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Tod einer palästinensischen Frau durch israelisches Tränengas

Zwei Augenzeugen berichten im Interview

Von Amy Goodman, 04.01.2011 - Democracy Now!

Eine palästinensische Frau verstarb am Freitag, nachdem sie von israelischen Soldaten mit Tränengas angegriffen worden war. Es geschah während einer friedlichen Demonstration gegen die Separationsmauer in der Westbank (Bil’in). Israelische und palästinensische Augenzeugen sowie das Krankenhauspersonal im Hospital von Ramallah sagen aus, dass Jawaher Abu Rahma starb, nachdem sie große Mengen Tränengas eingeatmet hatte. Das Tränengas war von Soldaten des israelischen Militärs gegen die Demonstration eingesetzt worden. Frau Rahma wurde 36 Jahre alt. Wir sprechen nun mit einem israelischen Friedensaktivisten und einem israelischen Arzt, die beide bei der Demonstration waren.

Unsere Gäste:

Jonathan Pollak - israelischer Friedensaktivist

Dr. Daniel Argo - israelischer Arzt, der sich regelmäßig an den Demonstrationen gegen die Separationsmauer in der Westbank beteiligt.

Amy Goodman: Am Freitag starb eine palästinensische Frau, nachdem israelische Soldaten Tränengas auf sie abgefeuert hatten - während einer friedlichen Demonstration in dem Dorf Bil’in. Die Demo richtete sich gegen die Separationsmauer in der Westbank. Israelische und palästinensische Augenzeugen sowie Mitarbeiter/innen des Hospitals von Ramallah sagen, dass Jawaher Abu Rahma starb, nachdem sie große Mengen Tränengas eingeatmet hatte. Das Gas war vom israelischen Militär während der Demonstration abgefeuert worden. Sie wurde 36 Jahre alt.

Einige Offizielle aus Kreisen des israelischen Militärs, deren Namen nicht genannt wurden, versuchen nun, Zweifel an der Todesursache zu schüren. Bei AFP (Agence France Press) und in der israelischen Tageszeitung Haaretz werden sie mit den Worten zitiert, es gäbe keinen Beweis, dass Frau Rahma gestorben sei, weil sie Tränengas eingeatmet habe. Sie zogen sogar in Zweifel, dass sie überhaupt an der Demonstration am Freitag teilgenommen habe.

Das Tränengas, das vom israelischen Militär eingesetzt wird, stammt angeblich aus der Produktion des US-Unternehmens Combined Systems, mit Sitz in Jamestown, Pennsylvania.
Wir haben uns mit dem Unternehmen in Verbindung gesetzt und ihm die Möglichkeit gegeben, an einer Sendung von Democracy Now! teilzunehmen oder eine Stellungnahme abzugeben. Es kam keine Antwort. Wir haben auch Kontakt zu der israelischen Botschaft in Washington aufgenommen und sie gebeten, an unserem Programm teilzunehmen. Die Botschaft hat unsere Bitte abgelehnt.

Wir sind nun mit unseren beiden Gästen verbunden. Sie waren beide auf der Demonstration am Freitag. Jonathan Pollak ist ein israelischer Aktivist. Er sagt, er habe Jawaher auf der Demo gesehen. Er ist uns via Skype aus Jaffa zugeschaltet. Am Telefon sind wir mit Daniel Argo in Jerusalem verbunden. Er ist ein israelischer Arzt, der ebenfalls auf der Demo am Freitag anwesend war.

Willkommen beide bei Democracy Now!. Jonathan - beginnen wir mit Ihnen. Quellen des israelischen Militärs, die ihre Namen nicht preisgeben wollen, bestreiten, dass Jawaher an der Demonstration überhaupt teilgenommen hat. Haben Sie sie wirklich gesehen?

Jonathan Pollak: Ich habe sie zu Beginn der Demonstration gesehen, und ich habe gesehen, wie sie später in einer Ambulanz weggebracht wurde. Ich möchte betonen, dass es mir wichtig ist, diesen Berichten, die jeder Grundlage entbehren, entgegenzutreten. Sie stammen, wie Sie schon gesagt haben, aus anonymen Quellen. Wir haben jede Menge Augenzeugen, die alle bezeugen können, dass sie dort war und dass sie durch Tränengas verletzt wurde. Wir haben den Fahrer der Ambulanz, der sie weggebracht hat. Er sagt, er habe sie aus dem Bereich, in dem die Demonstration stattfand, weggebracht und dass sie nur noch halb bei Bewusstsein gewesen sei, als er zu ihr kam. Sie habe ihm gesagt, sie hätte Tränengas eingeatmet und dass sie verletzt sei, weil sie Tränengas eingeatmet habe. Wir sind auch im Besitz von medizinischen Berichten, in denen steht… die ganz klar aussagen, dass sie an Herzversagen gestorben ist, als Folge von eingeatmetem Tränengas. Wir wissen auch, dass sie im Hospital gestorben ist. Das steht in den Krankenhausberichten. Ich weiß darüber auch persönlich Bescheid, weil ich die ganze Nacht mit den Leute vom Hospital gesprochen habe.

