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Robert Fisk: Nur Gerechtigkeit kann Licht in diese düstere Region bringen

Zum Kirchenmassaker in Bagdad

Von Robert Fisk, 06.11.2010 - The Independent on Sunday

Nach dem Massaker der Al Kaida (in der vergangenen Woche) in einer christlichen Kirche in Bagdad, bei dem 52 Menschen starben, verbreitete sich die Angst wie ein Lauffeuer. Das zeigt, wie dünn das Eis unter den Füßen der Menschen geworden ist.

Anders als die die TV-Sender des Westens berichteten Al-Dschasierah und Arabia in aller Ausführlichkeit über die schreckliche Tat. Arme, Beine und enthauptete Rümpfe - Kommentar überflüssig. Alle Christen in der Region haben die Botschaft des Anschlages verstanden. Allmählich bin ich der Ansicht, die Al Kaida ist eine der sektiererischsten Organisationen, die je gegründet wurden - man denke nur an ihre Anschläge auf schiitische Iraker. Die Al Kaida ist bei weitem nicht das Zentrum, der Hafen oder die Front des "globalen Terrors" - wie wir es uns ausmalen. Ich glaube auch nicht, dass es nur eine Al Kaida gibt. Es gibt verschiedene, und sie beziehen ihre Stärke aus der Ungerechtigkeit, die in dieser Region geschieht. Der Westen (Israel eingeschlossen) ist für diese Gruppen wie eine Bluttransfusion, die sie ernährt.

Im Grunde frage ich mich, ob unsere Regierungen den Terror nicht "brauchen", um uns Angst und Schrecken einzujagen - damit wir parieren und sie behaupten können, sie sorgten für mehr Sicherheit in unserem kleinen Leben. Ich frage mich auch, ob die Regierungen jemals aufwachen werden und begreifen, dass unsere Taten im Nahen/Mittleren Osten unsere Sicherheit gefährden. Lord Tony Blair von Isfahan hat diese Tatsache stets geleugnet - selbst dann noch, als der Selbstmordattentäter vom 7. Juli 2006 in London, in einem postumen Video, ausführlich erklärte, das Thema Irak sei einer seiner Gründe für sein Massaker. Bush hat es stets geleugnet. Und auch Sarkozy wird es leugnen - falls Al Kaida die aktuelle Drohung tatsächlich wahrmacht und Frankreich angreift.

Al Kaida hat "alle Christen" des Nahen/Mittleren Ostens zu Zielen erklärt. Wie Clusterbomben verstreut Al Kaida diese Drohung in der ganzen Region. Wenn die rund zwei Millionen koptischen Christen ihre zweiwöchigen Feierlichkeiten in Luxor begehen, werden sie Schutz brauchen. Mehrere hundert ägyptische Sicherheitskräften der Polizei werden sie abschirmen - denn Al Kaida hat behauptet, die koptische Kirche halte zwei muslimische Frauen, gegen ihren Willen, fest. Die Story hängt wahrscheinlich mit der Entscheidung zweier Frauen zusammen, die sich von ihren Männern trennen wollen. Da eine Scheidung in Ägypten aus religiösen Gründen verboten ist, konvertierten die beiden, um ihre Ehen zu beenden. Zufällig ereignete sich das gerade jetzt.

Schon schwappt die Welle in den Libanon über. Dort nehmen die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten zu. Die Hisbollah fordert, die Anschuldigungen des UN-Tribunals bezüglich des Mordes an dem ehemaligen libanesischen Premierminister Rafik Hariri müssten zurückgewiesen werden. In Jye, einer netten Küstenstadt südlich von Beirut, brach jemand in das Grab eines alten Mannes ein - fünf Türen mussten aufgebrochen werden, um in die Gruft der St. George Kirche zu gelangen und den Leichnam von George Philip al-Kazzi, der am 23. Juli 2002 an Altersschwäche gestorben war, aus seinem Grab zu holen und seinen Schädel zu zertrümmern. Wie sich herausstellte, war dies bereits die dritte Tat dieser Art in der Kleinstadt - innerhalb von 10 Jahren. Zu jeder anderen Zeit hätte man dies als Vandalismus eingestuft. Doch heute wird die Entweihung eines Christengrabes von allen Kirchenvertretern im Libanon leidenschaftlich und voll brüderlicher Anteilnahme kommentiert - damit ja niemand auf den Gedanken kommt, Muslime steckten hinter der Tat.

Pater Salim Namour, vom Kloster Saint Charbel (benannt nach dem längst verstorbenen Maronitenpriester Charbel, der angeblich einmal pro Jahr Tränen vergießt), beharrt darauf: Seine Stadt sei ein Modell der Koexistenz. Er gebraucht Worte, die in jeder Kirche und jeder Moschee des Nahen/Mittleren Ostens Teil eines Gebets sein könnten. "Wir dürfen uns auf ein solches Denken nicht einlassen", sagt er. "Wir begraben die Toten unserer muslimischen Brüder, und sie begraben unsere". Der Vizepräsident des höheren ‘Islamischen Rates der Schiiten’, Sheikh Abd el-Amr Qabalan, bezeichnet die Tat als "barbarisch". Sie sei "mit keiner Religion (und nicht mit der) Menschlichkeit vereinbar und logischerweise nicht zu akzeptieren". Daraufhin verurteilten die maronitischen Bischöfe den Bombenanschlag (auf die christliche Kirche) in Bagdad als einen "sinnlosen kriminellen Akt".

