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Andreas Buro: Thesen zur Bedrohungslage zwischen Israel und Iran

Von Andreas Buro

  1. In der Publizistik wird in der Regel die Bedrohung Israels durch iranische Atomwaffen, falls Teheran solche zur Verfügung haben sollte, als sehr groß dargestellt. Ist das realistisch? Zunächst muss man zur Kenntnis nehmen, dass der Iran umstellt ist von US-amerikanischen Stützpunkten und Marineeinheiten, von denen auf den Iran nukleare wie auch konventionelle Angriffswaffen der USA abgeschossen werden können. Diese kann der Iran kaum abwehren. Ferner ist der Iran ständig bedroht von israelischen konventionellen und nuklearen Waffen. Beide Staaten haben sich bislang geweigert, dem Iran gegenüber ein Nicht-Angriffs- Versprechen abzugeben. Vielmehr haben sie sich öffentlich immer wieder zu der Option eines militärischen Angriffs auf den Iran geäußert.
  2. Sollte der Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangen und die entsprechenden Trägersysteme dazu herstellen können, könnte er sie gegen Israel nicht einsetzen, ohne eine vollständige Zerstörung Irans in Kauf zu nehmen. Es gilt nach wie vor der Grundsatz aus der Zeit des Abschreckungssystems des West-Ost-Konflikts: "Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter". Der Fachausdruck hierfür lautete: "Mutual assured destruction" abgekürzt "Mad". Das heißt: Der Iran könnte Atomwaffen nur um den Preis der Selbstvernichtung einsetzen. Warum sollte er das tun? Diese Selbstvernichtung würde umso sicherer, wenn Israel, die von Deutschland gelieferten U-Boote nuklear aufrüstet, woran nicht zu zweifeln ist. Damit schüfe sich Israel eine Zweitschlagfähigkeit für den Fall eines vernichtenden Angriffs von außen. Hätte Iran tatsächlich Atomwaffen und die entsprechenden Trägersysteme zur Verfügung - die Versicherung Teherans, es strebe keine Atomwaffen an, ist ebenso wenig wert, wie die entsprechende frühere Versicherung des israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion, Israel strebe nicht nach Atomwaffen - wäre sicherlich sein nächster Schritt, sich ebenfalls eine Zweitschlagfähigkeit zu verschaffen, um seine Abschreckung eines feindlichen Angriffs glaubwürdiger zu machen.
  3. Der militärischen Bedrohung durch Israel setzt der Iran, der Israel mit seinen Waffensystemen nicht direkt abschrecken kann, seine militärisch-politische Zusammenarbeit mit der Hisbollah im Libanon, der Hamas im Gaza-Streifen und mit Syrien entgegen. Alle drei Partner sind Gegner Israels wegen dessen aggressiver Okkupationspolitik und seiner Verweigerung einer friedlichen Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts in den Grenzen von 1967. Die vergangenen Kriege im Libanon und im Gaza-Streifen, sowie Israels Angriff auf eine nukleare Anlage in Syrien können in diesem gegenseitigen Bedrohungszusammenhang als Stellvertreter-Kriege gewertet werden. Der für Israel bedrohliche Aspekt, entstünde, wenn der Iran die Hisbollah mit Raketen versorgen würde, die Israels Kernland gefährden, auch wenn diese nur konventionell bestückt sind. Trotz aller Aufrüstungsschritte des Iran, ist es vollkommen ausgeschlossen, dass er gegenüber Israel und den USA eine Position der Eskalationsdominanz erreichen könnte, also seiner Bedrohung von außen eine noch größere Bedrohung seiner Gegner entgegen setzen könnte.
