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Englisch statt Arabisch

Die Bundesregierung begrüßt die am Samstag offiziell vollzogene Abspaltung des Südsudan und kündigt eine enge Kooperation mit dem neuen Staat an. Deutschland werde die Regierung in Juba auch weiterhin beim Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen unterstützen, teilen Kanzlerin und Außenminister mit.

Die Bundesrepublik trägt bereits seit den 1990er Jahren maßgeblich dazu bei, dass das rohstoffreiche Gebiet sich von Khartum lösen und die Sezession vorbereiten konnte. Zuvor hatte Bonn jahrzehntelang eine enge Kooperation mit der sudanesischen Zentralregierung unterhalten, die als Partner im Kalten Krieg gegen den Einfluss der realsozialistischen Staaten in der arabischen Welt und in Ostafrika diente.

Für seine Loyalität wurde Khartum seit Ende der 1950er Jahre mit intensiver Polizei- und Militärhilfe belohnt; die Bundesrepublik lieferte Schusswaffen und schweres Kriegsgerät, das im Bürgerkrieg gegen die südsudanesischen Sezessionisten genutzt wurde.

Erst das Ende des Kalten Krieges sowie die in den 1990er Jahren beginnende Auseinandersetzung mit der arabischen Welt weckten in Bonn und Washington ein geostrategisches Interesse an der Schwächung des früheren Verbündeten Khartum. Jüngstes Ergebnis ist die vom Westen forcierte Abspaltung des Südsudan.

Durchgepeitscht

Die Bundesregierung, die die Abspaltung des Südsudan bereits seit den 1990er Jahren maßgeblich forciert hats. dazu Der Nutzen der Sezession , Nächstes Jahr ein neuer Staat und Vom Nutzen der Sezession ., hat in der jüngsten Zeit ihre Unterstützung für Juba deutlich verstärkt. Bereits am 15. Juni hat das Bundeskabinett beschlossen, die Sezession völkerrechtlich anzuerkennen. Diesen Schritt hat der Bundespräsident noch am Samstag vollzogen und damit die sofortige Aufnahme diplomatischer Beziehungen ermöglicht.

Ende Juni hat der Berliner Außenminister den Sudan bereist und mit Khartum wie mit Juba letzte Gespräche geführt. Kanzlerin und Außenminister haben Anfang letzter Woche den Vorsitzenden der Kommission der Afrikanischen Union, Jean Ping, empfangen und mit ihm ebenfalls über die Abspaltung konferiert.

In einem Eilverfahren hat die Regierung den Beschluss durch das Parlament gepeitscht, bis zu 50 deutsche Soldaten im Rahmen der neuen United Nations Mission in the Republic of South Sudan (UNMISS) einzusetzen. Kanzlerin und Außenminister erklärten am Samstag, die Bundesregierung werde auch künftig am Aufbau staatlicher Strukturen im Südsudan mitwirken. Damit ist schon seit Jahren die bundeseigene Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) befasst.s. dazu Staatsaufbau .

Komplett neu ausgerüstet

Den jahrzehntelangen Bürgerkrieg im Sudan, der der Abspaltung des Südsudan vorausging, hat die Bundesrepublik einst stark befeuert - allerdings auf Seiten Khartums. Bonn hatte schon unmittelbar nach der Unabhängigkeit des Sudan im Jahr 1956 begonnen, Khartum an sich zu binden, um es im Kalten Krieg auf der Seite des Westens zu verankern. Die Zusammenarbeit wurde nach einem Putsch des Oberbefehlshabers der sudanesischen Streitkräfte, Ibrahim Abbud, Ende 1958 sogar noch verstärkt.

Im Dezember 1958 schloss die staatskontrollierte bundesdeutsche Fritz Werner GmbH einen Vertrag über den Bau einer Munitionsfabrik, die 1960 in Sheggera unmittelbar südlich der Hauptstadt mit der Produktion begann. Das Bundeskriminalamt bildete sudanesische Polizisten, der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst sudanesische Geheimdienstler aus. Ende 1961 genehmigte Bonn Khartum militärische Ausrüstungshilfe im Wert von 120 Millionen DM - weit mehr als jedem anderen afrikanischen oder arabischen Land.

"In Verbindung mit großzügigen Ausbildungsprogrammen wurde die sudanesische Armee komplett neu ausgerüstet und dadurch erst in die Lage versetzt, eine gewaltsame Lösung des Südsudankonflikts anzustreben", heißt es in einer Analyse des Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom.Erich Schmidt-Eenboom: Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten. Geheime Hintergründe und Fakten, München 2007. Schmidt-Eenboom stützt sich bei seinen Ausführungen auf eine unveröffentlichte Arbeit des Sudanspezialisten Roman Deckert.

Damals zählte der BND sogar den sudanesischen Innenminister zu seinen unmittelbaren Kontaktpersonen.

Munitionsfabrik

Geheimdienstkooperation und Rüstungsbeihilfen stabilisierten die bundesdeutsch-sudanesischen Kontakte sogar, als Khartum 1965 seine diplomatischen Beziehungen zu Bonn abbrach und 1969 mit der DDR zu kooperieren begann. Trotz offizieller Spannungen durfte die Fritz Werner GmbH der Munitionsfabrik in Sheggera in hohem Umfang Vorprodukte liefern; ebenfalls leitete weiterhin ein Team aus der Bundesrepublik die dortige Produktion.

