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Boatpeople: Die Revolution erreicht Europa

Die Flüchtlingswelle aus Nordafrika verschafft der EU eine Chance, all den revolutionären Traktaten zu Ägypten nun auch revolutionäre Taten folgen zu lassen

Von Lutz Herden

Man muss besorgt sein, ob die Revolutionen in Arabien der Rhetorik überhaupt gerecht werden können, mit der sie Politik und Medien im Westen großzügig beschenken. Das wortschwülstige Sympathisantentum mit dem Aufstand in Ägypten scheint sich für nichts zu schade. Ausgenommen die Erinnerung an eigenes Sympathisantentum mit dem per Staatsstreich in die Pension entsandten Präsidenten Mubarak. Es nehmen Leute das Wort Revolution in den Mund, die sich noch vor Tagen beim Wort Kommunismus am liebsten öffentlich übergeben hätten. Dabei ist - nicht nur historisch gesehen - "die Revolution" häufig auf dem gleichen Parkdeck zu Hause wie "der Kommunismus". Jener hinterließ im Übrigen nicht nur die vielbeschworene Blutspur, sondern auch einen konsistenten Revolutionsbegriff. Wollte sich die arabischen Realitäten unserer Tage dem andienen, würde den hiesigen Revolutionschronisten vermutlich weniger falsches Pathos in die Feder schießen. Revolutionen bleiben dann im Wort, wenn sie gesellschaftliche Verhältnisse radikal umwälzen wie in Frankreich 1789 oder in Russland 1917. Nichts dergleichen geschieht momentan in Ägypten.

Um so mehr darf sich Europa glücklich schätzen, wenn ihm unverhofft die Chance in den Schoß fällt, sich auf die Höhe der arabischen Umbrüche zu schrauben und den revolutionären Traktaten nun auch revolutionäre Taten an die Seite zu stellen. Dem alten Kontinent wird eine Art Revolutionsimport aus Nordafrika zuteil. Man muss jetzt nicht mehr für die "Massen auf dem Tahrir-Platz" schwärmen, sondern kann ganz praktisch der Masse von Flüchtlingen helfen, die an europäischen Küsten stranden. Boatpeople aus Tunesien, die das andere Gesicht des Aufruhrs zeigen und zu verstehen geben, dass nichts ausgestanden, nichts vorbei, nichts wirklich besser ist, wenn sich die alte Macht als neue Regierung verkauft. Tausende suchen weiter nach einem menschenwürdigen Dasein, nach Arbeit und Wohlstand, wie ihnen das in ihrer Heimat verwehrt und der Aufstand bis auf weiteres schuldig bleibt. Es wäre humanitäre Pflicht, die Hilfesuchenden wenigstens vorübergehend menschenwürdig aufzunehmen und nicht auf dem Hafen-Asphalt von Lampedusa ausharren zu lassen. Warum entlädt sich der medial revolutionäre Furor der vergangenen Tage nicht in einer konzertierten Hilfsaktion der Europäischen Union, weil Italien allein den Ansturm nicht allein schultern kann? Es wäre an der Zeit für die "revolutionäre Mission" in eigener Sache.

Quelle: der FREITAG   vom 14.02.2011. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

15. Februar 2011

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