  4. Israel bemüht sich ständig, um die Rückendeckung durch die USA. Gleichzeitig betont es seine potentielle Bedrohung durch den Iran, um vorbeugend eine Legitimation für einen militärischen Angriff auf Iran aufzubauen. Clemens Ronnefeldt hat im Friedensforum 5/2010 vier destabilisierende Faktoren für die Auslösung einer militärischen Auseinandersetzung beschrieben, so dass ich hier nicht näher auf die Möglichkeit des Ausbrechens eines militärischen Konflikts einzugehen brauche. Betonen möchte ich, dass Israel durchaus durch Täuschungsaktionen oder die Nutzung von kritischen Zwischenfällen die Fähigkeit hat, die USA in einen militärischen Angriff auf Iran - möglicherweise gegen den Willen Washingtons - zu verwickeln. Obama hat immerhin Israel eine Abschreckungsgarantie gegen den Iran gegeben.
  5. Höchst aktuell scheint sich die Auseinandersetzung auf ein wichtiges neues Kampffeld, den Cyberwar, auszuweiten. Die Medien berichteten im Oktober 2010 über einen Virus namens Stutnex, der vermutlich ganz besonders die Steuerungssysteme der Nuklearanlagen im Iran befallen habe oder befallen könnte. Dies könne nicht die Aktion von cleveren einzelnen Hackern sein. Der Aufwand hierfür sei sowohl in personeller wie in finanzieller Hinsicht viel zu groß. Angesichts der bekannten Tatsache, dass die USA im Weltmaßstab die höchsten Investitionen für Cyberwar-Aufrüstung tätigen und Israel sicher hervorragende Fachleute in diesem Gebiet zur Verfügung hat, darf man annehmen, dass hier von diesen beiden Staaten eine neue Front gegen den Iran eröffnet wird. Mit ihr wird ein Kampffeld installiert, dass von den UN kaum kontrolliert werden kann und das den USA einen aggressiven Spielraum jenseits von im Sicherheitsrat der UN beschlossenen Sanktionen gegen den Iran eröffnet.
  6. Die bisherigen Thesen gehen davon aus, den Machtkalkülen der Konfliktpartner lägen rationale machtpolitische Erwägungen zugrunde, allerdings nicht friedenspolitischen Charakters. Ist diese Annahme realistisch? Harald Müller, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, bezweifelt dies in seiner ausführlichen Darlegung zu dem Konflikt ( HSFK Standpunkte 2/2010 ). Der jetzige iranische Präsident Ahmadinejad sei ein Anhänger des Mahdismus, der millenarisch-messianisch-apokalyptischen Version des Schiismus, einer Spielart, die es auch im christlichen und jüdischen Fundamentalismus gäbe. Der Präsident habe den radikalen Elementen der Islamischen Revolutionären Garde-Corps (IRGC) die Durchdringung von Geheimdienst, Militär und politischen Institutionen ermöglicht. Er bediene auch klassische anti-semitische Klischees. So berechtigt diese Feststellungen auch sein mögen, kann man daraus die Schlussfolgerung ziehen Ahmadinejad handele irrational und unberechenbar bis zum eigenen Untergang und dem seines Landes? Der iranische Präsident befindet sich offensichtlich in einem innenpolitischen Machtkampf, indem er mehr oder weniger geschickt alle seine politischen, polizeilichen, militärischen und ideologischen Optionen nutzt, um seine Macht zu festigen. Dies folgt den traditionellen meist mörderischen und menschenverachtenden Mustern in solchen Kämpfen, auch bei vielen Bündnispartnern des Westens. Dies ist verwerflich, aber bei weitem im immanenten Sinne eines Machtkampfes nicht irrational. Selbstverständlich kann man die gleiche Frage nach der Rationalität ihres Handelns an die israelische Politik richten. Israel fordert ständig Sicherheit und Frieden für sich, betreibt aber eine Politik der ständigen Expansion. Es schlug bislang das Angebot der arabisch-islamischen Staaten von 2002 aus, Frieden mit diesen Staaten zu schließen zu dem Preis, Palästina in den Grenzen von 1967 selbständig werden zu lassen, wie es die UN schon seit langer Zeit fordert. Israel strebt nach weiterer Landnahme. Das ist zwar verwerflich, ist es aber irrational?
