance" ("Gebt dem Krieg im Sudan eine Chance"). Damit reiht er sich ein in eine lange Liste zahlloser Analysten und Entscheidungsträger, die penetrant - selbst nach den Aufständen des Arabischen Frühlings - die Option der Veränderung durch gewaltfreie Bewegung im Sudan ignorieren.

Pruniers Artikel bezieht sich auf folgende Szenerie: Bereits vor der Unabhängigkeit des Südsudan am 9. Juli 2011 begannen im "neuen Süden" des "Rest-Sudan" Kämpfe und Vertreibungen: zuerst rückte die Armee im ölreichen und umstrittenen Abyei ein und hält es bis heute besetzt, dann begann die SPLA-Nordder nordsudanesische Ableger der südsudanesischen früheren Rebellenbewegung und jetzigen Regierungspartei SPLA/M, "sudanesische Volksbefreiungsarmee/-bewegung" Kämpfe in den Nubabergen von Südkordofan, wenig später auch in Blue Nile. Die Regierung bombardierte im Gegenzug ganze Landstriche und lässt keine humanitäre Hilfe für die oftmals von ihren Heimatdörfern vertriebenen Zivilisten vor Ort zu.

Die Rebellen der SPLA-Nord führen laut Prunier einen berechtigten Freiheitskampf der marginalisierten Peripherie gegen das machthungrige Zentrum der arabischen Elite und der nicht vertrauenswürdigen Regierung unter Oberst AlBashir in Khartoum. Als die Wurzel der sudanesischen Konflikte sieht er die Marginalisierung der "afrikanischen" Bevölkerungsgruppen unter rassistischen Motiven, durch die "arabischen" Bevölkerungsgruppen. Daher habe auch die Unabhängigkeit des vorwiegend christlichen Südens nicht zum Ende der Konflikte geführt.

Auch wenn die Einteilung in "afrikanisch" und "arabisch" und die entsprechende Beteiligung an Rebellengruppen nicht 1:1 aufgeht, so ist korrekt, dass Marginalisierung und nicht Religion im Zentrum des Konflikts steht. Die Menschen in Südkordofan und Blue Nile sind überwiegend Muslime und kämpften bereits während des Bürgerkriegs mit der SPLA gegen die Zentralregierung in Khartoum. Sie hofften auf den "New Sudan", einen freien gesamten Sudan, die Vision des Dr. John Garang, der 2005 als SPLA/M-Führer das Allgemeine Friedensabkommen unterzeichnete und kurz darauf bei einem ungeklärten Hubschrauberabsturz ums Leben kam. Sie fühlen sich durch die Unabhängigkeit Südsudans - wie viele andere NordsudanesInnen auch - mit der Zentralregierung "alleingelassen", da ein wichtiges politisches Gegengewicht fehlt.

Doch können die Kämpfe im Süden des Nordsudan tatsächlich das Dilemma des Landes lösen? Anders als Prunier beschreibt, opfern die Kämpfer der SPLA-Nord nicht nur sich selbst, sondern nehmen auch (wohl als das vermeintlich kleinere oder kurzfristigere Übel) humanitäre Notlagen, Vertreibung und Ermordung der dortigen Zivilbevölkerung durch die nordsudanesische Armee in Kauf. Dass sie mit militärischer Macht das ferne Khartoum erreichen werden, ist unwahrscheinlich. Dass ihre Region auf lange Sicht instabil und marginalisiert bleibt, zum Spielball der Regierungen von Nord- und Südsudan wird und militärisch-hierarchische Strukturen auch in den eigenen ethnischen Gruppen befestigt werden, ist meines Erachtens wahrscheinlicher. Damit entsteht auch eine weitere Marginalisierung von Randgruppen und Frauen.

Die Frage der Entscheidungen der Führer der SPLA-Nord und der dortigen Bevölkerung in ihrer Notlage und ihrem Freiheitskampf ist eine Sache, die Position eines Prunier als westlichem Kommentator eine andere. Warum stellt er die Situation, wie viele andere Analysten und Politiker, so dar, als ob es im Nordsudan keine gewaltfreie Bewegung eines Arabischen Frühlings gäbe? Selbst wenn diese Bewegung noch im Aufbau begriffen ist, so wird doch nicht in Betracht gezogen, dass es auch alternative, gewaltfreie Wege zu einem Wandel in Khartoum geben könnte. Seit Januar 2011 gab es in allen größeren Städten Nordsudans Demonstrationen gegen Menschenrechtsverletzungen, gegen Preissteigerungen und für einen Regimewechsel.

