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Mali: Gaddafis postumer Schatten

Das mittlere Armeekorps hat in Mali die Macht an sich gerissen, weil Präsident Touré zu wenig gegen den Vormarsch der Tuareg-Rebellen im Norden des Landes unternahm

Von Sabine Kebir

Muammar al-Gaddafi liebte Mali. Legendär waren seine Besuche in der Hauptstadt Bamako, wo er mit dicken Koffern voller Geld anreiste, das er nicht nur an die Regierung verteilte, sondern auch an das Volk, das ihm in den Straßen zujubelte. Versorgt wurden auch die malinesischen Tuareg, die mit der schwarzafrikanischen und maurischen Bevölkerung Malis seit archaischen Zeiten in steter Rivalität ums nackte Überleben stehen. Nachdem mit der Unabhängigkeit von 1960 die Regierung aus der schwarzafrikanischen Mehrheit kam, fühlten sich Nomadenvölker wie die Tuareg strukturell benachteiligt. Einzig Libyen schien ihnen Perspektiven zu bieten. Nicht nur dort beheimatete, auch nigerianische und malinesische Tuareg konnten die libysche Staatsbürgerschaft erwerben und als Eliteeinheiten in der Gaddafi-Armee ein professionelles Training erhalten.

Zunächst hatte der Revolutionsführer allen Tuareg des Sahel einen eigenen Staat versprochen. Der sollte das riesige Gebiet umfassen, das sie einst als freie Nomaden unbehindert durchwandert hatten: Teile von Libyen, Mali, Niger, Nigeria und Algerien. Eine Region, in der Bodenschätze, darunter Öl, zwar gefunden, aber noch kaum gehoben wurden. Als sich freilich der Tuareg-Staat nicht durchsetzen ließ, änderte Gaddafi seine Vision. Wichtig für die Tuareg wäre es, insistierte er, dass die Grenzen an sich fallen. Derartiges könne auch durch die Bildung einer einzigen Nordafrikanischen Union bewirkt werden. Doch blieb dieses Gebilde eine Utopie, die niemanden störte, solange Gaddafi die Tuareg nicht allein unterstützte und ethnische Kontroversen entschärfte. Diese fragile Balance ist nun zerbrochen.

Schneidig und bewaffnet

Als sich Gaddafis Sturz abzeichnete, ahnten viele Malinesen bereits, dass über ihrem Land dunkle Wolken aufzogen. Seit Beginn des Anti-Gaddafi-Aufstandes im Februar 2011 kämpften nicht nur die in den libyschen Streitkräften dienenden Tuareg, sondern auch frisch angeworbene Tuareg-Söldner aus Mali und Niger auf Seiten des Staatschefs. Nach dem Fall von Tripolis Ende August 2011 begannen die Tuareg, die vor Syrte liegende Front in Richtung Niger zu verlassen. Von dort kehrten dann um die 2.000 Elitekämpfer - bestens bewaffnet und in schneidigen Militärfahrzeugen - kolonnenweise nach Mali zurück. Schon damals hatte Mamadou Diallo, Universitätsprofessor in Bamako der Nachrichtenagentur AFP erklärt: "Was werden diese Kämpfer tun? Sie haben Fahrzeuge, Waffen, militärisches Know How - das ist gefährlich." Man hoffte, dass die Regierung Malis Emissäre zum Nationalen Übergangsrat in Libyen schicken würde, um zu erreichen, dass die Tuareg nicht bestraft, sondern ins künftige libysche Heer geholt würden. Professor Diallo wusste: "Niemand kann sie hindern, in ihr Ursprungsland zurückzukehren. Aber man kann auch nicht zulassen, dass sie nun die Sahara kontrollieren."

Genau das haben die Heimkehrer vor. Sie gründeten das Mouvement National pour la Libération de l`Azawad (MNLA), um den gesamten Norden Malis, ein gutes Drittel des Landes, zu erobern. Im Februar schlugen sie los. Die MNLA überrannte die malinesische Armee und nahm rasch die Städte entlang der Straße, die von der algerischen Grenze bis Bamako führt. Als durchsickerte, dass bei diesem Vormarsch über hundert Regierungssoldaten getötet wurden, kam es in Bamako zu Pogromen gegen dort lebende Tuareg.