  7. An die These von der angeblichen Irrationalität Ahmadinejads als besondere Verschärfung der Bedrohung Israels schließt sich die Frage an: Warum hat die US-amerikanische Außenpolitik gegenüber den vorherigen Präsidenten des Irans, die zum Teil sogar als Reformpräsidenten bezeichnet wurden und bei den letzten Präsidentenwahlen gegen Ahmadinejad standen, keine friedenspolitischen Angebote unterbreitet? Auch zu jenen Zeiten blieb die Angriffsdrohung der USA auf dem Tisch, blockierte eine Verständigung und förderte die Kräfte, die auf eine nukleare Bewaffnung des Irans drängten (vgl. hierzu Buro, Andreas: Dossier I, Der Iran-Konflikt , Das Monitoring Projekt: Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention, Hg. Kooperation für den Frieden, Bonn 2006). Offensichtlich muss man nach den wirklichen Gründen des Konflikts in der Geschichte suchen.
  8. Nach dem Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung Mossadegh mit Hilfe des CIA ging es der US-amerikanischen Regierung mit der Errichtung und Unterstützung des terroristischen Schahregimes nicht allein um die Sicherung des Zugriffs auf das iranische Öl. Es ging auch um die Schaffung einer regionalen Vormacht im Mittleren und Nahen Osten, die von den USA abhängig sein und gleichzeitig die Interessen der USA in dieser Region vertreten sollte. Vielleicht war dieser Versuch damals als ein Gegenstück zu Nassers panarabischen Ambitionen gedacht. Doch nicht nur Nassers Versuch, eine regionale Vormachtstellung zu begründen, scheiterte. Auch das US-amerikanische Experiment mit dem persischen Schah scheiterte durch die islamische Revolution unter Führung des Ayatollahs Khomeini. Die Funktion einer Vormacht in dieser Region übernahm ein sich allmählich herausbildendes de facto Bündnis zwischen den USA, Israel und der Türkei. Den Irak unterstützte man in dem blutigen Krieg gegen den Iran in der Hoffnung, das dortige islamische Regime stürzen zu können. Das misslang zwar, aber das Ziel des Regimewechsels im Iran blieb erhalten. Man liest es landauf und landab. Die USA haben inzwischen den Irak zerschlagen, kämpfen in Afghanistan vermutlich mit den Ziel sich sichere Basen für die Dominierung Zentralasiens zu schaffen. Der Iran bleibt ihnen jedoch nach wie vor verschlossen. Geht es also wirklich um die mögliche nukleare Bewaffnung des Irans, während die USA und die UN die atomare Bewaffnung Indiens und des höchst instabilen Pakistans ohne erheblichen Widerstand zugelassen haben? Israels Atomwaffen sind anscheinend ebenso wenig ein Problem, wie dessen Nicht-Befolgung von UN-Beschlüssen. Die Schlussfolgerung liegt nahe, es geht der US-Politik vornehmlich um den Regimewechsel in Teheran. Die mögliche und durch Bedrohung beförderte Atombewaffnung des Irans ist dabei nur das Vehikel über den dieser Wechsel erreicht werden soll.
  9. Harald Müller schließt seine Betrachtungen mit den Worten: " Ein israelischer Angriff auf die Infrastruktur des iranischen Nuklearprogramms ist riskant und wird schwerwiegende negative Folgen haben. Die politischen Führer Israels können - in voller Erwartung dieser negativen Folgen - zu dem Schluss kommen, dass er dennoch die einzige Option ist, die ihnen bleibt, um ihr Land und Volk vor einem nuklearen Holocaust zu schützen. Wenn es zu einer Militäroperation Israels kommt, werde ich diese Folgen fürchten und die Opfer auf beiden Seiten beklagen. Aber ich hoffe, dass der Westen und mein eigenes Land dann nicht Israel die Schuld zuschieben. Ahmadinejad und die Extremisten, die ihn umgeben, fordern die Tragödie heraus."

Nach dem, was ich oben dargelegt habe, kann ich dieser Legitimation eines zukünftigen Angriffskrieges Israels nicht zustimmen. Zu fordern ist eine Friedenspolitik, in der die Sicherheitsinteressen Israels und Irans in gleichem Maße berücksichtigt werden und nicht unter der Drohung eines militärischen Angriffs stehen.

17.10 10
 

Veröffentlicht am

16. November 2010

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