Auch seine Polizeihilfe führte Bonn fort - gänzlich ungeachtet der damaligen Kriegseskalation im Süden des Landes. In der Zeit von 1955 bis 1972 kamen im sudanesischen Bürgerkrieg bis zu 700.000 Menschen zu Tode, nicht zuletzt durch bundesdeutsche Munition. Zeitweise heizten Bonner Diplomaten die Lage noch weiter an, indem sie islamische Milizen unterstützten, um an Moskau orientierte Kräfte in der sudanesischen Hauptstadt zu schwächen. Mitte der 1960er Jahre hatten sie damit Erfolg.Erich Schmidt-Eenboom: Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten. Geheime Hintergründe und Fakten, München 2007. Schmidt-Eenboom stützt sich bei seinen Ausführungen auf eine unveröffentlichte Arbeit des Sudanspezialisten Roman Deckert.

Sturmgewehre

Die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen durch Khartum im Jahr 1971 honorierte die Bundesrepublik mit einer neuen Aufstockung der Polizei- und Militärkooperation. Bonn lieferte der Polizei des Sudan Fahrzeuge und Nachrichtentechnik und führte mit Hilfe des BKA und mehrerer Landeskriminalämter Ausbildungsprogramme durch.

Die sudanesischen Streitkräfte erhielten nicht nur G3-Sturmgewehre, sondern auch Maschinenpistolen und Maschinengewehre der süddeutschen Waffenschmiede Heckler und Koch sowie Rheinmetall-Maschinengewehre des Typs MG3. 1979 und 1980 lieferte MBB 20 Hubschrauber an die sudanesische Polizei, von denen einige später zu Gunships für die Streitkräfte aufgerüstet wurden. Zudem gelangten gepanzerte Truppentransporter und weitere G3-Sturmgewehre, die in Saudi-Arabien mit deutscher Lizenz gefertigt wurden, in den Sudan.

US-Behörden bezifferten den Wert der allein zwischen 1976 und 1985 getätigten Ausfuhren bundesdeutschen Kriegsgeräts auf 480 Millionen US-Dollar. Die Bonner Waffenhilfe für Khartum wurde auch weitergeführt, als 1983 der Bürgerkrieg erneut begann. Eingestellt wurde sie erst nach dem Ende der Systemkonfrontation im Jahr 1993.Erich Schmidt-Eenboom: Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten. Geheime Hintergründe und Fakten, München 2007. Schmidt-Eenboom stützt sich bei seinen Ausführungen auf eine unveröffentlichte Arbeit des Sudanspezialisten Roman Deckert. Ursache war allerdings nicht die Gewalt in dem Land, sondern die Neuorientierung der westlichen Außenpolitik, die sich gegen die arabische Welt zu wenden begann.

Sprachenpolitik

Mit der Sezession des schwarzafrikanischen Südens von der arabisch dominierten Zentralregierung in Khartum hat diese Neuorientierung im Sudan nun ihren Gipfelpunkt erreicht. In den kommenden Jahren wollen Berlin und Washington sie unumkehrbar machen. Das soll durch die Einbindung des Südsudan in die East African Community (EAC) geschehen, der aktuell Kenia, Uganda, Tansania, Ruanda und Burundi angehören.

Geplant sind Infrastrukturprojekte, die Juba an die südlichen Nachbarländer Kenia und Uganda anbinden.s. dazu Die Bahn zur Unabhängigkeit (II) und The Day After (II) . Symptomatisch für die geostrategisch motivierte Operation ist, dass im Südsudan Englisch als Amtssprache fungieren soll. Demgegenüber wird das eigentlich stärker verbreitete Arabisch zurückgedrängt; so wird die Nationalhymne in englischer Sprache gesungen, also in der Sprache der einstigen europäischen Kolonialmacht.

Diese Art der Sprachenpolitik erinnert an Ruanda. Dort wird Französisch, das bislang die neben Kinyarwanda dominierende Sprache war, systematisch durch Englisch ersetzt, das seit 2010 an Schulen und Universitäten verwendet werden muss. Hintergrund ist hier, dass Ruanda seit 1994 nicht mehr dem Einflussgebiet Frankreichs zuzurechnen ist, sondern dem deutsch-amerikanischen; das wurde 2007 durch Ruandas Beitritt zur EAC dokumentiert und soll nun durch die Sprache für alle Zukunft gefestigt werden.

Merkel in Kenia

In den kommenden Wochen und Monaten stehen jedoch vor allem praktische Schritte an, die aus dem verarmten, von Analphabetismus, mangelnder Infrastruktur und anhaltender Gewalt geprägten Südsudan ein halbwegs überlebensfähiges Gebilde machen sollen. Auch hierbei soll die EAC, geht es nach der Bundesregierung, tatkräftig helfen.

Am heutigen Montag bricht die deutsche Kanzlerin nach Kenia auf, wo sie insbesondere über den Südsudan verhandeln wird. Unternehmer aus Kenia sind dort längst aktiv und hoffen auf umfangreiche Geschäfte, die bereits die Bindungen zwischen Juba und den EAC-Staaten stärken können.

Mittelfristig strebt Juba den Bau einer Erdölpipeline nach Kenia an, um seine umfangreichen Ressourcen gänzlich dem Einfluss Khartums zu entziehen, das derzeit noch den Transportkorridor nach Port Sudan kontrolliert.

Damit wäre die Entmachtung des alten arabischen Verbündeten Bonns aus der Zeit der Systemkonfrontation abgeschlossen.

Quelle: www.german-foreign-policy.com vom 11.07.2011.

Fußnoten

Veröffentlicht am

12. Juli 2011

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