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Friedenstauben und Soldatengeschick

Welche Wege schlägt die pazifistische Bewegung ein? Anmerkungen zum Antikriegstag 2010

Von Peter Bürger

Mit schöner Regelmäßigkeit zeigen Umfragen, dass eine sehr deutliche Mehrheit der Menschen in diesem Land den Afghanistan-Krieg ablehnt. Militarismus und Kriegsbegeisterung sind in der Zivilgesellschaft allenfalls als Randerscheinungen auszumachen. Dass die Bundeswehr ihre Propaganda-Aktivitäten immer aggressiver in Schulen, Arbeitsämtern, Kommunen, Medien etc. unterzubringen versucht, spricht m.E. gerade für eine solche Diagnose. Doch trotz alledem: die Friedensbewegung kommt mit ihrem Protest nicht im öffentlichen Raum an.

Wir könnten es uns leicht machen. Mit einer Ausnahme sitzen ja alle Parlamentsparteien bei der Afghanistan-Kriegsbeteiligung mit im Boot (bezogen auf den geradezu "historischen" Protest gegen den Irak-Krieg 2003 waren die Bedingungen anders). Schon allein deshalb ist mit einer ernsthaften Opposition im Rahmen der maßgeblichen Medienlandschaft nicht zu rechnen (säßen bei den Grünen oder gar bei der Sozialdemokratie lauter Ströbeles, würde die Sache ganz anders aussehen). Da kann die Friedensbewegung mit guten Dossiers, die ja vorliegen, aufwarten so viel wie sie will: im Kanon der wirklich großen Themen der gesellschaftlichen Debatte kommt der Krieg nicht vor.

Auch die amtlichen Großkirchen, deren Militärseelsorgeapparate vom Staat finanziert werden, verhalten sich gefügig und scheuen auf beschämende Weise jede ernsthafte Auseinandersetzung in der Kriegsfrage. Nur wer das Gesamtbild aus dem Auge verloren hat, kann einzelne Passagen aus einer kirchlichen Denkschrift oder Neujahrspredigt und die Regungen kirchlicher Basisnetze als Argumente gegen eine solche Bewertung anführen.

Doch läuft nicht auch auf unserer, auf der friedensbewegten Seite vieles schief? Fast mit Entsetzen habe ich in einer überregionalen Mailingliste schier endlose Wortmeldungen zur Konzeption einer Unterschriftenkampagne mit verfolgt. Gewiss, Unterschriftenaktionen und Petitionen sind kaum etwas Falsches. Doch können sie im Mittelpunkt einer zeitgemäßen Antikriegsstrategie stehen? Nicht minder unsympathisch wirkten auf mich Auseinandersetzungen in der DFG-VK, zunächst ausgelöst durch drastische Satirebeiträge eines Landesverbandes. Die Kriegsbetreiber lachen sich ins Fäustchen, wenn Pazifisten sich - mitunter sehr verbissen - in interne Vereinsdebatten verstricken und nicht mehr merken, wie sie den Wirklichkeitsbezug zum leibhaftigen Leben "da draußen" verloren haben.

Problemanzeigen und Herausforderungen

Die Energien der Bewegung und ihre institutionellen bzw. hauptamtlichen Kapazitäten sind sehr begrenzt. Zu Beginn dieses Jahrzehntes haben vergleichsweise wenige Aktivistinnen und Aktivisten beharrlich und imponierend den Antikriegsprotest auf öffentliche Plätze getragen. Das kann man ohne körperlich-seelischen Verschleiß kaum zehn Jahre lang so durchhalten (der Verfasser dieses Beitrages war schon 2006 an seinen Grenzen angelangt).

Das Nachwuchsproblem ist sehr groß. Wo gibt es in einer Stadt ein funktionierendes Jugendfriedensforum? Die Friedensbewegung wird von außen oftmals als überaltert, versponnen, sektiererisch, in sich gekehrt und - so das wörtliche Votum einer jungen Frau - als "unsexy" wahrgenommen. Da sich junge Menschen an anderer Stelle durchaus in gesellschaftliche Debatten einbringen, müssen wir irgendwie den Anschluss verpasst haben.