Es ist einfach empörend. Es ist empörend, was die Armee (IDF) sagt, empörend. Sie verbreiten Gerüchte, ohne irgendwelche Tatsachen zu haben. Wenn Sie mich fragen, dürfte so etwas überhaupt nicht als Nachricht verbreitet werden. Dennoch berichten die Leute weiter darüber.

Amy Goodman: Sie meinen, es wird verbreitet, was nicht näher genannte Quellen gesagt haben?

Jonathan Pollak: Genau. Nicht näher genannte Quellen in der Armee verbreiten es und zwar als Nachricht. Es war die erste Meldung in den israelischen Abendnachrichten gestern, und es steht heute auf den Titelseiten sämtlicher israelischer Tageszeitungen - auf den Titelseiten. Dabei handelt es sich um eine Version, die ausschließlich auf Gerüchten und nicht auf Fakten basiert. Der einzige Grund, weshalb sie es veröffentlichen, ist, weil es von der Armee kommt. Andererseits stützt sich unsere Version absolut auf Fakten und Beweise. Aber wir werden nur als "Stimmen" gewertet.

Amy Goodman: Können Sie uns sagen, wer diese Frau war: Jawaher Abu Rahma? Ihr Bruder wurde bei einer ähnlichen Demonstration gegen die Separationsmauer in Bil’in - ganz in der Nähe - getötet. Das war vor einem Jahr.

Jonathan Pollak: Nun, beide wurde praktisch an der gleichen Stelle getötet - in der Nähe der Separationsbarriere in Bil’in. Leider kannte ich Jawaher nicht sehr gut, aber ihre Familie kenne ich ziemlich gut. Über sie selbst kann ich Ihnen nicht viel sagen. Ich weiß, dass ihre Familie, die gesamte Familie, sich sehr in diesem Kampf engagiert. Wie Sie bereits gesagt haben, wurde ein Bruder von ihr im vergangenen Jahr getötet. Ein Hochgeschwindigkeits-Tränengasprojektil, das von einer amerikanischen Firma hergestellt wurde, hat ihn getötet. Es traf seine Brust. Das Tränengasgeschoss wurde aus nächster Nähe und direkt auf ihn abgefeuert. Das war ein Verstoß gegen die Gebrauchsanweisung des Herstellers. Der Mann war auf der Stelle tot.

Jawahers zweiter Bruder, Ashraf Abu Rahma, wurde vor einem - nein, vor zwei - Jahren von einem israelischen Soldaten erschossen und zwar auf direkten Befehl eines hohen israelischen Kommandeurs. Die Szene wurde gefilmt. Er war gefesselt, und man hatte ihm die Augen verbunden. Sie haben ihn mit einem Gummigeschoss aus nächster Nähe in den Fuß geschossen. Ja, aus dieser Familie stammt sie.

Amy Goodman: Wir haben das Video gesendet, das zeigt, wie ihr Bruder erschossen wurde, wie er starb.

Jonathan Pollak: Ein schockierendes Video. Es tauchte in den Nachrichtenredaktionen der ganzen Welt auf.

Amy Goodman: Dr. Daniel Argo, Sie sind ein israelischer Arzt. Auch Sie waren auf der Demo gegen die Separationsmauer in der Westbank, in Bil’in. Können Sie uns etwas über das Tränengas sagen, das dort eingesetzt wurde?

Dr. Daniel Argo: Ja, natürlich. Am Freitag, also, auf der Demo am vergangenen Freitag, feuerte die Israelische Armee von Anfang große Mengen Tränengas auf die Demonstration ab - wie üblich, könnte man fast schon sagen. Wir wissen, dass die Israelische Armee in Bil’in und in anderen Dörfern und Städten der Palästinenser Tränengas einsetzt, das unter der Bezeichnung CS-Gas bekannt ist. Es ist das älteste Tränengas, das noch auf dem Markt ist. Man hat damit viele Erfahrungen gemacht - in den letzten 80 Jahren. Man weiß, dass es zu schweren Verletzungen - bis hin zum Tod - führen kann. Die Israelische Armee - also genau jene Offiziere, die anonym bleiben wollen, haben in den vergangenen Tagen behauptet, ihnen seien keine Verletzungen oder Todesfälle durch Tränengas bekannt. Die Fakten widerlegen sie. Sie kennen sich mit der Geschichte dieses Tränengases bestens aus. Sie wissen auch, dass die Israelische Armee Artikel veröffentlicht hat, in denen steht, dass dieses Tränengas zu tödlichen Verletzungen führen kann. Unglücklicherweise ist es am Freitag wieder einmal passiert.