Die Bewegung ist noch jünger als die in Ägypten. Sie hat, anders als die Bewegung gegen Mubarak, mit einer repressiveren Diktatur und einer Nachkriegssituation zu kämpfen, in der sie sich langsam formiert, Erfahrungen macht und aus diesen lernt. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, in dem die durch die Geschehnisse in Ägypten und Tunesien alarmierte Regierung und die AktivistInnen gleichermaßen versuchen, von den dortigen Bewegungen zu lernen, so zum Beispiel bei der Nutzung bzw. Überwachung des Internet. Bashir rief gar seine Anhänger zum "Cyber-Jihad" gegen seine Gegner auf. Dennoch - die Universitäten brodeln, Gruppen wie Girifna ("Wir haben es satt"), Sharara ("Funke") und andere brechen zum Beispiel durch Blitz-Reden an öffentlichen Plätzen, kreative Aktionen und Internet-Clips die Atmosphäre der Angst in der sudanesischen Gesellschaft auf. Ihre oft studentischen Mitglieder sind sicherlich nicht die Ärmsten der Armen, aber sie sind von "afrikanischen" und "arabischen" Ethnien bunt gemischt, haben Zugang zu den Machtzentren und den Peripherien und stellen damit ein wichtiges Bindeglied dar, das soziale Kohäsion und Transformation mit den Vorzeichen eines gerechten Friedens in der sudanesischen Gesellschaft befördern könnte.

Dass AlBashir ein Interesse daran hat, nach außen hin die Existenz einer solchen Bewegung zu leugnen, ist logisch. Aber was ist das Interesse eines Prunier? Wird hier anhand der Menschen im südlichen Nordsudan argumentativ eine stärkere militärische Unterstützung des Südsudan oder eine NATO-Intervention à la Libyen vorbereitet? Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Pruniers Artikel war der Konflikt im südlichen Nordsudan längst nicht mehr die einzige abgrenzbare militärische Dynamik in der Region: Der Konflikt um Ölquellen (nun hauptsächlich im Südsudan) und die Ölpipeline (durch den Nordsudan ans Rote Meer) ist längst militärisch eskaliert und steht am Rande eines vollen Krieges zwischen zwei Staaten.

Und der Westen ist hier durchaus nicht ohne Eigeninteresse: Bereits die Unabhängigkeit Südsudans wurde auch deswegen unterstützt, weil man sich Zugang zum dortigen Öl erhoffte. Nordsudan exportiert(e) das Öl nach Fernost, vor allem nach China und Malaysia. Prompt schrieb der ehemalige US-Sondergesandte für Sudan, Andrew Natsios, am 11. Mai 2012 in der Washington Post einen Artikel unter dem Titel: "Um den Krieg gegen den Südsudan zu stoppen, sollten die USA Waffen schicken". Dies tun die USA, wie er selbst in dem Artikel schreibt, jedoch bereits seit 2006 (also noch vor der Unabhängigkeit!), mit über 30 Millionen Dollar jährlich an die südsudanesische Armee (SPLA).

Auch Deutschland ist an dieser komplexen und hochdynamischen Gemengelage nicht unbeteiligt: Während das Programm des Zivilen Friedensdienstes des Deutschen Entwicklungsdienstes Ende 2010 in Nord- und Südsudan geschlossen wurde, beteiligt sich Deutschland mit je bis zu 50 Blauhelmen an der UN-Mission im Südsudan (UNMISS) und der Hybrid-Mission von UN und Afrikanischer Union in Darfur (UNAMID). Darüber hinaus wird im Rahmen der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit und in Zusammenarbeit mit den Blauhelmen im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit im Südsudan die Polizeiausbildung gefördert. Indes bekundet Deutschland Interesse, bei der Finanzierung einer im Januar zwischen Kenia und Südsudan beschlossenen Ölpipeline von den südsudanesischen Ölfeldern bis zum kenianischen Küstenort Lamu (UNESCO-Weltkulturerbe wegen seiner kulturellen und ökologischen Vielfalt) unterstützend unter die Arme greifen zu wollen.

Die sudanesische Bevölkerung hat bereits zwei Mal, 1964 und 1985, Militärdiktaturen durch gewaltfreie Revolutionen gestürzt. Warum sollte sie es nicht ein drittes Mal tun? Und warum sollte sie nicht Wege finden, ein stabileres, partizipatorisches System aufzubauen, als in den kurzen Phasen der Demokratie, die auf die letzten beiden Revolutionen folgten? Auch die Französische Revolution hatte Rückschläge und doch überdauerten ihre Ideale, bis sie Verwirklichung fanden. Die Menschen im Sudan haben das Recht, ihren eigenen Weg zu finden. Dazu brauchen sie uns wenig, aber unsere Wahrnehmung der dortigen Entwicklungen und Bewegungen - auch der gewaltfreien! - und echte Solidarität kann dennoch nützlich sein.

Analysten und Entscheidungsträger wie Prunier und Natsios verpassen nicht nur ein demokratisches Moment des Zeitgeistes, wenn sie den erstarkenden Wunsch in der Bevölkerung nach gewaltfreier Transformation und die bestehenden gewaltfreien Bewegungen ignorieren, sondern sie arbeiten damit auch direkt gegen ein wirkliches Empowerment der zivilen Bevölkerung.

Fußnoten

Veröffentlicht am

02. Juni 2012

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