Noch soll sich MNLA-Führer Mohamed Agh Najem in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, aufhalten und abwarten. Um sich herum 70 bis 80 hochrangige Überläufer aus der regulären malinesischen Armee, die in Selbstauflösung zu geraten scheint. Da nimmt es nicht Wunder, dass Capitaine Amadou Sanogo, ein junger Militär mittleren Ranges, am 22. März einen Putsch anführt und Präsident Amadou Toumani Touré absetzt, weil der sich als unfähig erwiesen hat, die Nordregion zu verteidigen. Dort will Sanogo den Staat Mali retten, nicht durch weiteres Blutvergießen, sondern Gespräche mit der MNLA.

Noch ist unklar, ob der Capitaine die Mehrheit der Armee hinter sich bringen kann. Einstweilen sucht er nach Rückhalt bei der malinesischen Zivilgesellschaft. Tatsächlich wollen ihm zehn Parteien, darunter die Adema, die größte politische Formation des Landes, folgen. Diese Annäherung zeigt, dass es in Mali tatsächlich lebensfähige demokratische Strukturen gibt, auch wenn die bislang nicht ausreichen, überkommene Konflikte zwischen den Ethnien einzudämmen. Es scheint aber, dass die Bereitschaft wächst, die Tuareg nicht länger nur als Objekte, sondern auch als Subjekte des politischen Lebens anzusehen. Im Übrigen will die MNLA gleichfalls verhandeln, allerdings nur mit einer legitimierten Regierung, die "von den großen Mächten" im Ausland anerkannt ist. Da auch Capitaine Sanogo Neuwahlen anstrebt, die schon im April stattfinden sollen, könnte sich daraus eine Verständigung ergeben.

Al-Qaida und Saudi-Arabien

Doch schon droht neues Ungemach. Bevor die motorisierten Kolonnen aus Libyen kommend im Norden Malis vorrückten, gab es dort kein Machtvakuum. Schließlich behaupten sich in der Sahara seit Jahren islamistische Führer wie Ag Ghaly - in den neunziger Jahren Anführer einer Tuareg-Rebellion und seither die inoffizielle Autorität der Region. Ag Ghaly kooperiert mit Drogenkartellen, die Kokain aus Lateinamerika bis Kairo schmuggeln, und sieht sich als Teil des Al-Qaida-Netzwerks. Mehrfach war er Unterhändler, wenn es galt, westliche Geiseln zu befreien.

Inzwischen hat die von Ag Ghaly geführte Gruppe Ançar Eddine die bislang von der MNLA gehaltene Stadt Kidal eingenommen und will dort umgehend die Scharia einführen. Es gilt als sicher, dass damit neue Fronten und weiteres Blutvergießen unausweichlich sind.

Der Westen hatte sich einen Dominoeffekt der Demokratisierung von den arabischen Revolutionen erhofft. Zu beobachten ist das Gegenteil. Sei es durch Wahlen, sei es durch Aufstände wie in Syrien und jetzt in Mali - überall sind fundamentalistische Kader auf dem Vormarsch. In der Sahara gewinnen sie - darüber sollte sich niemand Illusionen machen - ihre Vitalität aus einer Mischung von Eigeninitiative und Beistand aus Saudi-Arabien. Für das Regime in Riad bietet der arabische Umbruch eine Gelegenheit, seine reaktionäre Hegemonie ungeheuer auszuweiten. Dass der Westen darüber schamvoll schweigt beziehungsweise auch noch mitspielt, zeigt, wie sehr er sich von seinem Hauptöllieferanten abhängig gemacht hat. Ewig kann die saudische Karte jedoch nicht gespielt werden. Im schmerzvollen Nebeneinander von Revolution und Restauration werden sich alle Beteiligten verändern.

Sabine Kebir hat jüngst die Sahara bereist. Siehe Dattelpalmen im Trichter .

Quelle: der FREITAG vom 29.03.2012. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

01. April 2012

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