Erschreckend ist der seit zehn Jahren andauernde Abschied weiter Kreise des Bürgertums von der Idee des Rechtes und den zivilisatorischen Errungenschaften der Völkerwelt nach 1945 (internationale Ächtung des Krieges, Friedensartikel unserer Verfassung). Rechtsverdrehung und inflationärer Relativismus bezogen auf den überkommenen Konsens der Zivilisation sind an der Tagesordnung. Man erinnere sich nur an die dreisten Ausführungen des Bundesanwaltes zum Artikel 26 GG, die deutschen Unterstützungsleistungen für den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg der USA und zuletzt das Kundus-Bombenmassaker. Die skandalösen Äußerungen von Ex-Bundespräsident Horst Köhler zur militärischen Durchsetzung ökonomischer Interessen gaben zwar die herrschenden Militärdoktrinen sachgemäß wieder, doch sie waren eben wie diese verfassungs- und völkerrechtsfeindlich. Die Empörung an richtiger Stelle blieb aus. Selbst Gregor Gysi (Die Linke) meinte, ein Rücktritt wegen der Wirtschaftskriegs-Sätze sei übertrieben. Ein Staatsoberhaupt, das ein Herzstück des Grundgesetzes in Frage stellt, wäre demnach also gar nicht so schlimm? Wie können wir kritische, wertkonservative Kreise des Bürgertums erreichen, die mit uns den schleichenden Abschied vom Recht als Skandal empfinden? Machen wir deutlich, dass unsere Bewegung in zentralen Fragen zu den letzten konsequenten "Verfassungsschützern" gehört?

Schließlich erscheint es bisweilen so, als seien eher Analyse und Politikberatung - und nicht Widerstand - das Zentrum der Friedensbewegung. Zu den rühmlichen Ausnahmesignalen gehört z.B. das diesjährige Plakat der Ökumenischen Friedensdekade: "Es ist Krieg - Entrüstet euch" (www.friedensdekade.de). Weithin hat die Friedensbewegung noch nicht verstanden, dass unsere Gesellschaft von Bildern - also nicht von langen Traktaten - dominiert wird und wie vordringlich es ist, unsere Bilder im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Der militärisch-mediale-unterhaltungsindustrielle Komplex hat längst den Freizeitalltag erobert. Wenn ich in diesem Zusammenhang bei Vorträgen von einem maßgeblichen "Rüstungssektor" spreche, reagieren manche erprobten "Friedenskämpfer", als hätten sie davon noch nie etwas gehört.

Die Traditionen einer verkopften Einseitigkeit - sowohl in der Linken als auch in der Friedensbewegung - führen dazu, dass man widerständige Beiträge aus Kunst und Kultur eher wie schöne Zutaten betrachtet. Demgegenüber müssten wir verstehen lernen, dass Phantasten, Kreative, Künstler und Kulturschaffende in akuten Widerstandsphasen den entscheidenden Beitrag leisten. Wir müssen um sie und ihre Beiträge, die gar nicht aus einer dauerhaften und zeitaufwändigen Einbindung erwachsen müssen, werben. Aktivisten und Funktionäre der Friedensbewegung sollten ihre eigenen "kreativen Ideen" nicht vorschnell für das Gelbe vom Ei halten. Es gibt gottlob Menschen, die sind im Bereich der bewegenden Bilder, Töne und Gesten begabter als wir. Wir holen uns zu wenig Hilfe von ihnen. Wovor haben wir Angst? Vor abgedrehten, verrückten, unkonventionellen und frechen Ideen? Vor Tabubrüchen und Geschmacklosigkeiten? Vor allzu plakativen oder gar populistischen Parolen? Wenn das so ist, sollten wir vielmehr Sorge haben angesichts langweiliger und leidenschaftsloser Protestbotschaften, die niemanden hinterm Ofen hervorlocken.