Amy Goodman: Noch eine Frage zu diesem Thema: Einer dieser israelischen Offiziellen sagte, Tränengas würde sich im offenen Gelände sehr schnell verflüchtigen - in der Luft. Demonstranten könnten davon nicht sterben. Er stellte auch erneut infrage, ob Frau Rahma überhaupt an der Demonstration vom 31. Dezember teilgenommen habe.

Dr. Daniel Argo: Das widerspricht allen Untersuchungen und allen Veröffentlichungen (zu diesem Thema) in verschiedenen medizinischen Fachzeitschriften. Vor anderthalb Jahren veröffentlichte das British Medical Journal, eines der besten medizinischen Fachblätter weltweit, einen großen Artikel über die Risiken beim Einsatz verschiedener Arten von Tränengas. Dabei ging es besonders um CS-Gas. In dem Artikel hieß es, dieses Gas könne zu schwerwiegenden Verletzungen führen und sogar tödlich sein. Aus dem, was wir gehört haben und aufgrund der Beweislage im Falle Rahma können wir schließen, dass ihre körperlichen Beschwerden und ihr Tod eine Folge der durch das Tränengas erlittenen Verletzungen waren.

Es wäre nicht der erste Fall in der Geschichte der Medizin und auch nicht der erste Fall in Palästina.

Amy Goodman: Dr. Argo - angesichts der Menge an Tränengas, die eingesetzt wurde, wie wir gesehen haben, frage ich mich, warum starb nur diese Frau, warum war nur sie so massiv betroffen?

Dr. Daniel Argo: Ich denke, wir können es, zum Beispiel, mit unterschiedlichen Reaktionen auf Medikamente oder Toxine vergleichen. Nicht alle Personen, die einer bestimmten Dosis (des gleichen Stoffes) ausgetzt sind, reagieren gleich. Einige werden Nebenwirkungen haben, andere werden keine Nebenwirkungen spüren. Es kann jedoch auch vorkommen, dass eine Person zunächst nur mit leichten Nebenwirkungen auf ein Tränengas reagiert und in den kommenden Wochen sehr starke Reaktionen auf das Tränengas erlebt. Das ist sehr wohl bekannt. Natürlich spielen auch persönliche Faktoren eine Rolle: Wie ist der Gesundheitszustand der Person, und wie alt ist sie? Vor allem aber kommt es darauf an, wie viele Gaspartikel pro Quadratmeter auftreten bzw. wie vielen Partikeln eine Person ausgesetzt ist.

Wir wissen, dass der Einsatz von Tränengas in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich geregelt ist. Bis heute gibt es für die Israelische Armee keinerlei Regeln, die den Einsatz von Tränengas einschränken würden. Jeden Freitag feuert die Israelische Armee in Bil’in und in anderen palästinensischen Dörfern große Mengen Tränengas auf Demonstranten ab - oder in der Nähe von Wohnhäusern. Manchmal tun sie es sogar im Innern von Häusern. Es ist sehr wohl bekannt, dass das zu schwerwiegenden Verletzungen und sogar zum Tod führen kann.

Amy Goodman: Dr. Argo, Sie haben vor einem Jahr damit begonnen, die Menschen, die an diesen Demonstrationen teilnehmen zu trainieren, wie sie auf Tränengas reagieren sollen. Das war, nachdem Jawahers Bruder Bassem getötet wurde?

Dr. Daniel Argo: Leider wurden in den vergangenen Jahren 21 Demonstranten bei solchen Demos getötet - und sehr viele verletzt - nicht alle durch Tränengas sondern manche auch durch Gummi ummantelte Geschosse oder durch scharfe Munition. Leider mussten wir Wege finden, damit umzugehen. Die palästinensischen Krankenhäuser und Ambulanzen leisten großartige Arbeit. Ich selber habe versucht, den Aktivisten zu helfen, mit diesen Dingen umzugehen. In den vergangenen Jahren haben ich und andere viele Menschen behandelt, die durch Tränengas gesundheitliche Schäden erlitten haben. Wir erleben es häufig, dass Tränengas Spätfolgen mit sich bringt: Probleme mit der Atmung, Augenschäden und Hautkrankheiten. Diese Krankheiten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass die Personen Tränengas ausgesetzt waren - vor allem CS-Gas.