Der Westen ist machtlos. Er kann den verängstigten Christen nicht beistehen. Die Taten von Politikern, die "aus religiösen Motiven" handeln (natürlich meine ich damit die christliche Religion) hat eine neue Tragödie über die Christen im Nahen und Mittleren Osten gebracht. (Die Tatsache, dass ich vor kurzem in Kalifornien auf einige Amerikaner traf, die der Meinung sind, das Christentum sei eine "westliche" - und keine östliche - Religion, sagt mehr über die USA aus als über die Christenheit.)

Kein Mensch mit gesundem Menschenverstand würde annehmen, dass die Al Kaida ihre Kraft an eine solche (wenngleich empörende) Lappalien verschwendet. Dennoch ist die Al Kaida im Libanon präsent. Der syrische Präsident, Bashir al-Assad hat uns das selbst gesagt. Interessant ist, was Assad letzte Woche zu diesem Thema kommentierte. (Seine guten Beziehungen zu der schiitischen Hisbollah im Libanon und zu den Schiiten im Iran weisen ihn nicht gerade als Freund von Osamas Truppe aus). In einem Interview, das er der Zeitung Al-Hayat gab, sagte Assad: "Wir reden immer so daher, als wäre die Al Kaida eine gut strukturierte, einige Organisation. Das stimmt nicht. Es handelt sich eher um eine geistige Strömung, die sich Al Kaida nennt. Diese Organisation ist das Ergebnis und nicht die Ursache (einer Situation). Sie ist das Ergebnis von Chaos, von Unterentwicklung, von politischen Fehlern und einer bestimmten politischen Richtung". Und dass "diese Organisation überall ist - in Syrien, in allen arabischen und islamischen Ländern - heißt nicht, dass sie weit verbreitet oder populär wäre".

Doch Assad kann sich selbst nicht ganz von Schuld freisprechen - auch andere arabische Staaten können ihre Hände nicht in Unschuld waschen - wenn ihre Sicherheitsgesetze politische Versammlungen absolut verbieten (es sei denn, diese Treffen werden von offizieller, staatlicher Seite begrüßt). Dies führt schon seit langem dazu, dass Muslime - gezwungenermaßen - an einem Ort über Politik diskutieren, den sie regelmäßig besuchen: in der Moschee. Die größte Ironie dieser Woche war natürlich der Lobpreis unserer Herren und Meister für die Hilfe des saudischen Wahabiten-Regimes, das den Westen vor den Bomben in den Frachtflug-Paketen gewarnt hatte. Dabei war es gerade Saudi-Arabien gewesen, das die Natter (Osama bin Laden und seine fröhlichen Gesellen) viele Jahre lang am Busen genährt hatte.

Auch die Diktatoren des Nahen und Mittleren Ostens lieben es, ihre Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Armen Ägyptens ekeln sich vor der herrschenden Elite ihres Landes. Diese Elite will sicherstellen, dass es in Kairo zu keiner islamischen Revolution kommt. Auch der Westen will, dass es in Kairo, oder Libyen oder Algerien oder Syrien oder Saudi-Arabien (und so weiter) zu keiner islamischen Revolution kommt. Das aktuelle Problem ist, dass Al Kaida versucht, diese Regime - und den Westen - zu unterminieren. Daher greift Al Kaida im Irak an. Es ist ziemlich egal, ob es dort Demokratie gibt. Schließlich bringt der Irak keine Regierung zustande und ist zu sehr damit beschäftigt, die alten Feinde von der Baath-Partei hinzurichten, um die eigenen Leute schützen zu können - oder die Schiiten, oder die Christen im Land. Wir hingegen fliegen weiter Drohnenangriffe in Pakistan und bombardieren Unschuldige in Afghanistan. Wir tolerieren die Folterregime in der arabischen Welt und erlauben es Israel, mit dem Landraub an den Palästinensern fortzufahren. Tut mir leid, es ist immer dieselbe alte Geschichte: Gerechtigkeit bringt Frieden - nicht der Krieg der Geheimdienste gegen den "globalen Terror". Doch unsere Regierungen geben das immer noch nicht zu.

Robert Fisk ist ein international anerkannter Journalist des "Independent" in London. Seine Berichte über den Nahen Osten liefern den dringend notwendigen Kontrast zur offiziellen Doktrin und inspirieren Aktivisten auf der ganzen Welt. Er ist regelmäßiger Autor des ZNet, außerdem schreibt er noch für "The Nation" und weitere Publikationen.

Quelle: ZNet Deutschland vom 12.11.2010. Originalartikel: Only justice can bring peace to this benighted region . Übersetzt von: Andrea Noll.

Veröffentlicht am

13. November 2010

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