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Motivationspillen für die Volksseele

In einer offiziösen deutschen Publikation werden Mittel und Methoden zur Erzeugung von Kriegsbereitschaft in der Bevölkerung diskutiert. Die Autoren, die hochrangige Funktionen in Staatsverwaltung, Bundeswehr, Wissenschaft und Medien bekleiden, äußern unter anderem die Auffassung, Bilder von "blutrünstigen Diktatoren" oder "verhungernden Kindern" dienten als "moralisches Schwungrad für einen militärischen Einsatz". Auch die Fernsehaufnahmen vom Einsturz des World Trade Center in New York am 11. September 2001 hätten wie "Motivationspillen" für den Krieg gegen Afghanistan gewirkt. Dabei unterscheiden die Autoren klar zwischen Massenpropaganda für den "Mann auf der Straße" und einer ebenfalls von ihnen angemahnten "sicherheitspolitischen Debatte". Letztere sei eine "Domäne der Eliten", heißt es: Insbesondere die "außen- und sicherheitspolitisch ernst zu nehmenden Bundestagsfraktionen" müssten lernen, "Entscheidungen ohne falsche Rücksicht auf die öffentliche Akzeptanz zu treffen".

Bewährungsproben einer Nation

In einer unlängst erschienenen Publikation des Berliner Verlages Duncker und Humblot werden Mittel und Methoden zur Erzeugung von Kriegsbereitschaft diskutiert. Das Buch trägt den Titel "Bewährungsproben einer Nation" und befasst sich mit der "Entsendung der Bundeswehr ins Ausland". Die Autoren bekleiden hochrangige Funktionen in Staatsverwaltung, Militär, Wissenschaft und Medien; zu ihnen zählen der ZDF-Redakteur Mathis Feldhoff und der NATO-Mitarbeiter Michael Rühle ebenso wie Vizeadmiral Ulrich Weisser und Claus Kreß, Professor für Völkerrecht an der Universität Köln. Insbesondere der Journalist Feldhoff entwickelt in seinem Beitrag eine ausgefeilte Feindbildpropaganda: "Verhungernde Kinder, marodierende Banden, blutrünstige Diktatoren, das sind die Bilder, die als moralisches Schwungrad für einen militärischen Einsatz dienen können. Sie wirken auf die Volksseele".Mathis Feldhoff: Die Medien, die Politik und der Krieg. In: Christoph Schwegmann (Hg.): Bewährungsproben einer Nation. Die Entsendung der Bundeswehr ins Ausland. Berlin 2011.

Vorbereitende Berichterstattung

Wie Feldhoff in seinem Beitrag weiter ausführt, bedürften nicht zuletzt die aktuellen Kriegsoperationen der Bundeswehr einer "vorbereitende(n) Berichterstattung". Zum Beleg verweist er auf die Medienreporte über die Anschläge vom 11. September 2001 in New York: "2001 wirkten die tausendfach wiederholten Fernsehbilder vom Einsturz der Twin Towers wie Motivationspillen für die Bereitschaft der westlichen Gesellschaften, ihre Regierungen beim Feldzug in Afghanistan zu unterstützen." Heute indes verschwimme die "Zuordnung von ‘Gut und Böse’" bei der medialen Wahrnehmung des Afghanistan-Krieges, moniert Feldhoff: "Nur wenige Beiträge wie der Bericht des Time-Magazins über eine junge Afghanin, der Peiniger die Nase abschnitten, geben eine Vorstellung davon, dass ein zu schneller Abzug der NATO für viele Afghanen (…) in einer humanitären Katastrophe enden könnte."Mathis Feldhoff: Die Medien, die Politik und der Krieg. In: Christoph Schwegmann (Hg.): Bewährungsproben einer Nation. Die Entsendung der Bundeswehr ins Ausland. Berlin 2011.

Gerechter Krieg

Laut Feldhoff verlangt die deutsche Bevölkerung "klare Argumente dafür, dass ein Auslandseinsatz (…) moralisch gut begründet ist": "Das Volk will den gerechten Krieg oder keinen." Demgegenüber sei eine Berichterstattung, die auf klare Schuldzuweisungen und Feindbilder verzichte, auch für die in Afghanistan eingesetzten deutschen Soldaten von Nachteil, erklärt der ZDF-Redakteur - schließlich handele es sich bei den Massenmedien um ein zentrales "Mittel, um zu bewirken, dass das ‘freundliche Desinteresse’ an der Heimatfront durch Respekt und Anerkennung abgelöst wird".Mathis Feldhoff: Die Medien, die Politik und der Krieg. In: Christoph Schwegmann (Hg.): Bewährungsproben einer Nation. Die Entsendung der Bundeswehr ins Ausland. Berlin 2011. Feldhoff selbst hat diese Auffassung bereits mehrfach in die Tat umgesetzt: Zuletzt porträtierte er den ehemaligen Chef der deutschen Besatzungstruppen im afghanischen Kunduz, Oberst Georg Klein, als "Menschen mit hohen ethischen Maßstäben" (german-foreign-policy.com berichteteSiehe dazu Im Sinne der Soldaten .). Klein ist verantwortlich für das Bombardement zweier von afghanischen Aufständischen geraubter Tanklaster, bei dem mehr als hundert unbeteiligte Zivilisten zu Tode kamen.