Amy Goodman: Dann gibt es natürlich noch Fälle, in denen Personen durch Tränengaskartuschen verletzt wurden, wie der einer amerikanischen Studierenden der Cooper Union in New York namens Emily Henochowicz protestierte im vergangenen Jahr am (israelischen) Checkpoint Qualandiya gegen den Angriff auf (das Flaggschiff der Gazahilfsflotte) die Mavi Marmara. Sie war von New York in die Westbank gereist. Dann ist da der Fall Tristan Anderson. Er kam erst vor kurzem wieder nach Hause zurück. Er ist ein amerikanischer Fotograf, ein Aktivist. Bei einer Demonstration haben sie ihm ins Auge geschossen. Er wird dadurch schwerbehindert bleiben.

Dr. Daniel Argo: Ja - wie schon gesagt, leider erleben wir sehr häufig, dass Menschen sich an gewaltfreien Demonstrationen beteiligen und schwerverletzt heimkehren - falls sie überhaupt heimkehren.

Amy Goodman: Jonathan Pollak, Sie sind uns aus Jaffa zugeschaltet. Sie sind heute nicht im Gefängnis, obwohl sie doch zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt wurden? Sie sind ein israelischer Friedensaktivist. Warum sollen sie ins Gefängnis?

Jonathan Pollack: Die offizielle Version lautet, dass ich in Tel Aviv Fahrrad gefahren bin, um gegen die Belagerung von Gaza zu demonstrieren. Dafür werde ich ins Gefängnis müssen. Aber es ist natürlich offensichtlich, dass meine Verurteilung in einem bestimmten Kontext zu sehen ist - abgesehen von der Tatsache, dass sie für eine Menge Aufsehen gesorgt hat. Dieser Kontext ist die Niederschlagung des Volksaufstandes der Palästinenser und (die Niederschlagung) der Unterstützung, die dieser Aufstand von Internationalisten und Israelis erhält. Dutzende wandern hier aufgrund ähnlicher Anklagen ins Gefängnis, und ihre Haftstrafen sind oft viel länger als meine.

Die Palästinenser kommen vor Militärgerichte und werden gemäß der Militärgerichtsbarkeit verurteilt. Bei uns gibt es zwei Justizsysteme. Tatsache ist, dass die meisten Leute nichts davon wissen. Wir haben zwei unterschiedliche Justizsysteme: eines für Palästinenser und eines für Israelis in der Westbank. Und leider ist es so, dass viele von uns (die allermeisten davon sind Palästinenser) für ihren unbewaffneten, zivilen Widerstand gegen die Okkupation ins Gefängnis wandern.

Ich möchte noch etwas zu dem aktuellen Vorfall in Bil’in hinzufügen. Auch hier ist ein wenig Kontext wichtig. Was am Freitag passiert ist, war ein ziemlich ‘normales’ Ereignis. Wir sind vom Dorfzentrum aus in Richtung Mauer marschiert. Die Demonstration war größer als üblich. Rund 1000 Menschen waren dabei. Doch die Armee begann, in unsere Richtung zu feuern. Sie feuerten Tränengas(-Kartuschen) auf uns ab, sobald sie uns sahen. Wir waren noch Hunderte von Metern von der Mauer entfernt. Sie nebelten die gesamte Region ein. Es gibt dort sehr viel offenes Gelände. Doch sie nebelten es mit Tränengas ein, so dass niemand entkommen konnte. Das ist der Kontext dieses Todesfalles - des Todes von Jawaher.

Amy Goodman: Warum protestieren Sie gegen diese Mauer?

Jonathan Pollak: Ich… generell protestiere ich aus verschiedenen Gründen gegen die Mauer. Erstens halte ich sie für einen Mechanismus, mit dem die Okkupation und die israelische Kontrolle über die Palästinenser aufrechterhalten werden soll. Sie dient jedoch auch dem Zwecke des Landraubes. In diesem speziellen Fall (Bil’in) hat selbst der Oberste Gerichtshof (Israels) anerkannt, dass der besondere Mauerverlauf in Bil’in ein Instrument ist, um Land zu entziehen und es den jüdischen Siedlungen - Siedlungen nur für Juden - zu geben, damit diese expandieren können. Schon vor drei Jahren hat der Oberste Gerichtshof daher angeordnet, den Verlauf der Mauer zu ändern. Trotzdem hat sich nichts getan. Die Mauer steht unverändert an Ort und Stelle, da, wo sie ursprünglich gebaut wurde. Trotz der Tatsache, dass dieser Orginalstandort nicht aufgegeben wurde, vertreibt die Armee die Demonstranten weiterhin mit Gewalt - und verstößt damit gegen die Anordnungen des Obersten Israelischen Gerichtshofes.

