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Irak/USA: Blinder Blick

Dieser Krieg begann mit einer Lüge, und er endet mit einer Lüge, wenn US-Präsident Obama erklärt, seine Armee verlasse Ende 2011 ein doch halbwegs stabiles Land

Von Lutz Herden

Barack Obamas Abschied vom Irak hat nichts von Nachdenklichkeit, von Reue oder aufrichtigem Bedauern darüber, was den Irakern und ihrem Land angetan wurde, seit am 20. März 2003 die ersten Bomben auf Bagdad fielen. Es gibt nicht einmal den Hauch eines Versuchs, die 2003 proklamierten Ziele mit der Bilanz dieses Krieges zu vergleichen. Wie viele Menschen in Bagdad, in Mosul, in Erbil, in Falludscha, in Kirkuk, in Basra und wo auch immer zwischen Euphrat und Tigris könnten noch leben, wenn es diesen 20. März 2003, die acht Jahre, acht Monate und 27 Tage danach nicht gegeben hätte?

George W. Bush - Obamas Vorgänger - hatte kurz nach Beginn der Kanonade von Bagdad erklärt, alle Araber würden sich eines nicht fernen Tages danach sehnen, so viele Freiheiten wie im Irak zu haben. Schon bald konnte man sich keinen einzigen Araber vorstellen, der sich danach sehnte, mit einem Iraker zu tauschen, um in den Genuss dieser Freiheiten zu kommen. Der Freiheit des Terrors eines heraufziehenden Bürgerkrieges, des Terrors in den Straßen von Bagdad und anderswo, des Terrors der Folter in Abu Ghraib und anderswo. Man konnte sich erst recht niemanden vorstellen, der sich danach sehnte, den Stachel der Trauer über ein zerrissenes und vom Krieg gepfähltes Land in seiner Seele zu spüren. Das Verheerende dieser Bilanz sind nicht allein die Tatsachen. Verheerender für die zivilisatorische Substanz des 21. Jahrhunderts ist, dass sie von den Amerikanern nicht gezogen wird, weil sie so verheerend ausfällt.

Als die USA und ihre willigen Koalitionäre im Irak einmarschierten, geschah das ohne Kriegserklärung und damit klar völkerrechtswidrig. Was sagt Obama vor den heimgekehrten Soldaten dazu? Kein Wort. Wenn nicht vom US-Präsidenten, so hätte man doch vom amerikanischen Friedensnobelpreisträger im Präsidentenamt erwarten dürfen, das ihm fern aller Opportunität an der Schwelle zum Wahljahr soviel moralische Integrität zu Gebote steht, diesen Rechtsbruch beim Namen zu nennen. Immerhin handelten im Frühjahr 2003 weder die USA noch ihre willigen Verbündeten aus Notwehr. Sie wurden nicht durch Saddam Hussein mit Massenvernichtungswaffen bedroht, von denen man heute weiß, dass sie genauso als Phantom durch den medialen Äther kreisten wie die kurz vor der Intervention behauptete Verstrickung des Diktators in die Netzwerke von Al-Qaida.

Die Angreifer handelten, weil sie ein Exempel statuieren wollten. Ihnen war die Vergewisserung nicht unlieb, dass man in der Welt von heute so handeln kann - und darf. Die Interessen einer Weltmacht beanspruchen eine größere Verbindlichkeit als das Völkerrecht, das gefälligst andere binden soll. Warum hat solcherart Anmaßung gepaart mit krimineller Energie bisher keinen Internationalen Strafgerichtshof zum Handeln getrieben, auch wenn die USA derartiger Rechtsprechung die Anerkennung versagen? Wie viele afrikanische Autokraten werden inzwischen wegen ihrer Verantwortung für Bürgerkriege, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wegen der Anstiftung zu Folter, Mord und Massenvergewaltigungen oder der Rekrutierung von Kindersoldaten angeklagt? Wem im Westen wurde auch nur angedeutet, für den Kosovo-Krieg 1999, für Afghanistan seit 2001 oder Irak seit 2003 in ähnlicher Weise belangt zu werden? Statt dessen wird geteiltes Recht für eine geteilte Welt gesprochen als ob alles andere den Zusammenbruch der Zivilisation nach sich ziehen würde.

Wenn die jetzige Administration in Washington zum Abzug blasen musste, dann doch nicht aus der Erkenntnis heraus, es sei höchste Zeit, sich aus der Verstrickung in derartige Kapitalverbrechen zu lösen. Es wird ein Wahlversprechen von 2008 eingelöst, das gegeben wurde, weil eine Mehrheit der US-Gesellschaft die Überzeugung mittrug: Für diesen Feldzug zahlen wir einen viel zu hohen menschlichen und materiellen Preis - inzwischen beziffert mit fast 4.500 Gefallenen und etwa zwei Billionen Dollar Kriegskosten. Es war nicht die Einsicht in das Verderbliche dieser aggressiven Politik, die zur Demission zwang, sondern die Erfahrung ihrer schwer kalkulierbaren Risiken.

Quelle: der FREITAG   vom 19.12.2011. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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Veröffentlicht am

21. Dezember 2011

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