Falsche Rücksicht auf Akzeptanz

Während sich der Fernsehjournalist Feldhoff in seinem Beitrag mit massenmedial zu vermittelnder Kriegspropaganda befasst, widmet sich ein anderer Autor des Bandes der Lancierung einer "sicherheitspolitische(n) Debatte". Diese müsse "lang dauernde Stabilisierungsmissionen" und "Kampfeinsätze" wie in Afghanistan "als unmittelbar relevant für die eigene nationale Sicherheit (…) vermitteln", erklärt Michael Rühle, Leiter des "Referats für Energiesicherheit" bei der NATO. Die "Zielgruppe" des zu entwickelnden Diskurses sei dabei allerdings "nicht in erster Linie der ‘Mann auf der Straße’": "Ungeachtet von Meinungsumfragen war und bleibt Sicherheitspolitik eine Domäne der Eliten." Gefordert ist laut Rühle "ein sicherheitspolitisches Selbstbewusstsein der deutschen politischen Klasse, das gefestigt genug ist, um wichtige Entscheidungen parteiunabhängig und ohne falsche Rücksicht auf die öffentliche Akzeptanz zu treffen". Konkret geht es dem NATO-Bürokraten um das "Einverständnis, Waffengewalt umfassender einzusetzen, als dies die überkommenen Vorstellungen von Selbstverteidigung nahe legen" - etwa zum "Schutz kritischer Energie-Infrastruktur".Michael Rühle: In was für einer Welt leben wir? Sicherheitspolitische Folgerungen aus einer globalisierten Welt. In: Schwegmann (Hg.): Bewährungsproben einer Nation. Berlin 2011.

Keine Schuldkomplexe!

Der Wunsch nach einer entsprechenden militärpolitischen "Diskussionskultur" wird auch von anderen Autoren des Buches geäußert. Dass eine solche bislang nicht existiere, leiten sie aus der jüngsten deutschen Vergangenheit ab: "Deutschland ist zu einer realistischen Bedrohungswahrnehmung kaum in der Lage, weil es die größte Bedrohung nach 1945 in sich selbst sah", meint etwa Vizeadmiral a. D. Ulrich Weisser. Seiner Ansicht nach verstellt das "Denken in Schuldkomplexen" den Blick für mögliche "Gefahren" ebenso wie für die "Chance", als "gestaltende Kraft" in Europa die "Führung zu übernehmen".Ulrich Weisser: Die Rolle Deutschlands in der Welt. In: Schwegmann (Hg.): Bewährungsproben einer Nation. Berlin 2011.

Eine ähnliche Position vertritt auch Bastian Giegerich vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SoWi): "Das Glück, weder an Entkolonialisierungskriegen noch an Kriegen wie jenen in Korea oder Vietnam beteiligt gewesen zu sein, entfremdete die Deutschen von der Vorstellung, dass politische Ziele, die über die reine Territorialverteidigung hinausreichen, mit dem Einsatz des Militärs erreicht werden können. Die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs verschärften vielfach die Skepsis, dass sich Militäreinsätze überhaupt rechtlich und moralisch legitimieren ließen."Bastian Giegerich: Was Militär leisten kann: Die Bundeswehr als Instrument der Sicherheitspolitik. In: Schwegmann (Hg.): Bewährungsproben einer Nation. Berlin 2011.

Keine Hemmungen!

Hier wiederum knüpft der Kölner Völkerrechtler Claus Kreß an. Seiner Auffassung nach sollte die "Entscheidung über völkerrechtlich erlaubte Auslandseinsätze" nicht vom durch die Erfahrung des Nationalsozialismus geprägten Grundgesetz abhängen: "Der deutschen Politik ist die erforderliche Urteilskraft 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso zuzutrauen wie der deutschen Bevölkerung." Damit einhergehend verlangt Kreß nicht nur die "vorbeugende Inhaftierung gegnerischer Kämpfer" im Rahmen von Kriegsoperationen, sondern äußert zudem Verständnis für die Tötung von Unbeteiligten: "Der Angriff auf ein militärisches Ziel (ist) nicht bereits deshalb verboten, weil abzusehen ist, dass er zivile Begleitschäden nach sich ziehen wird."Claus Kreß: Zu den Rechtsgrundlagen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr. In: Schwegmann (Hg.): Bewährungsproben einer Nation. Berlin 2011.

  • Eine Rezension des von Christoph Schwegmann herausgegebenen Bandes "Bewährungsproben einer Nation" finden Sie hier .

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 15.09.2011.

Fußnoten

Veröffentlicht am

17. September 2011

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