Amy Goodman: Wir sollten ganz kurz etwas weiter ausholen. Viele Menschen wissen nicht, was die Separationsmauer überhaupt ist. Wir sollten ihnen erklären, wie groß sie genau ist, wohin sie führt und warum sie so sehr zum Schwerpunkt der Proteste geworden ist.

Jonathan Pollak: Die Separationsbarriere (oder Mauer) ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Instrumente der Okkupation geworden. Ihre Wirkung lässt sich vielleicht nur mit den Siedlungen - ausschließlich für Juden - in der Westbank erklären (…) Die Mauer ist fast 700km lang - doppelt so lang wie die (international) anerkannte Grenze. Warum? Weil sie tief in Westbank-Gebiet hineingebaut wurde. Israel hat auf diese Weise eine Menge palästinensisches Land übernommen - im Interesse der (jüdischen) Siedlungen, im Interesse der Expansion dieser Siedlungen. Zudem ist die Mauer ein politisches Instrument für Israel. Sie hilft, die Westbank in mehrere ‘Bantustan’ ähnliche Gebiete zu unterteilen, zwischen denen es keine direkten Verbindungen gibt. Je nach Lust und Laune der Israelis könnten die Gebiete noch weiter unterteilt werden.

Amy Goodman: Dr. Daniel Argo. Sie waren bei der Demonstration - sowohl als Arzt als auch als Demonstrant, der sich gegen die Mauer wendet. Können Sie uns erklären, weshalb Sie sich an diesen Protesten so oft beteiligen? Wie reagiert die israelische Bevölkerung auf Ihren Protest?

Dr. Daniel Argo: Ich denke, Jonathan hat die wesentlichen politischen Gründe schon aufgezählt. Aber ich denke, es gibt noch einen weiteren wichtigen Aspekt: das gemeinsame politische Engagement zwischen Israelis und Palästinensern. Die Mauer hindert die Menschen daran, in Palästina ein normales Leben zu führen. Aber sie trägt auch - in vielerlei Hinsicht - dazu bei zu trennen… sie ist ein Versuch der israelischen Regierung, die Palästinenser zu verstecken - nur möglichst weit weg mit ihnen! Ich denke, die wöchentlichen Demonstrationen in Bil’in und anderen Dörfern sowie in Ost-Jerusalem, zu denen sich palästinensische, israelische und internationale Aktivisten gemeinsam treffen, ist das mächtigste politische Statement, das wir überhaupt abgeben können. Durch dieses Statement lösen sich alle Ängste und alle Panik auf, die die israelische Regierung Tag für Tag zu verbreiten sucht. Dieser einfache Akt: Palästinenser und Israelis demonstrieren gemeinsam, treffen sich wöchentlich, oft auch täglich - das ist etwas, das zeigt, dass selbst im Nahen Osten Politik möglich ist. Für mich ist das ein sehr wichtiges Anliegen.

Amy Goodman: Nun, ich bedanke mich bei Ihnen beiden, dass Sie uns zugeschaltet waren. Noch eine letzte Frage an Jonathan: Wann gehen Sie ins Gefängnis?

Jonathan Pollak: In genau einer Woche - am 11. Januar.

Amy Goodman: Jonathan Pollak ist ein israelischer Friedensaktivist. Dr. Daniel Argo ist ein israelischer Arzt, der regelmäßig an Demonstrationen gegen die Separationsmauer in der Westbank teilnimmt. Sie waren beide vor Ort in Bil’in, als Jawaher Abu Rahma durch das Tränengas der Israelischen Armee zu Tode kam. Sie atmete große Mengen davon ein. Sie starb im Krankenhaus von Ramallah.

Amy Goodman ist Moderatorin des TV- und Radioprogramms Democracy Now!’ , das aus rund 500 Stationen in Nordamerika täglich/stündlich internationale Nachrichten sendet.

Quelle: ZNet Deutschland vom 09.01.2011. Originalartikel: Eyewitnesses Describe Death of Palestinian Women in Israeli Tear Gas Attack . Übersetzt von: Andrea Noll.

Veröffentlicht am

11. Januar 2011

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