Wer heute junge Menschen ansprechen will, muss in der Lage sein, eine Generation moderner Mediennutzer anzusprechen. Die digitalen Angebote, die von vielen Konsumenten neuer Kommunikationstechnologien wahrgenommen werden, sind in erheblichem Maße - oft ganz sublim - militarisiert. Auf der anderen Seite gibt es unter der Überschrift "Freiheit statt Angst" bei den Nutzern eine große Abscheu gegenüber Zensur, staatlichem Kontrollwahn, Überwachung und Bürgerrechtsabbau. Im Dialog müssten wir vermitteln, dass der "libertäre" Aufschrei angesichts der Indizierung eines militärischen "Killerspiels" doch wohl kaum Mittelpunkt einer Anwaltschaft für freie Verhältnisse sein kann. Mittel- und langfristig gehören die militarisierten digitalen Unterhaltungsangebote zu den größten Feinden der Freiheit, da sie der Militarisierung nach außen und innen den Weg bahnen. Aber das sollten wir nicht erst merken, wenn wir schon im autoritären Staat angelangt sind. Antimilitaristische Identifikationsmöglichkeiten für junge Mediennutzerszenen und "Piraten" bieten derzeit aufklärerische Projekte wie Wikileads.

Ganz vordringlich erscheint es mir, dass die Friedensbewegung - wie anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm - eine positive Globalisierungsvision entwickelt und in die Gesellschaft hineinträgt. Auf der einen Seite dienen neue Kommunikations- und Militärtechnologien dazu, das himmelschreiende ökonomische Ungleichgewicht auf dem Globus aufrechtzuerhalten. Anders als militärisch kann sich das "Imperium der Schande" (Jean Ziegler), auf dessen Hauptkriegsschauplatz jährlich über 30 Millionen Menschen den gemachten Hungertod sterben, wohl kaum behaupten. Mit einfachsten Zahlenbelegen zur weltweiten Ressourcen- und Reichtumsverteilung kann man das jedem plausibel machen. Auf der anderen Seite entsteht dank moderner Informationstechnologien erstmals für die eine Menschenfamilie auch eine wirkliche Weltgesellschaft. Dadurch wird eine Kultur der Begegnung, des Dialoges, der Zusammenarbeit und des Zusammenwirkens möglich. Dieser ungemein aufregende Prozess ist ein Novum in der menschlichen Zivilisationsgeschichte. Er verweist uns auf den einzigen, wirklich alternativlosen Weg für ein Überleben auf der Erde (während das apokalyptische Programm "Krieg" Grundsäule eines Systems der zivilisatorischen Ausweglosigkeit ist). In diesem Zusammenhang sollten Eros und Ethos im Wirken der Friedensbewegung zumindest gleichberechtigt zum Tragen kommen. Wir wollen die bunte Weltgesellschaft nicht nur, wir sind begeistert von ihr. Wir zeigen die Flagge der Weltgesellschaft.

Strategiewechsel: Friedensbewegung als Anwalt der Soldaten?

Aufgrund meiner Familiengeschichte - beide Eltern haben je zwei Brüder im letzten Weltkrieg verloren - habe ich die Friedensbewegung immer als einzigen Anwalt von Soldaten verstanden. Ich bin Pazifist der "alten Schule". Im Kriegshandwerk kann ich nichts anderes erkennen als ein Mordhandwerk. Ich halte es jedoch für kindisch, selbstgerecht, unpolitisch und kontraproduktiv, den individuellen Soldaten plakativ als Mörder zu denunzieren.

Im vorletzten Jahr hat mich ein junger Mann angesprochen, weil er an meinem Hemd die Friedenstaube entdeckt hatte. Er bekannte, als Bundeswehrsoldat in Afghanistan gewesen zu sein. Vor der Erstürmung eines Hauses hatte man seiner Gruppe gesagt, es handele sich bei den Menschen im Gebäude um Feinde. Das fand er nach dem Schusswechsel nicht bestätigt. Was er mir unter Tränen sagen wollte, war, dass man ihn zum Mörder gemacht hatte. Es folgten - seinem Bericht zufolge - drei Monate Psychiatrieaufenthalt und dann dauerhafte Berufsunfähigkeit. Auch wenn es Meldungen über die Zunahme traumatischer "Störungen" bei Bundeswehrsoldaten nach Auslandseinsätzen gibt, so kommen doch Soldaten wie dieser in der Öffentlichkeit kaum zu Wort.

Ich meine, die erste Reaktion eines Pazifisten müsste in diesem Fall aus Mitgefühl bestehen. Doch unter Friedensbewegten und kriegskritischen Jugendlichen stoße ich mit dieser Anschauung regelmäßig auf Widerstand. Zumeist wird die Leier abgespielt, der zufolge ja jeder sich vorher entscheiden könne und wissen müsse, was ihn erwartet. Wenn Guttenbergs schlagkräftige Berufsarmee eingeführt worden ist, wird diese naive Betrachtungsweise wohl noch allgemeiner werden. Wir wissen aber, dass in allen Kriegen die materiell schlechter Gestellten ihren Kopf für die Interessen der Reichen herhalten. Aufgrund ihrer sozialen Lage lassen sich viele Soldaten überhaupt erst anwerben. Über freie Entscheidungsmöglichkeiten können wir endlos lamentieren. Aber viele wissen einfach nicht, worauf sie sich einlassen.

Schließlich wissen wir - z.B. aus der historisch so bedeutsamen Bewegung gegen den Vietnam-Krieg, dass es noch nie einen wirksamen Antikriegsprotest unter Ausschluss von Soldaten und Veteranen gegeben hat. Wir müssen auch an solche Soldaten, die sonst wenig mit unseren Anschauungen gemeinsam haben, appellieren, ihr Wissen z.B. um den Afghanistan-Krieg und ihren inneren Protest gegen dieses absurde "neue Vietnam" nach außen kundzutun.

Wir sollten unverdrossen das Kriegshandwerk kompromisslos als Mordhandwerk entlarven und dennoch als Friedensbewegung genau das tun, was die Betreiber des Krieges gerade von uns nicht erwarten: Anwalt der Soldaten werden. Die drastische "satirische Schampusaktion" aus der Berliner DFG-VK, über deren Geschmack oder Geschmacklosigkeit wir redlich streiten können, ist bislang vielleicht das einzige öffentlich wahrgenommene Protestzeichen wider die Krokodilstränen der neuen Heldenkultmacher und geistlichen Kriegsopferprediger. Wir können aus ihr zumindest lernen, dass Provokationen Not tun. Derweil ist uns schon amtlich verheißen, dass mehr Soldaten in Särgen aus Afghanistan zurückkehren werden. Wenn wir unermüdlich daran erinnern, wer diese Särge an verantwortlicher Stelle gezimmert hat, werden wir in der Öffentlichkeit auf jeden Fall gehört und können auch unter "freiwilligen Kämpfern" die Zahl der Nachdenklichen vermehren.

Es ist nicht besonders schwer bzw. riskant, Soldaten heute als Mörder zu bezeichnen. Vermutlich auch im juristischen Sinne ist es hingegen viel gefährlicher, angesehenen Politikern in Regierung und Parlament in aller Öffentlichkeit zu bescheinigen, dass sie Mordverantwortliche und die maßgeblichen Urheber von Kriegsverbrechen sind. Im ersten Fall schwingen oft moralische Selbstbefriedigung und Genugtuung über das eigene "Gutsein" mit, und das macht Pazifisten hässlich. Im zweiten Fall haben wir es mit einer wirklich politischen und zudem mutigen Stellungnahme zu tun, die an den Nerv des Kriegsapparates heranreicht.

Apropos "Friedenstaube"

Und noch ein Wort an friedensbewegte Leserinnen und Leser: "Trägst du deine Friedenstaube oder dein Pace-Symbol im Alltag? Ist es an deinem Balkon oder an deiner Fensterscheibe sichtbar? Wenn wir darauf verzichten, werden es wohl kaum andere übernehmen, unsere Erkennungszeichen in der Öffentlichkeit zu zeigen."

 

Weblinks:

Veröffentlicht am

25. August 2010

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